Krieg und Frieden. Лев Толстой

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Krieg und Frieden - Лев Толстой


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Sie, mein Freund, worin man Ihnen gegenüber nicht recht gehandelt hat; bedenken Sie: er ist Ihr Vater ... und vielleicht seinem Ende nahe.« Sie seufzte. »Ich habe Sie sogleich so liebgewonnen wie ich meinen eigenen Sohn liebe. Haben Sie zu mir Vertrauen, Pierre. Ich werde mich Ihrer Interessen eifrig annehmen.«

      Pierre verstand von alledem nichts; aber er hatte wieder, und in noch stärkerem Maß, das Gefühl, es müsse wohl alles notwendigerweise so sein, und so ging er denn gehorsam hinter Anna Michailowna her, die bereits die Tür geöffnet hatte.

      Diese Tür führte in das zu dem hinteren Korridor gehörige Vorzimmer. In einer Ecke saß der alte Diener der Prinzessinnen und strickte an einem Strumpf. Pierre war noch nie in diesem Teil des Hauses gewesen und hatte von dem Vorhandensein dieser Zimmer überhaupt keine Ahnung gehabt. Anna Michailowna erkundigte sich bei einem Stubenmädchen, das, ein Tablett mit einer Wasserkaraffe in der Hand, sie überholte, nach dem Befinden der Prinzessinnen, wobei sie sie mit »Meine Liebe« und »Täubchen« anredete, und zog Pierre weiter den steinernen Korridor entlang. Aus diesem Korridor führte die erste Tür links in die Wohnzimmer der Prinzessinnen. Das Stubenmädchen mit der Wasserkaraffe hatte in der Eile (wie denn in dieser Zeit alles in diesem Haus in Eile geschah) die Tür nicht zugemacht und Pierre und Anna Michailowna blickten im Vorbeigehen unwillkürlich in das Zimmer hinein, wo die älteste Prinzessin und Fürst Wasili dicht beieinander saßen und angelegentlich zusammen sprachen. Als Fürst Wasili die beiden Vorübergehenden sah, machte er eine Bewegung des Unwillens und lehnte sich nach hinten zurück; die Prinzessin aber sprang auf und warf mit wütender Miene aus Leibeskräften mit lautem Knall die Tür zu.

      Dieses Benehmen paßte so wenig zu der sonstigen steten Ruhe der Prinzessin, und die ängstliche Verlegenheit, die sich auf dem Gesicht des Fürsten Wasili malte, stand in einem solchen Widerspruch zu der ihm eigenen vornehmen Würde, daß Pierre stehenblieb und seine Führerin fragend durch die Brille anblickte. Anna Michailowna jedoch zeigte sich ganz und gar nicht erstaunt; sie lächelte nur leise und seufzte, wie um anzudeuten, daß sie das alles erwartet habe.

      »Seien Sie ein Mann, mein Freund; ich werde jetzt über Ihre Interessen wachen«, sagte sie als Antwort auf seinen Blick und schritt noch schneller den Korridor entlang.

      Pierre verstand nicht, um was es sich handelte, und noch weniger, was es bedeutete, daß Anna Michailowna »über seine Interessen wachen« wollte; aber er meinte wieder im stillen, das müsse eben wohl alles so sein. Auf dem Korridor gelangten sie zu dem halberleuchteten Saal, der an das Wartezimmer des Grafen stieß. Dieser Saal war einer jener kalt aussehenden, luxuriös eingerichteten Räume, die Pierre von dem Hauptportal her kannte. Aber auch dieser Saal bot jetzt einen eigenartigen Anblick: mitten darin stand eine leere Badewanne, und auf dem Teppich war Wasser verschüttet. In der Tür begegneten ihnen, auf den Fußspitzen gehend, ohne sie zu beachten, ein Lakai und ein Kirchendiener mit einem Räucherfaß. Pierre und Anna Michailowna gingen durch den Saal in das dem ersteren wohlbekannte Wartezimmer mit den zwei italienischen Fenstern, einem Ausgang nach dem Wintergarten, einer großen Büste der Kaiserin Katharina und einem Porträt derselben in ganzer Figur. Hier im Wartezimmer saßen noch dieselben Personen wie vorher, fast in derselben Haltung, und flüsterten miteinander. Aber nun verstummten alle plötzlich und blickten nach der eintretenden Anna Michailowna mit ihrem vergrämten, blassen Gesicht hin und nach dem dicken, großen Pierre, der mit gesenktem Kopf ihr gehorsam folgte.

      Auf Anna Michailownas Gesicht prägte sich das Bewußtsein aus, daß der entscheidende Augenblick gekommen sei; mit dem Benehmen einer in Dingen des praktischen Lebens gewandten Petersburgerin trat sie, ohne Pierre aus ihrer Nähe wegzulassen, ins Zimmer, noch kühner und mutiger als am Nachmittag. Sie war überzeugt, daß, da sie in Begleitung des jungen Mannes kam, den der Sterbende zu sehen gewünscht hatte, auch sie mit Sicherheit zu ihm gelassen werden würde. Mit einem schnellen Blick musterte sie alle im Zimmer Anwesenden, und als sie unter ihnen den Beichtvater des Grafen bemerkte, trippelte sie (ohne sich eigentlich zu bücken, war ihre Gestalt plötzlich bedeutend kleiner geworden) mit kleinen, eiligen Schritten zu ihm hin und nahm ehrerbietig zuerst seinen Segen, dann den Segen eines andern neben ihm stehenden geistlichen Herrn in Empfang.

      »Gott sei Dank«, sagte sie zu dem Beichtvater, »daß Sie noch zur Zeit gekommen sind, hochwürdiger Herr. Wir Verwandten waren alle schon so voll Sorge. Dieser junge Mann hier ist der Sohn des Grafen«, fügte sie leiser hinzu. »Ein schrecklicher Augenblick!«

      Nachdem sie das zu dem Geistlichen gesagt hatte, trat sie zu dem Arzt.

      »Lieber Doktor«, sagte sie zu ihm, »dieser junge Mann ist der Sohn des Grafen. Ist noch Hoffnung vorhanden?«

      Der Arzt zog schweigend mit einer schnellen Bewegung die Schultern in die Höhe und richtete die Augen nach der Zimmerdecke. Anna Michailowna machte mit Schultern und Augen genau das gleiche, wobei sie die Augen fast gänzlich schloß; dann seufzte sie und trat von dem Arzt weg wieder zu Pierre. Sie benahm sich gegen ihn besonders respektvoll und mit einer Art von wehmütiger Zärtlichkeit.

      »Vertrauen Sie auf Gottes Barmherzigkeit«, sagte sie. Dann wies sie ihm ein Sofa an, wo er sich hinsetzen und auf sie warten sollte, und ging selbst geräuschlos zu der Tür hin, nach welcher alle hinblickten; nach einem kaum vernehmbaren, leisen Knarren dieser Tür verschwand sie hinter ihr.

      Pierre, der sich vorgenommen hatte, seiner Ratgeberin in allen Stücken zu gehorchen, ging nach dem Sofa hin, das sie ihm angewiesen hatte. Sowie Anna Michailowna verschwunden war, bemerkte er, daß die Blicke aller im Zimmer Anwesenden mit einem Interesse auf ihn gerichtet waren, das über die gewöhnliche Neugier und Teilnahme weit hinausging. Er bemerkte, daß alle miteinander flüsterten und dabei mit den Augen zu ihm hindeuteten, mit einer Art von ängstlicher Scheu, die sogar etwas von kriecherischer Unterwürfigkeit an sich hatte. Sie legten einen Respekt vor ihm an den Tag, wie er dem jungen Mann noch nie entgegengebracht worden war. Eine ihm unbekannte Dame, die auf dem Sofa saß und mit dem Geistlichen sprach, stand von ihrem Platz auf und bot ihn ihm an; der Adjutant hob den Handschuh auf, welchen Pierre hatte hinfallen lassen, und reichte ihn ihm; die Ärzte unterbrachen respektvoll ihr Gespräch, als er an ihnen vorbeiging, und traten zur Seite, um ihm Raum zu machen. Pierre wollte sich zuerst auf einen andern Platz setzen, um die Dame nicht zu stören, und wollte seinen Handschuh selbst aufheben und um die Ärzte herumgehen, die ihm eigentlich gar nicht im Weg standen; aber er hatte auf einmal das Gefühl, daß das nicht passend sein würde; er hatte das Gefühl, daß er in dieser Nacht eine Persönlichkeit sei, der es obliege, eine furchtbare, von allen erwartete Zeremonie zu vollziehen, und daß er deshalb die Dienste aller andern Leute anzunehmen habe. Er nahm schweigend den Handschuh von dem Adjutanten entgegen, setzte sich auf den Platz der Dame, wobei er in der wunderlichen Haltung einer ägyptischen Statue seine großen Hände auf die symmetrisch gestellten Knie legte, und verblieb bei der Anschauung, daß dies alles genau so und nicht anders sein müsse, und daß er an diesem Abend, um nicht konfus zu werden und Dummheiten zu machen, nicht nach seinem eigenen Urteil handeln dürfe, sondern sich vollständig dem Willen der Leute, die ihn beraten würden, unterordnen müsse.

      Es waren noch nicht zwei Minuten vergangen, als Fürst Wasili in einem langschößigen Rock, mit drei Ordenssternen, in imponierender Haltung, mit hochaufgerichtetem Haupt ins Zimmer trat. Er schien im Laufe dieses Tages magerer geworden zu sein; seine Augen waren größer als sonst, als er sie im Zimmer umherwandern ließ und Pierre anblickte. Er trat zu ihm, ergriff seine Hand (was er früher nie getan hatte) und zog sie nach unten herunter, wie wenn er versuchen wollte, ob sie auch fest säße.

      »Verzagen Sie nicht, mein Freund, lassen Sie nicht den Mut sinken. Er hat Sie rufen lassen. Das ist gut ...« Damit wollte er weitergehen; aber Pierre hielt es für nötig zu fragen:

      »Wie ist denn das Befinden ...« Er stockte, weil er nicht wußte, ob es für ihn passend sei, den Sterbenden als den »Grafen« zu bezeichnen; ihn »Vater« zu nennen war ihm peinlich.

      »Vor einer halben Stunde hat ihn wieder der Schlag gerührt. Aber verlieren Sie nicht den Mut, mein Freund.«

      Pierre befand sich in einem solchen Zustand geistiger Verwirrung, daß ihm bei dem Wort »Schlag« der Gedanke an den Schlag irgendeines Körpers kam. Er sah den Fürsten Wasili verständnislos an und besann sich erst einige Augenblicke


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