Retromania. Simon Reynolds

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Retromania - Simon  Reynolds


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alte Legenden, so das Wall Street Journal. Gleichzeitig haben die ehemaligen Mitglieder dieser aufgelösten legendären Bands als Solokünstler selten vergleichbaren Erfolg und daher einen finanziellen Anreiz, sich wieder zu versöhnen und gemeinsam auf Tour zu gehen. Aber selbst Bands, um die sich nie irgendjemand einen Dreck geschert hat, reformieren sich. Etwa Mudcrutch, Tom Pettys erste Band, die nur zwei Singles veröffentlichte und sich 1975 aufgelöst hat. Sie fanden sich 2008 wieder zusammen, um zu touren und endlich das Debütalbum, Mudcrutch, aufzunehmen, auf dem sich eine Mischung alter und neuer Songs findet.

      Der Pulk alter Rocker, die Oldies-Sets spielen, angefangen bei Superstars wie Police oder den Eagles bis hin zu Kultgruppen (Pixies, Swervedriver) hat diejenigen hart getroffen, für die Pop und Jugendkultur eins sind. John Strausbaugh hat ein ganzes Buch geschrieben, Til You Drop: The Decline from Rebellion to Nostalgia, in dem er gegen die Faltenbildung des Rock wettert. Andere sehen das Problem nicht im fortschreitenden Alter der Bands, sondern darin, dass der Nostalgie-Markt es den Bands nicht erlaubt, sich von der Musik ihrer Jugend zu emanzipieren. Der Musiker und Kritiker Momus flucht über die »Museumifizierung« des Pop und sieht Parallelen zur klassischen Musik, die ein bestimmtes Repertoire »anerkannter Meisterwerke« endlos neu interpretiert. Andere haben genau diese Analogie bemüht, um die Kanonisierung des Rock zu verteidigen. Wenn die öffentliche Sendeanstalt ihr Musikprogramm zusammenstellt, das ein Babyboomer-Publikum ansprechen soll, um damit Werbeeinnahmen zu erzielen (Blind Faith 1969 live im Hyde Park, ein Tributkonzert für Roy Orbison mit Bewunderern wie Elvis Costello, Tom Waits, Bruce Springsteen und k.d. lang), schwärmt die Moderatorin Laura Sevigny: »Wir wollen sicherstellen, weiterhin ein Archiv der amerikanischen Kultur zu sein. Das ist die neue klassische Musik unserer Generation. Das ist Rock’n’Roll und wir wollen sichergehen, dass er im öffentlichen Fernsehen erhalten bleibt.« Ähnlich verteidigte auch Ben Ratliff, Musikkritiker der New York Times, den Boom von Rock-Reunions und verglich ihn mit der Art, wie Jazz würdevoll altert: Seit Mitte der 70er wurde Jazz zu einer »Kultur der permanenten Wiederholung und des endlosen Tributs«, in der »echte Reunions kaum wahrgenommen wurden«, während »ein gewaltiger Prozentsatz der Musik sich auf die großen Momente der Vergangenheit bezieht.« Er führte weiter aus, dass dies den Jazz nicht daran gehindert habe, »fantastisch zu sein, sich sogar zu transformieren«. Er behauptete, dass Rockbands oft erst mit der Zeit besser würden und heute von der viel besseren Soundtechnik profitieren könnten, die ihnen zur Verfügung steht.

      Das Phänomen der »ganzen Alben« war es, das Momus im Besonderen auf die Analogie mit dem klassischen Repertoire brachte: Eine Band spielt live ihr bekanntestes Album in der originalen Reihenfolge von Anfang bis Ende durch. Keiner weiß mehr, wer zuerst mit diesem Trick die Fans zufriedenstellte. Es könnten Cheap Trick gewesen sein, die die 1998er-Reissues ihrer ersten vier Alben mit einer viertägigen Tour durch ausgewählte Städte promoteten, wo sie jeden Abend je ein ganzes Album spielten. Bei ihrem erfolgreichsten Album, Live at Budokan von 1979, imitierte der Sänger Robin Zander sogar seine Ansagen, da die absichtlich gestelzte Sprechweise – langsam und deutlich, damit das japanische Publikum ihn verstehen konnte – bei den Fans besonders gut ankam.

      Was für Cheap Trick ein einmaliger Promogag gewesen war, erzeugte in der zweiten Hälfte der 2000er eine richtige Industrie, ganz vorne All Tomorrow’s Parties mit ihrer »Don’t Look Back«-Reihe. Angefangen hatte es 2005, als Bands wie Belle & Sebastian, The Stooges und Mudhoney, um nur ein paar zu nennen, ihre berühmtesten Alben live spielten. Diese Reenactments ganzer Alben gehörten bald zum festen Inventar der All-Tomorrow’s-Parties-Festivals, ermöglichten aber auch die ATP/»Don’t Look Back«-Bühnen bei anderen Events wie etwa dem Pitchfork Music Festival in Chicago (bei dem Public Enemy It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back, Sebodah Bubble & Scrape und Mission of Burma Vs. spielten).

      Barry Hogan von ATP beschreibt dieses Konzept als eine »Rebellion« gegen die Kultur des iPod-Shuffle und eine Verteidigung des Albums als Gesamtkunstwerk. »Heute dreht sich alles nur noch um Bequemlichkeit und iTunes. Aber MP3s klingen scheiße. ›Don’t Look Back‹ will sagen: ›Erinnere dich daran, wie es war, Platten zu kaufen, du hattest das Klappcover, das du dir ansehen konntest, und dann legte man die Platte auf und sie klang großartig.‹«

      Man könnte meinen, die ganze Welt kopiere das »Don’t Look Back«-Format, von Liz Phair mit Exile in Guyville über Jay-Z mit Reasonable Doubt bis hin zu Van Morrison, der im November 2008 sein berühmtestes Album erneut aufgeführt hatte und daraus ein neues Album mit dem abscheulichen Titel Astral Weeks: Live at the Hollywood Bowl gemacht hat. Die Sparks haben dieses Konzept auf die Spitze getrieben, als sie im Mai 2008 alle ihre 21 Alben nacheinander auf 21 Konzerten in London gespielt haben. Am letzten Abend haben sie ihr neues Album uraufgeführt. Im selben Monat eröffneten sie auch in der Bodhi Gallery im Osten Londons eine Ausstellung mit Plattencovern, Fotos, Videos und anderen Erinnerungsstücken ihrer langen Karriere als Art-Pop-Freaks.

      Für die Bands kann das laut Hogan im wahrsten Sinne des Wortes eine Wiederbelebung sein. »Bei My Bloody Valentine war es wie in dem Film Zeit des Erwachens, in dem das Leben einer Person einfach stoppt und dann neu beginnt«, erzählt er und fügt hinzu: »Sie überlegen, neue Songs zu schreiben und aufzunehmen.« Dass der kreative Funke wieder überspringt, ist ein potentieller Nebeneffekt der Reunions, aber im Grunde würde das niemand machen, wenn es nicht Geld bringen würde. Und Bands können damit Unmengen verdienen. Wenn eine Band lange Zeit nicht aufgetreten ist, erklärt Hogan, besteht bei den Fans ein enormer Nachholbedarf.

      Selbst Bands wie Sonic Youth, die immer aktiv geblieben sind, unermüdlich tourten und Platten aufnahmen, fällt es schwer, den Möglichkeiten zu widerstehen, die ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit bietet. Von 2007 bis 2008 spielten Sonic Youth ihr Meisterwerk Daydream Nation von 1988 zu 24 verschiedenen Anlässen, auf großen Konzerten in amerikanischen und britischen Großstädten (im Roundhouse in London traten sie drei Tage in Folge auf), auf Konzerten und Festivals in Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien und schließlich auf der Daydream-Nation-Down-Under-Tour in Neuseeland und Australien. In einem Interview mit dem Spin-Magazin scheint sich Thurston Moore im Klaren über den Widerspruch zu sein, dass ausgerechnet jene Band, die den Song »Kill Your Idols« schrieb – und sich selbst Sonic Youth nannte –, in Nostalgie verfällt. »Ich wollte das anfangs gar nicht machen … Ich dachte, dass es uns die Zeit raubt, etwas Neues und Progressives zu machen«, räumt er ein. Aber sobald Hogan, der sowohl Sonic Youth als auch Thurston Moore solo bereits als Kuratoren für ATP gewinnen konnte, die Band überredet hatte, Daydream Nation in London zu spielen, versuchte der für Europa zuständige Booker der Band, sie zu überreden, auf Festivals auf dem Kontinent zu spielen, weil die Veranstalter dort »ein paar Tausend Dollar drauflegen« würden. Laut Billboard warfen die 2007er-Konzerte von Daydream Nation in Amerika pro Show erheblich mehr ab, als die Tour zum neuen Album Rather Ripped im Jahr davor. Wenn es eine Band lange genug gibt, dann ist das Verlangen der Fans nach den Klassikern ihrer Karriere immer größer als nach den aktuellen musikalischen Werken.

      Paul Smith, ein Veteran der alternativen Musikindustrie, der auf seinem Label Blast First als erster Daydream Nation in Großbritannien veröffentlicht hatte, unterstützt gegenwärtig Underground-Legenden wie Suicide oder Throbbing Gristle dabei, wieder aktiv zu werden, ohne ihre Glaubwürdigkeit oder ihre Würde zu verlieren. Für ihn haftet Rock-Reunions ein dummes Stigma an, von dem andere Kunstformen frei sind. »Maler, Dichter, klassische Komponisten – bei denen spielt Alter keine Rolle. Aber bei Rock und Pop wird irgendwie von einem erwartet, dass man an einer Überdosis oder bei einem Autounfall stirbt. Lediglich Blues-Musiker werden stärker respektiert, je älter sie werden.«

      Smith betrachtet Reunions als gerechtfertigt, einerseits um den Verdiensten einer Band für die Musikgeschichte gerecht zu werden, andererseits als Entlohnung für Künstler, die meist für wenig Geld hart gearbeitet haben. Er denkt, dass Wiedervereinigungen entweder gut oder schlecht funktionieren. Als Beispiel für letzteres führt er die ewige Wiederkehr der Buzzcocks an. Smith sagt, sie hätten durch die endlosen Touren »ihren Namen tot gespielt. Dadurch, dass sie auf Festivals in Margate vor kahl werdenen Punks gespielt haben, haben sie alles über den Haufen geworfen, was sie vormals zu großer Kunst hatte werden lassen. Sie haben sich auf das Niveau von Gerry and the Pacemakers begeben


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