Die Kreuzritter. Henryk Sienkiewicz

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Die Kreuzritter - Henryk Sienkiewicz


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war, sich also vernehmen: »Was überlegt Ihr lange? Ihr seid wirklich thöricht. Hat denn keiner von Euch gehört, daß die Königin ein Wunder erlebte, daß das Bild Christi zu ihr gesprochen hat? Und wenn selbst der Erlöser sich zu solchen Vertraulichkeiten herbeiläßt, weshalb sollte ihr der heilige Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, nicht gewogen sein? Der heilige Geist aber hat ihr die Gabe verliehen, in die Zukunft zu sehen und alles gerade so im voraus zu bestimmen, als ob es vor ihr stattfände. Und die Königin hat sich also vernehmen lassen ...«

       Hier hielt der Hochbetagte plötzlich inne, griff sich an die Stirn und fuhr dann fort: »Ja, ja, ich vergaß, was sie sagte, aber ich werde mich dessen bald wieder erinnern ...«

       Mit sichtlicher Anstrengung begann er zu überlegen, die andern aber warteten andächtig, denn es war allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Königin die Zukunft voraussehen könne.

       »Ja, ja,« bemerkte er endlich, »jetzt habe ich es! Die Königin erklärte, daß wenn alle Ritter samt und sonders mit dem Fürsten Witold gegen den Lahmen auszögen, die heidnische Macht zerstört würde. Man könne aber nicht alle Ritter entbehren wegen der Verderbtheit der christlichen Fürsten. Es sei nötig, die Grenzen zu schützen vor den Böhmen, vor den Ungarn und vor den Kreuzrittern, denn man dürfe niemand trauen. So aber nur ein Teil der Polen mit Witold auszieht, wird ihn Tamerlan oder einer von dessen Heerführern besiegen, da der Lahme über eine ungeheure Heeresmacht verfügt.«

       »Jetzt herrscht aber doch Frieden an den Grenzen,« bemerkte einer der Ritter, »und der Orden selbst will dem Witold Heeresfolge leisten. Die Kreuzritter müssen dies ja thun, denn erstens wäre es eine Schmach für sie, wenn sie anders handelten, und zweitens liegt ihnen auch daran, dem heiligen Vater zu beweisen, daß sie zum Kampfe gegen die Heiden bereit sind. Wie allgemein behauptet wird, soll ja Kuno von Lichtenstein nicht nur der Taufe wegen, sondern auch um dieser Beratungen willen, hier weilen.«

       »Da ist er!« rief plötzlich Macko aus.

       »Fürwahr er ist's!« stimmte Powala, sich umschauend, bei, »fürwahr er ist's. Er weilte nur kurz bei dem Abte in Tyniec.«

       »Es hat ihm wohl keine Ruhe dort gelassen,« bemerkte Macko finster.

       Mittlerweile kam Kuno von Lichtenstein an den Sprechenden vorüber. Er erkannte jedoch weder Macko noch Zbyszko, da er sie zuvor bloß im Helme gesehen hatte, der selbst beim offenen Visiere nur einen kleinen Teil des Gesichtes freiließ. Im Vorbeigehen nickte der Kreuzritter dem Powala aus Taczew zu, um dann, von seinen Pagen gefolgt, die Treppen des Domes mit langsamen, majestätischen Schritten zu ersteigen.

       Den Beginn der Messe verkündigend, ertönten nun laut die Glocken, deren Klang eine Schar von Dohlen und Tauben emporscheuchte, die in den Türmen nisteten. Macko und Zbyszko traten gemeinsam mit den andern in die Kirche, beide nicht wenig beunruhigt durch die rasche Wiederkehr Lichtensteins.

       Doch während der ältere Edelmann seine Erregung nur schwer bemeistern konnte, wurde die Aufmerksamkeit des jüngeren bald vollständig durch den königlichen Hof in Anspruch genommen. Nie im Leben hatte er etwas Glänzenderes als diese Kirche und diese Versammlung gesehen, die bedeutendsten Männer des Königreiches, berühmt im Rate und im Kriege, waren hier versammelt. Ein Teil derer freilich, durch deren Weisheit die Ehe des Großfürsten von Litauen mit der wunderbar schönen und jugendlichen, polnischen Königin zu stande gekommen war, hatte schon das Zeitliche gesegnet, aber gar mancher von ihnen lebte noch und wurde mit ganz besonderer Ehrfurcht betrachtet. Der junge Ritter konnte sich nicht satt sehen an der imponierenden Erscheinung des Jasko aus Teczyn, des Krakauer Kastellans, der kraftvolle Strenge mit Milde und Gerechtigkeit zu vereinigen wußte; er bewunderte den klugen und ernsten Blick anderer Räte oder die charakteristischen Gesichtszüge der Rittersleute mit den über der Stirn gerade geschnittenen Haaren, welche dann in langen Locken auf Schultern und Rücken herabfielen. Etliche von ihnen trugen Netze, etliche nur Bänder, welche die Haare zusammenhielten. Die ausländischen Gäste – die Gesandten des römischen Königs, die böhmischen, ungarischen und rakuser Gesandten und ihr Gefolge erregten das größte Aufsehen durch die Pracht ihrer Gewänder. Die litauischen Knäse und Bojaren hatten trotz der sommerlichen Hitze ihre pelzverbrämten Röcke angethan. Die russischen Knäse in weiten, aber steifen, goldgestickten Gewändern, nahmen sich mit den Kirchenmauern als Hintergrund wie byzantinische Bilder aus. Aber mit der größten Spannung erwartete Zbyszko den Eintritt des Königs und der Königin, und er drängte sich so weit wie möglich zu der Stalla vor, hinter welcher, in der Nähe des Altars, zwei Kissen aus rotem Samt zu sehen waren, weil das Königspaar gewöhnlich die Messe auf den Knien zu hören pflegte. Die Versammlung mußte nicht lange warten. Durch die Thüre der Sakristei erschien zuerst der König, allen genau sichtbar. Seine schwarzen Haare, von denen einige etwas verwirrt über die Stirn hingen, fielen zu beiden Seiten lang herab, waren aber hinter die Ohren geschoben. Die dunkle Farbe seines glatt rasierten Gesichtes mußte auffallen, ebenso seine gebogene, spitze Nase. Um die Mundwinkel zogen sich tiefe Falten; mit seinen kleinen, schwarzen und glänzenden Augen blickte er lebhaft umher, als ob er sich, bevor er den Altar erreichte, über die Zahl der in der Kirche Anwesenden vergewissern wolle. Seine Züge hatten einen gutmütigen Ausdruck, aber gleichzeitig auch etwas Gespanntes, und seine hastigen, unsicheren Bewegungen bezeugten, daß er sich vor boshaften Bemerkungen fürchte. Er war daher sichtlich bemüht, stets auf seiner Hut zu sein und der Würde Rechnung zu tragen, die ihm ein unverhofftes Glück hatte zu teil werden lassen. Daß ihn indessen die geringfügigste Ursache zum Aufbrausen bringen könnte, das war nicht schwer zu erraten, und niemand mochte daran zweifeln, daß dieser Fürst, seinerzeit durch die Hinterlist der Kreuzritter aufs höchste erbost, ihrem Gesandten hatte zurufen können: »Du kommst zu mir mit dem Pergamente, und ich zu Dir mit dem Speere.«

       Durch seine tiefe und wahre Frömmigkeit ward indessen jetzt seine angeborene Heftigkeit in Schranken gehalten. Nicht nur die neu getauften litauischen Fürsten, sondern auch die seit Generationen christlichen, polnischen Edelleute wurden immer erbaut durch den Anblick des Königs in der Kirche. Stets schob er von Zeit zu Zeit das Kissen hinweg, um, der größeren Buße wegen, auf den nackten Steinen zu knien; gar häufig hob er die Hände flehend empor und hielt sie so lange nach oben, bis sie von selbst vor Ermüdung zurückfielen. Er hörte wenigstens drei Messen täglich und hörte sie alle voll Inbrunst. Das Ertönen des Glöckchens bei der Wandlung erfüllte seine Seele mit Wonne. Nach Beendigung der Messe verließ er gewöhnlich die Kirche, wie vom Schlafe erquickt, beruhigt und besänftigt, und nur zu bald hatten es die Hofleute herausgefunden, daß diese Zeit die geeignetste war, wenn man seine Verzeihung erlangen oder ein Geschenk erhalten wollte.

       Auch Jadwiga trat durch die Thüre der Sakristei ein. Als die in der Nähe der Stalla stehenden Ritter ihrer ansichtig wurden, knieten sie unwillkürlich nieder, ihr die Ehren wie einer Heiligen zollend. Zbyszko folgte dem Beispiele, denn niemand in der ganzen Versammlung zweifelte daran, daß Jadwiga, die seit Jahren das strengste Bußleben führte, eine Heilige sei, daß mit deren Bildern zukünftig die Kirchenaltäre geschmückt werden würden. Von Mund zu Mund ging unter den Edlen und unter dem Volke der Ruf von ihren Wunderthaten. Allgemein wurde behauptet, die Berührung ihrer Hand heile die Kranken. Menschen, welche des Gebrauches ihrer Glieder beraubt gewesen waren, hatten ihre Gesundheit wieder gewonnen, nachdem die Königin ihre Hand auf sie gelegt. Glaubwürdige Zeugen berichteten, daß sie mit eigenen Ohren gehört hatten, wie einmal Christus am Altare zu ihr gesprochen habe. Die auswärtigen Monarchen verehrten sie auf den Knien, selbst die trotzigen Kreuzritter beugten sich vor ihr und fürchteten sich, sie zu kränken, ja, Papst Bonifacius IX. nannte sie eine Heilige und eine auserwählte Tochter der Kirche. In der ganzen Welt bewunderte man ihre Thaten und dachte mit Staunen daran, wie dies wunderbar schöne Kind des angiovinischen Hauses und der polnischen Piasten, wie die Tochter des mächtigen Ludwig, welche an dem glänzendsten Hofe erzogen worden war, auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte, verzichtet hatte auf ihre erste, jungfräuliche Liebe, um als Königin sich mit einem »wilden« litauischen Fürsten zu vermählen, damit sie in Gemeinschaft mit ihm das letzte heidnische Volk Europas dem Kreuze zugänglich mache. Was die vereinigten Kräfte der Deutschen, was die Macht der Orden, was die Kreuzzüge, was all das vergossene Blut lange nicht zu stande hatten bringen


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