Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

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Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю


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dem Manne die Tasche vielleicht zurückgeben ... Wißt Ihr,« wendete sie sich an Tom, »wo Saint-Denis liegt?« »Ja.« »Nun, gegenüber von Saint-Ouen, da wo der chemin de la révolte aufhört, wird die Ebene ganz flach, daß man weithin über die Felder sehen kann. Kommen Sie morgen früh allein dort hin mit dem Gelde. Ich werde mit der Brieftasche da sein. Wir tauschen beides gegeneinander aus.«

      »Nichts da, Eule. Der Mann läßt dich abfassen.« »Aber sei doch nicht dumm, Bakel; man kann dort doch weithin über alle Felder sehen. Wenn ich auch bloß ein Auge noch habe, so macht das nichts... Ich sehe noch immer für zwei. Kommt der Mann nicht allein, dann kriegt er mich eben nicht zu sehen.« Sarah schien auf einen Gedanken Zu kommen. »Habt Ihr«; wandte sie sich an Bakel, »den Mann in dem Gasthause gesehen, der vom Kohlenträger herausgerufen wurde?« »Ein schlanker Mensch mit Schnurrbart? O ja, wollt' ihn doch gerade bläuen, bekam aber von ihm ein paar Fausthiebe, daß ich hintenüber kippte. So etwas ist mir im ganzen Leben noch nicht passiert! Aber heimzahlen werd ichs ihm. Wer mir tausend Franks gibt, dem versprech ich, ihn um die Ecke zu bringen.«

      »Sarah!« rief Tom, außer sich vor Entsetzen. »Mensch,« sagte Sarah Zu Bakel, »davon ist ja gar keine Rede.« »Und wovon denn?« fragte Bakel. »Sei morgen auf der Ebene von Saint-Denis, dort, wo deine Gefährtin sein will. Dort wirst du meinen Begleiter treffen. Er wird allein dasein und wird dir sagen, was du tun sollst, um tausend Franks zu verdienen. Nein,« setzte sie hinzu, »nicht tausend, sondern zweitausend, sobald es dir gelingt, die Aufgabe, die mein Begleiter dir stellen wird, zur Zufriedenheit zu lösen.«

      »Mörderchen«, sagte die Eule leise zu Bakel, »hier ist Geld zu verdienen. Es sind Leute, die Moos haben, aber gegen einen Feind einen Streich ausüben wollen. Der junge Fant ist ihr Feind, und gegen den sollst du was unternehmen. Zweitausend Franks, Bakel, das lohnt doch einiger Mühe.« »Meine Frau wird kommen«, sagte Bakel, »ihr können Sie sagen, was gemacht werden soll. Ich wills mir überlegen.« »Einverstanden. Also morgen früh Punkt sechs.« »Sie sollen das Geld für die Brieftasche haben, und eine Anzahlung auf das, was wir weiter von Euch wollen.« »Gut! Nun aber gehen Sie rechts, wir gehen links, und – lassen Sie uns ungeschoren, verstanden? Sonst ...«

      Bakel und Eule entfernten sich geschwind. Aber ungesehen von irgend einem der an diesem Auftritt beteiligten Personen war ein Mann Zeuge desselben gewesen, und zwar kein anderer als der Schuri, der hinter einem Schutthaufen Schutz vor dem prasselnden Regen gesucht hatte. Was Sarah Bakeln über Rudolf gesagt hatte, fesselte seine Aufmerksamkeit im höchsten Maße, denn die Gefahren, die jetzt seinem neuen Freunde drohten, beängstigten ihn, und er beklagte lebhaft, nichts zu seinem Schutze tun zu können, denn wie und wo sollte er Rudolf finden? Die Wohnung, die ihm der Fächermaler genannt, hatte er ja im Weinrausche schon längst vergessen. Nun, es blieb ihm weiter nichts übrig, als abzuwarten, ob Rudolf den Weg zur Kaschemme wiederfinden werde.

      Unwillkürlich war er, von seinen Gedanken beherrscht, hinter Tom und Sarah hergegangen und sah sie jetzt in einen Fiaker steigen. Flugs sprang er hintenauf. Bis um ein Uhr dauerte die Fahrt, dann hielt der Fiaker auf dem Boulevard de l'Observatoire. Dort stiegen Tom und Sarah aus, um in einem der Gäßchen zu verschwinden, die auf diese breite Straße ausmünden. Es war eine rabenfinstere Nacht. Es war dem Schurimann nicht möglich, sich irgend ein Zeichen zu suchen, an welchem sich die Stelle hätte wiedererkennen lassen, wo das Paar verschwunden war. Mit dem Scharfsinn eines Indianers zog er sein Messer aus der Tasche und schnitt in einen der Bäume, neben denen der Fiaker gehalten, eine tiefe Kerbe. Dann machte er kehrt und suchte seine urwüchsige Schlafstelle auf, von der er sich eine gar tüchtige Strecke entfernt hatte.

      Achtes Kapitel. Eine Spazierfahrt.

      Am andern Tage strahlte die hellste Herbstsonne an dem reinen blauen Himmel. Der Sturm hatte sich gelegt. Gegen elf Uhr vormittags trat Rudolf, der entweder ein neues Zusammentreffen mit dem Paare, das ihn gesucht hatte, nicht mehr scheute oder gar nicht mehr erwartete, an die Rue des Poix und schritt auf die Kaschemme zu. Er war noch immer in seiner Arbeitertracht, aber eine gewisse Eleganz in seinem Wesen, wie allem was er auf dem Leibe trug, ließ sich nicht verkennen. Unter einer neuen, vorn offnen Bluse trug er ein rotes Wollhemd mit blanken Knöpfen. Ueber dem schwarzseidnen Tuche, das er um den Hals geschlungen hatte, guckte ein weißer Hemdkragen freundlich hervor.

      Auf der Schwelle saß die Wirtin. Im Nu war sie auf den Beinen ... »Ah, junger Herr, gehorsamste Dienerin! Sie wollen doch gewiß das Geld haben, was Ihnen von den zwanzig Franks gehört, die Sie gestern mir auf den Tisch warfen? Es sind 17 Livres 10 Sous, die Sie herausbekommen. Aber ich kann vom Preise nichts herunterlassen, denn Sie haben ja vom Besten verlangt, und ich habe wirklich nichts Besseres in meinem Keller, als was ich Ihnen aufgetischt. Und nun noch eins! Es ist gestern stark nach Ihnen gefragt worden, gerade als Sie weg waren, von einem langen Herrn in sehr vornehmer Tracht und einer kleinen Dame, die aber in Männertracht ging.« »So? Die beiden Leutchen haben sich Wohl zum Schuri gesetzt und sich mit ihm unterhalten?« »Jawohl, über dies und das mögen sie gesprochen haben, ich hörte den Rotarm nennen.« »Einerlei. Deswegen komme ich nicht wieder.« »Sondern wegen Ihres Geldes – nicht wahr?« »Ja, und mit dem Mädel, das hier die Schalldirne heißt, möchte ich einen Gang in die Umgegend machen.« »Das kann nicht sein, Herr, denn sie möchte vielleicht der Weg nicht wieder zu mir herführen.« »Und warum nicht?« »Nun, was sie auf dem Leibe trägt, gehört mir, und für Essen, Trinken und Wohnen ist sie mir außerdem 220 Franks schuldig.«

      Rudolf zählte 11 Louisdor auf den Schenktisch ... »Da haben Sie, was Ihnen das Mädel schuldet ... Und was bekommen Sie für die Kleider, die Ihnen gehören?« Die alte Zuchthäuslerin war so verblüfft, daß sie sich im ersten Augenblick nicht rühren konnte. »Denkst doch nicht etwa«, sagte Rudolf, als sie endlich ein Goldstück nach dem andern vom Tische aufnahm und scharf musterte, »daß ich dir falsches Geld aufhängen will? Sprich, was bekommst du für die Lumpen, die das Mädel auf dem Leibe trägt?« – Noch immer außer stande, sich zu fassen angesichts einer solchen Summe Geldes, die von einem simplen Arbeiter ihr auf den Tisch geworfen wurde, und zwischen der Bange, übervorteilt zu werden, wie der Sucht, recht viel Vorteil noch aus der günstigen Gelegenheit für sich herauszuschlagen, hin- und herschwankend, überlegte sie einen Augenblick. Dann endlich fand sie Worte und sagte: »Nun, unter hundert Franks kann ich ihr die Kleider, die sie trägt, nicht lassen.« – »Frech, Weib, frech«, rief Rudolf, »für solchen Plunder solche Summe zu begehren! Doch da hast du das Geld. Aber schnell. Schaff die Dirne zur Stelle!«

      In der Meinung, der Arbeiter müsse eine Erbschaft gemacht oder einen feinen Fang getan haben, knickste sie höflich und sagte, während sich ein gemeines Lächeln über ihr Gesicht stahl: »Und warum will der schöne Herr nicht selbst zum Dirndl gehen? Wird die eine Freude haben! Hab ich doch gestern gleich gesehen, daß sie sich einen Narren an ihm gefressen hat!« – »Ich sage Euch, geht und holt sie!« rief Rudolf barsch; »sagt ihr, ich wolle mit ihr einen Ausflug aufs Land machen. Kein Wort mehr! Vor allem nichts davon, daß ich bei Euch ihre Schulden bezahlt habe.« – »Jesus! Schneiden Sie bloß nicht solches Gesicht!« rief die Frau; »der Gottseibeiuns sei denen gnädig, die mit Euch anbinden! ... Jesus! Ich gehe ja schon! Ich gehe ja schon!«

      Nach Verlauf weniger Minuten kehrte sie mit dem Mädchen zurück, das tief errötete, als sie Rudolfs ansichtig wurde, und verlegen die Augen niederschlug. – »Wollen Sie einen Tag mit mir aufs Land hinausfahren?« fragte Rudolf. – »Gern, Herr«, antwortete das Mädchen, »sofern es meine Herrin erlaubt.« – »Hab nichts dawider«, erwiderte diese, worauf Rudolf, ohne weitere Worte zu machen, des Mädchens Arm nahm und mit ihm über die Schwelle schritt. Am Blumenkai wartete ein Fiaker. Rudolf forderte das Mädchen auf, einzusteigen, und rief dem Kutscher zu: »Nach Saint-Denis. Wohin du dort fahren sollst, werde ich dir später sagen.«

      Der Wagen fuhr weg. An dem wolkenlosen Himmel stand die helle Herbstsonne. Durch die Wagenfenster strich die frische Luft ... Da erst sah die Sängerin, daß sie auf einem Kleidungsstücke saß ... »Was? Ein Mantelett?« rief sie. »Ja, für Sie!« erwiderte Rudolf, »damit Sie nicht frieren. Nehmen Sie es um!«

      Marienblume, an derartige Zuvorkommenheit nicht gewöhnt, sah Rudolf


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