Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen

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Marie Grubbe - Jens Peter Jacobsen


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ist nun das erste Stück, daß der Mensch ist ein weiser und über alle Maßen herrlich eingerichteter Mikrokosmus oder wie man es deuten kann: eine kleine Erde, eine Welt von Gutem als auch von Schlechtem; denn ist, wie der Apostel Jakobus sagt, schon die Zunge eine Welt von Unrecht, um wieviel mehr ist da der ganze Körper eine Welt! sowohl die begehrlichen Augen als auch die hastigen Füße und die greifenden Hände; sowohl der unersättliche Bauch wie die betenden Knie und die wachsamen Ohren? Und ist der Körper eine Welt, um wieviel mehr ist da nicht unsere kostbare und unsterbliche Seele eine Welt, ja, wie ein Garten voll süßer und bitterer Kräuter, voll gefräßiger Raubtiere der bösen Lüste und weißer Lämmer der Tugenden? Und ist nun der, so da eine solche Welt zerstöret, für besser zu achten als Brandstifter oder ein Gewalttäter oder ein Marktdieb? und ihr wisset, was für eine Strafe einem solchen zu erleiden und zu erdulden geziemet.«

      Es war jetzt ganz dunkel geworden, und der Volkshaufe um den Prädikanten erschien nur wie eine große, schwarze, leise bewegte, beständig wechselnde Masse.

      »Das zweite Stück ist dieses, daß der Mensch ein Mikrotheos ist, das heißt: eine Abspiegelung oder ein Gleichnis von Gott dem Allmächtigsten. Und ist der, so sich an Gottes Ebenbild vergreifet, nicht für schlimmer zu achten als der, der die heiligen Gefäße oder Gewänder der Kirche stiehlet oder Gewalt wider ein Gotteshaus verübet? und ihr wisset, welche Strafe einem solchen zu erleiden und auszustehen gebühret.

      »Das letzte und dritte Stück ist dieses, daß der Mensch erst Pflichten habet gegen seinen Gott und ist schuldig, für ihn ohn Unterlaß zu kämpfen und zu streiten, angetan mit der schimmernd blanken Rüstung eines reinen Lebens und umgürtet mit dem schneidenden Schwerte der Wahrheit. Also gerüstet, zieme es ihm zu streiten, ein Streiter des Herrn, der den Rachen der Hölle zerreißet und den Bauch der Hölle zertritt. Derohalben gebühret es uns, das leiblich Schwert an seinem Ort bleiben zu lassen, denn wahrlich, wir haben genug, uns mit dem geistigen zu mühen!«

      Von beiden Enden der Straße sah man hin und wieder Leute kommen, die sich mit kleinen Handlaternen nach Hause leuchteten. Allmählich, wie sie auf die Versammlung stießen, stellten sie sich unter den äußersten auf, so daß sich bald ein gewundener Halbkreis von blinkenden kleinen Lichtern bildete, die verloschen und aufleuchteten, je nachdem sich die Leute bewegten; und dann und wann wurde auch eine Laterne emporgehoben und ließ ihren Schein suchend auf den weißgetünchten Mauern und dunklen Fensterscheiben der Häuser herumflackern, bis er auf dem ernsten Antlitz des Prädikanten Ruhe fand.

      »Aber wie! sprechet ihr in euren Herzen und saget: sollen wir uns denn selber, an Händen und Füßen gebunden, unserm Feind überantworten, zur bitteren Trübsal und der Knechtschaft und Erniedrigung? – O, meine Geliebten, sprechet nicht also! denn da seid ihr zu rechnen gleich denen, so da meinen, daß Jesus seinen Vater nicht bitten könne, daß er ihm zwölf Legionen Engel und noch mehr zusende. O, fallet nicht in Verzweiflung, murret nicht in euren Herzen wider des Herrn Ratschlag und machet eure Leber nicht schwarz wider seinen Willen! Denn der, den der Herr niederschlagen will, der wird zermalmet; der, den der Herr aufrichten will, der lebet in Sicherheit. Und er ist der, so viele Wege hat, uns aus den Wüsten und Wildnissen der Fährlichkeit zu führen; oder vermag er nicht das Herz des Feindes zu wenden, oder ließ er nicht den Todesengel durch Sancheribs Lager schreiten, oder habet ihr vergessen die verschlingenden Wasser des Roten Meeres oder König Pharaos hastigen Untergang? ...«

      Hier ward Jesper Kiim unterbrochen.

      Die Menge hatte ihn ziemlich ruhig angehört; nur draußen aus den äußersten Reihen war hin und wieder ein gedämpftes, drohendes Murmeln erklungen. Da war es, daß Mette Senfkökerins scharfe Stimme ihm gellend zuschrie: »Hu, du Höllengast! Willst du schweigen, schwarzer Hund, der du bist! – höret nicht auf ihn, es ist schwedisches Geld, das aus seinem Munde spricht!«

      Es wurde einen Augenblick ganz still, aber dann brach der Lärm los: Hohnworte, Flüche und Verwünschungen regneten auf ihn herab. Er versuchte zu reden, aber da wurden die Rufe noch stärker, und die, so der Treppe zunächst waren, drängten drohend auf ihn ein. Ein weißhaariges Männchen ganz vorn, das die ganze Zeit während der Predigt geweint hatte, stach nun wütend nach ihm mit seinem langen, silberknopfigen Stock.

      »Nieder mit ihm!« schrie man, »nieder mit ihm! er soll widerrufen, was er gesagt hat; er soll gestehen, was er gekriegt hat, um uns zu verführen. Nieder mit ihm! Gebt ihn uns hierher zum Geständnis! Wir wollen es ihm schon abzwacken!«

      »Er soll in den Keller, das soll er,« riefen andere, »er soll in den Ratsstubenkeller! Langt ihn herab! langt ihn herab!«

      Ein paar starke Kerle hatten ihn schon gepackt. Der Unglückliche klammerte sich an das Holzgeländer der Treppe; da rissen sie dieses und auch ihn auf die Straße hinab, hinunter unter die Menge. Er wurde mit Fußtritten und Faustschlägen empfangen. Alle Weiber zerrten an seinem Haar und seinen Kleidern, so daß kleine Jungen, die an der Hand ihres Vaters dastanden und zusahen, vor Vergnügen hüpften.

      »Laßt Mette vorkommen!« wurde von hinten hergeschrien, »geht beiseite! beiseite! Mette soll ihn in Verhör nehmen.«

      Mette kam hervor. »Will Er seine Teufelspredigt wieder zurücknehmen? will Er das, Meister Lurifax?«

      »Nimmermehr, nimmermehr! Man soll Gott mehr gehorchen denn den Menschen, wie geschrieben stehet.«

      »Soll man das!« sagte Mette und zog ihren Holzpantoffel aus und bedrohte ihn damit, »aber die Menschen haben Holzpantoffel, das haben sie, und du bist ein Soldknecht des Satans und nicht Gottes des Herrn, ich werd dich schlagen, das werd ich, daß dein Gehirn da nebenan auf der Mauer sitzen soll!« und sie schlug ihn mit dem Pantoffel.

      »Versündiget Euch nicht, Mette«, stöhnte der Magister.

      »Da soll denn doch der Satan!« kreischte sie.

      »Still, still,« rief man, »nehmt euch in acht, nehmt euch in acht und dränget nicht so; da kommt Gyldenlöv, der Generalleutnant!«

      Eine hohe Gestalt ritt vorüber.

      »Lange lebe Gyldenlöv! der tapfere Gyldenlöv!« brüllte die Menge.

      Man schwenkte mit Hüten und Mützen, und die Rufe wollten kein Ende nehmen; dann ritt die Gestalt weiter, dem Walle zu.

      Es war der Generalleutnant der Miliz, Oberst zu Pferde und zu Fuß, Ulrik Christian Gyldenlöve, des Königs Halbbruder.

      Die Menge zerstreute sich, es wurden weniger und weniger, bald waren es nur noch ein paar einzelne.

      »Es ist gleichwohl kurios,« sagte Färber Gert, »da schlagen wir dem den Kopf entzwei, der von Friedfertigkeit redet, und rufen uns heiser für den, der am meisten schuld an dem Kriege ist.«

      »Gott befohlen, Gert Pyper, Gott befohlen und eine geruhsame gute Nacht!« sagte der Kaufmann abbrechend und eilte von ihm weg.

      »Der denkt an Mettes Pantoffel!« murmelte der Färber; dann ging auch er.

      Drüben auf der Treppe saß Jesper Kiim ganz allein und hielt sich den schmerzenden Kopf; und oben auf dem Wall gingen die Wächter auf und nieder und spähten über das dunkle Land hinaus, wo alles still war, ganz still, obwohl Tausende von Feinden da draußen lagen.

      Viertes Kapitel

      Gelbrote Lichtflecke schossen über der meergrauen Nebelbank am Horizont auf und entzündeten die Luft über sich, so daß sie in einer sanften, rosengüldenen Flamme brannte, die sich weiter und weiter ausbreitete, bleicher und bleicher, bis hinauf zu einer langen, schmalen Wolke; sie griff nach ihrem welligen Saum, machte ihn glühend, goldig, blendend. Über dem Kallebostrand war es hell von violettem und rötlichem Widerschein aus den Wolken der Sonnenecke. Der Tau zitterte auf dem hohen Gras des Westerwalles, und die Spatzen zwitscherten auf den Dächern dahinter und in den Gärten davor, so daß die Luft ein einziges bebendes Klingen war. Aus den Gärten trieb ein leichter, feiner Dunst in schmalen Streifen,


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