Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen

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Marie Grubbe - Jens Peter Jacobsen


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wer, zum Teufel auch, hat Ihn denn abgewiesen?«

      »Ja, Herr Gyldenleu, ich lief zu den Wällen so wie die anderen, die liefen; aber kam ich zu der einen Abteilung, so sagten sie, sie könnten mitnichten mehr sein, und kam ich zu der nächsten, so sagten sie spöttischerweis, sie seien nur geringe Bürgersleut, dies sei kein Platz für Adelspersonen und vornehmes Volk, und mehr dergleichen Gewäsch; aber es gab auch Abteilungen, wo sie sagten, sie wollten nichts mit Gebrechlichen zu schaffen haben, sintemal sie Unglück brächten und die Kugeln nach sich zögen, und sie wären mitnichten gewillt, ihr Leben und ihre Glieder zu hazardieren, indem sie solch einen Menschen unter sich hätten, den Gott der Herr gezeichnet hält. Da supplizierte ich an Generalmajor Ahlefeld, daß mir ein Platz möcht angewiesen werden, aber der schüttelt bloß den Kopf und lacht: so verzweifelt arg sei es denn doch auch noch nicht, daß sie die Reihen mit so verkrüppelten Stümpfen ausfüllen müßten, die ihnen mehr zu Ungelegenheit denn zu Hilfe sein würden.«

      »Aber warum ging Er nicht zu einigen der Offiziere, mit denen Er bekannt ist?«

      »Das tat ich auch, Herr Gyldenleu, ich dachte gleich an den Zirkel und kam denn auch mit zwei Mourants in Rede, mit des Königs Unterrock und dem Ritter Bergylt.«

      »Nun, und die halfen Ihm?«

      »Ja, Herr Gyldenleu, die halfen mir. – Herr Gyldenleu, die halfen mir, so daß Gott sie dafür heimsuchen mög! Daniel, sagten sie, Daniel, geh Er nach Haus und laus er seine Zwetschen! Sie hätten geglaubt, sagten sie, ich hätt so viel Konduite, daß ich nicht hierher kommen würd mit meinen Affenstreichen. Ein ander Ding sei es, daß ich ihnen gut genug wär als Komödiantenspieler und Possenreißer bei einer lustigen Pokulage, aber wenn sie in ihrem Amt wären, sollt ich ihnen aus den Augen bleiben. War das nun recht geredet, Herr Gyldenleu, nein, es war sündhaft, sündhaft war es! Daß sie sich mit mir in den Weinstuben gemein gemacht hätten, bedeute mitnichten, daß sie mich für ihresgleichen ansähen, so daß ich hierher kommen dürft und mir einbilden, ich könnt ihren Umgang und ihre Gesellschaft haben, jetzt, wo sie in ihrer Bestallung wären. Ich sei ihnen zu aufdringlich, Herr Gyldenleu! ich solle nicht glauben, daß ich mich könnt in ihre Kompagnie eindrängen hier an diesem Ort, hier brauchten sie keinen Lustmajor! Das sagten sie zu mir, Herr Gyldenleu! Und ich verlangte ja doch nur, mein Leben Seite an Seite mit den andern Bürgern der Stadt aufs Spiel zu setzen.«

      »Na ja,« sagte Ulrik Frederik und gähnte, »ich begreife wohl, daß es Ihn kränkt, daß Er von dem Ganzen ausgeschlossen sein soll. Und es wird Ihm ja auch ziemlich schwer fallen, an Seinem Pult still zu sitzen und zu schwitzen, dieweil die Zukunft des Reiches hier auf den Wällen entschieden wird. Na, Er soll mit dabei sein. Denn...« er blickte mißtrauisch auf Daniel nieder, »es steckt doch wohl keine Heimtücke dahinter, Mosjö?«

      Der Kleine stampfte vor Wut auf die Erde, er wurde bleich wie eine gekalkte Wand, und seine Zähne knirschten gegeneinander.

      »Na, na,« fuhr Ulrik Frederik fort, »ich verlasse mich auf Ihn; aber Er kann doch auch nicht verlangen, daß man Ihm trauen soll, als hält Er ein adlig Wort zu vergeben; – und bedenke Er: seine eigenen Leute haben Ihn zuerst verworfen und ... pst!«

      Es donnerte ein Schuß draußen von einer der Stationen am Ostertor, der erste, der in diesem Krieg gelöst wurde.

      Ulrik Frederik richtete sich auf, das Blut schoß ihm in die Wangen, sein Auge starrte begehrlich und gefesselt nach dem weißen Rauch, und als er sprach, klang ein seltsames Beben in seiner Stimme.

      »Daniel!« sagte er, »im Laufe des Vormittags kann Er sich bei mir melden, und scher Er sich nicht an das, was ich gesagt hab.« Dann schritt er hastig den Wall entlang.

      Daniel sah ihm bewundernd nach, dann seufzte er tief, setzte sich ins Gras und weinte, wie ein unglückliches Kind weint.

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      Es war um die Nachmittagszeit. Ein starker, stoßweiser Wind wehte durch die Straßen der Stadt und wirbelte Wolken von Spänen, Strohhalmen und Staub von einer Stelle weg und nach der andern hin. Er riß Dachziegel los, drängte den Rauch in die Schornsteine hinab und verfuhr übel mit den Schildern.

      Die langen, dunkelblauen Fahnen der Färber schleuderte er in dunklen Bogen in die Höhe, klatschte sie in schwarzen Windungen hinaus und wickelte sie rund um die schwankenden Stangen herum. Die Räder der Rockendreher schaukelten rastlos hin und her, die Kürschnerschilder schlugen mit den zottigen Schwänzen, und die prachtvollen Glassonnen der Glaser schwangen und blitzten in wirrer Unruhe um die Wette mit den blankgeputzten Becken der Bartscherer.

      In den Hinterhöfen klappten Luken und Läden, die Hühner mußten sich hinter Tonnen und Schuppen verkriechen, und selbst die Schweine wurden unruhig in ihren Koben, wenn der Wind durch sonnenhelle Ritzen und Fugen zu ihnen hineinpfiff.

      Trotz des Windes war es drückend heiß; es wehte Wärme herab.

      Drinnen in den Häusern saßen die Leute und schnappten vor Hitze; nur die Fliegen summten lebhaft umher in der schwülen Luft.

      Auf der Straße war es nicht zum Aushalten, und in den Beischlägen zog es; deswegen flüchteten auch alle, die Gärten hatten, da hinaus. In dem großen Garten, der hinter Christoffer Urnes Haus in der Vingaardsträde lag, saß ein junges Mädchen im Schatten einer der großen Ahornbäume.

      Sie saß und nähte.

      Es war eine große, schlanke Gestalt; fast schmächtig war sie, aber der Busen war breit und voll. Ihr Teint war bleich und ward noch bleicher durch das reiche, schwarze, gelockte Haar und die ängstlich großen, schwarzen Augen. Die Nase war scharf, aber fein, der Mund groß, aber nicht voll, und mit einer krankhaften Süße im Lächeln. Die Lippen waren sehr rot und das Kinn ein wenig spitz, dabei aber stark und kräftig geformt. Ihre Kleidung war nicht sehr ordentlich: eine alte schwarze Sammetrobe mit verblichener Goldstickerei, ein neuer, grüner Filzhut mit großen, schneeweißen Straußenfedern und Lederschuhe mit rotgeschliffenen Spitzen. Sie hatte Daunen im Haar, und weder ihr Halskragen noch ihre langen, weißen Hände waren ganz rein.

      Es war Christoffer Urnes Brudertochter Sofie. Ihr Vater, der Reichsrat und Marschall Jürgen Urne zu Alslev, Ritter des Elefantenordens, war schon in ihrer Kindheit gestorben, die Mutter, Frau Margrete Marsvin, vor einigen Jahren. Sie hatte daher ihren Aufenthalt jetzt bei dem alten Oheim, und da er Witwer war, so war sie, jedenfalls dem Namen nach, die Lenkerin des Hauses.

      Sie saß da und nähte und summte dazu, während sie im Takt den einen ihrer Schuhe auf der Spitze des Fußes schaukelte.

      Über ihrem Kopf rauschten und schwankten die dichtbelaubten Kronen in dem starken Winde mit einem Geräusch wie von brausendem Wasser. Die hohen Stockrosen schwenkten ihre blütenknopsigen Spitzen hin und her in unbeständigen Bogen, wie von unruhigem Wahnsinn ergriffen; und das Himbeergestrüpp duckte sich verzagt und kehrte die helle Rückseite der Blätter nach außen, so daß es bei jedem Windhauch die Farbe wechselte. Dürre Blätter segelten durch die Luft, das Gras legte sich platt an die Erde, und auf den hellen Laubwellen der Spiräenstauden wiegte der weiße Blütenschaum auf und nieder in ewigem Wechsel.

      Dann wurde eine Weile alles still, alles richtete sich auf, noch gleichsam zitternd vor Angst und in atemloser Erwartung, und im nächsten Augenblick kreischte der Wind wieder herab, und die Unruhwelle mit ihrem Brausen und ihrem Glitzern, ihrem wilden Wogen und rastlosen Wechseln breitete sich wieder über den Garten aus.

      »Phyllis saß in ihrem Kahn,

      Als sich Charidon tät nahn,

      Laut er seine Flöte blies,

      Sie die Ruder sinken ließ,

      Und der Kahn trieb auf den Sand,

      Und der Kahn trieb...«

      Unten von der Pforte am andern Ende des Gartens her kam Ulrik Frederik gegangen. Sofie sah einen Augenblick verwundert


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