Krieg und Frieden. Лев Толстой

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Krieg und Frieden - Лев Толстой


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bitte Sie, ich beschwöre Sie, schonen Sie ihn ...«

      Die Prinzessin schwieg. Es war nichts zu hören als das Geräusch des angestrengten Ringens um das Portefeuille. Der Prinzessin war anzusehen, daß, wenn sie gesprochen hätte, sie ihrer Gegnerin keine Schmeicheleien gesagt haben würde. Anna Michailowna hielt an dem Portefeuille mit kräftigem Griff fest; aber trotzdem behielt ihre Stimme durchaus den süßen, milden, ruhigen Klang bei.

      »Pierre, kommen Sie her, mein Freund«, sagte sie. »Ich glaube, er ist bei einem Familienrat keine überflüssige Person. Nicht wahr, Fürst?«

      »Warum schweigen Sie denn, Kusin?« rief auf einmal die Prinzessin so laut, daß es die nebenan im Salon Anwesenden hörten und über ihre Stimme einen Schreck bekamen. »Warum schweigen Sie, während sich hier Gott weiß wer erlaubt, sich einzumischen und an der Schwelle des Sterbezimmers eine häßliche Szene zu machen? Intrigantin!« flüsterte sie wütend und zog das Portefeuille aus Leibeskräften an sich; aber Anna Michailowna tat ein paar Schritte vorwärts, um das Portefeuille nicht loszulassen, und faßte wieder fester zu.

      »Oh, oh!« sagte Fürst Wasili vorwurfsvoll und erstaunt. Er stand auf. »Das ist ja lächerlich. Lassen Sie jetzt beide los; ich muß sehr darum bitten.« Die Prinzessin ließ los.

      »Sie auch!«

      Anna Michailowna hörte nicht auf ihn.

      »Lassen Sie los! sage ich. Ich will die ganze Sache selbst übernehmen. Ich werde zu ihm gehen und ihn fragen. Ich selbst. Das könnte Ihnen genügen.«

      »Aber, Fürst!« versetzte Anna Michailowna. »So lassen Sie ihm doch eine Minute Ruhe, nachdem er soeben das hochheilige Sakrament empfangen hat. Aber Sie, lieber Pierre, sollten uns doch auch Ihre Meinung sagen«, wandte sie sich an den jungen Mann, der nun, ganz nah herantretend, erstaunt das ingrimmige, an kein Gebot des Anstandes sich mehr haltende Gesicht der Prinzessin und die zuckenden Wangen des Fürsten Wasili betrachtete.

      »Vergessen Sie nicht, daß Sie für alle Folgen haften werden«, sagte Fürst Wasili in strengem Ton. »Sie wissen nicht, was Sie tun.«

      »Nichtswürdiges Weib!« schrie die Prinzessin, stürzte unerwartet auf Anna Michailowna los und entriß ihr das Portefeuille. Fürst Wasili senkte den Kopf und hielt die Arme auseinander, als ob er sagen wollte: »Welch ein Benehmen!«

      In diesem Augenblick wurde die Tür, jene schreckliche Tür, nach welcher Pierre vorhin so lange hingeblickt hatte, und die damals immer so behutsam geöffnet worden war, plötzlich schnell und geräuschvoll aufgerissen, so daß sie gegen die Wand schlug. Die mittelste der Prinzessinnen stürzte von dort herein und schlug verzweifelt die Hände zusammen.

      »Was tut ihr hier!« rief sie in größter Aufregung. »Er stirbt, und ihr laßt mich bei ihm allein!«

      Die älteste Prinzessin ließ das Portefeuille fallen. Anna Michailowna bückte sich schnell, ergriff das Streitobjekt und lief damit in das Schlafzimmer. Sobald Fürst Wasili und die älteste Prinzessin ihre Gedanken wieder gesammelt hatten, gingen sie ihr nach. Einige Minuten darauf kam zuerst die älteste Prinzessin von dort wieder heraus; ihr Gesicht sah blaß und starr aus, und sie biß sich auf die Unterlippe. Bei Pierres Anblick trat ein Ausdruck unbeherrschbarer Wut auf ihr Gesicht.

      »Ja, nun können Sie sich freuen!« sagte sie. »Darauf haben Sie ja nur gelauert!« Und aufschluchzend verbarg sie das Gesicht im Taschentuch und lief aus dem Zimmer.

      Nach der Prinzessin kam Fürst Wasili wieder aus dem Sterbezimmer heraus. Schwankend schritt er nach dem Sofa hin, auf welchem Pierre saß, ließ sich darauf niederfallen und bedeckte die Augen mit der Hand. Pierre bemerkte, daß er blaß war, und daß sein Unterkiefer zuckte und zitterte wie beim Fieber.

      »Ach, mein Freund«, sagte er und faßte Pierre am Ellbogen; seine Stimme klang so aufrichtig und so matt, wie es Pierre früher noch nie bei ihm gehört hatte. »Wie oft sündigen wir! Wie oft suchen wir andere Menschen zu täuschen! Und wozu das alles? Ich bin ein hoher Fünfziger, mein Freund ... Ich werde ja bald ... Und mit dem Tod ist alles zu Ende, alles. Der Tod ist etwas Schreckliches.« Er weinte.

      Anna Michailowna war die letzte, die wieder zurückkam. Mit leisen, langsamen Schritten ging sie auf Pierre zu.

      »Pierre!« sagte sie.

      Pierre blickte sie fragend an. Sie küßte den jungen Mann auf die Stirn, die dabei von ihren Tränen benetzt wurde. Sie schwieg einen Augenblick.

      »Er ist nicht mehr ...«

      Pierre sah sie durch seine Brille an.

      »Kommen Sie nur, ich will Sie führen. Versuchen Sie zu weinen; nichts erleichtert so wie Tränen.«

      Sie führte ihn in einen dunklen Salon, und Pierre war froh, daß da niemand sein Gesicht sah. Anna Michailowna verließ ihn, und als sie wieder zurückkam, schlief er fest, den Arm unter den Kopf gelegt.

      Am andern Morgen sagte Anna Michailowna zu Pierre:

      »Ja, mein Freund, das ist für uns alle ein großer Verlust, von Ihnen gar nicht zu reden. Aber Gott wird Ihnen Kraft verleihen, ihn zu tragen; Sie sind jung, und Sie sind jetzt, wie ich hoffe, Herr eines gewaltigen Vermögens. Das Testament ist noch nicht eröffnet. Ich kenne Sie hinreichend und bin überzeugt, daß Ihnen dieser Umschwung nicht den Kopf verdrehen wird; aber es werden Ihnen dadurch auch Pflichten auferlegt, und da müssen Sie sich als Mann zeigen.«

      Pierre schwieg.

      »Später einmal werde ich Ihnen vielleicht erzählen, daß, wenn ich nicht am Platz gewesen wäre, wohl Gott weiß was geschehen wäre. Sie wissen, daß der liebe Onkel mir noch vorgestern versprochen hatte, für Boris etwas zu tun, daß er aber nicht mehr dazu gekommen ist. Ich hoffe, mein Freund, Sie werden diesen Wunsch Ihres Vaters erfüllen.«

      Pierre verstand nichts von dem, was sie sagte, und blickte die Fürstin Anna Michailowna schweigend mit verlegenem Erröten an. Nach diesem Gespräch mit Pierre fuhr Anna Michailowna zu Rostows und legte sich schlafen. Nachdem sie am Vormittag ausgeschlafen hatte, erzählte sie der Familie Rostow und allen Bekannten Einzelheiten vom Tod des Grafen Besuchow. Sie sagte, der Graf sei so gestorben, wie sie selbst einmal zu sterben wünschen würde; sein Ende sei nicht nur rührend, sondern auch erbaulich gewesen. Besonders sei das letzte Zusammensein von Vater und Sohn so ergreifend gewesen, daß sie nicht ohne Tränen daran denken könne; sie wisse nicht, wer sich in diesen furchtbaren Augenblicken schöner benommen habe: der Vater, der in seinen letzten Minuten noch an alles und an alle so freundlich gedacht und so rührende Worte zu seinem Sohn gesprochen habe, oder Pierre, den man gar nicht ohne das tiefste Mitgefühl habe ansehen können, wie niedergeschmettert er gewesen sei, und wie er trotzdem sich bemüht habe, seinen Schmerz zu verbergen, um nicht dem sterbenden Vater das Hinscheiden noch schwerer zu machen. »Es war schmerzlich«, sagte sie, »aber doch auch erhebend; man hat das Gefühl, in reinere Sphären entrückt zu sein, wenn man solche Männer sieht wie den alten Grafen und seinen würdigen Sohn.« Von dem Benehmen der Prinzessin und des Fürsten Wasili erzählte sie gleichfalls, mit ihrer Mißbilligung nicht zurückhaltend, aber nur flüsternd und unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses.

      XXV

      In Lysyje-Gory, dem Gut des Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonski, wurde täglich die Ankunft des jungen Fürsten Andrei und seiner Gemahlin erwartet; aber durch diese Erwartung wurde die regelmäßige Ordnung, nach der sich das Leben im Haus des alten Fürsten abspielte, nicht gestört. Der General en chef Fürst Nikolai Andrejewitsch, der in den höheren Gesellschaftskreisen den Spitznamen »der König von Preußen« führte, wohnte, seitdem er unter der Regierung des Kaisers Paul aus den Residenzen verwiesen war, auf seinem Gut Lysyje-Gory, ohne es jemals zu verlassen, und mit ihm seine Tochter, Prinzessin Marja, und deren Gesellschafterin Mademoiselle Bourienne. Auch unter der neuen Regierung war er, obgleich ihm die Erlaubnis zur Rückkehr in die Residenzen erteilt worden war, beständig auf dem Land wohnen geblieben; er sagte, wer etwas von ihm wolle, der werde auch die hundertfünfzig Werst von Moskau nach Lysyje-Gory fahren; er selbst aber brauche niemand und nichts. Er war der Ansicht, alle Fehler der Menschen entsprängen nur aus zwei Quellen: Müßiggang und


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