Toni der Hüttenwirt 253 – Heimatroman. Friederike von Buchner

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Toni der Hüttenwirt 253 – Heimatroman - Friederike von Buchner


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tut sie auch, aber nicht in dem Maße, wie Sie das vielleicht angenommen haben. Damit sie es leichter hat, haben Pfarrer Zandler und einige andere es eingefädelt, dass sie hier bei uns ein Praktikum machen kann. Unser Steinmetz ist begeistert von dem jungen Talent.«

      »Ja, Lotte ist sehr begabt«, sagte Emil. »Wahrscheinlich hat sie die Neigung zur Kunst von ihrem Großvater Alois geerbt. Wenn wir im Winter im Tal waren, schnitzte mein Vater viele Figuren. Heute würde man sagen, es war sein Hobby.«

      Emil schaute unter sich. Leiser sprach er weiter: »Wissen Sie, ob mein Vater uns auch sehen will? Uns alle? Ich könnte verstehen, wenn er voller Bitternis ist.«

      Justina lächelte.

      »So viel mir bekannt ist, tröstet er Charlotte sehr. Das Madl kann vieles noch nicht verstehen. Vielleicht wird sie die Zusammenhänge erst begreifen, wenn sie älter ist. Alois freut sich, dass er Charlotte hat und sagt, alles werde sich fügen. Charlotte bedrückt die Sache natürlich. Mir gegenüber gab sie zu, dass sie sich in einem tiefen Konflikt fühlt. Ich scheute mich davor, mit Ihnen zu sprechen. Es ist nicht leicht für ein Kind, wenn es hinter ein Familiengeheimnis kommt. Ihre Tochter liebt sie. Sie will Ihnen nicht wehtun und sie nicht tadeln. Aber ihr Wissen belastet sie. Auf der anderen Seite wünscht sie sich sehnlichst, dass ein Schlussstrich gezogen wird. Gleichzeitig hat sie Angst, dass es zu einem erneuten Bruch in der Familie kommen könnte. Nämlich zwischen Ihnen, Herr Holzer, und Ihrem Bruder Harald und seiner Familie.«

      »Dann hat Lotte sich auch ihrer Cousine Sophie nicht anvertraut? Dabei standen sich die beiden Madln immer sehr nahe.«

      »Nein, das hat sie nicht, Herr Holzer. Es ist wegen Sophies älteren Bruder, Kuno. Er sollte noch nichts davon erfahren. Sie fragt sich, wie er darauf reagiert.«

      »Warum?«, fragte Monika.

      Die Ordensfrau schmunzelte leicht.

      »Nun, ich will es mal so sagen. Charlotte hat für ihr Alter erstaunlich viel Menschenkenntnis. Sie ist überzeugt, dass Kuno sehr nach seiner Mutter kommt. Sie hat wohl keine gute Meinung von ihrer Tante. Lotte erklärte mir, sie halte ihre Tante für kaltherzig, geldgierig und geizig. Genau das waren ihre Worte. Sie befürchtet, der Konflikt könnte weitergehen, da Harald unter dem Pantoffel seiner Frau stehe, der er alles verdanke. Und auch Kuno könnte kritisch reagieren. Charlotte will nicht, dass Alois zum zweiten Mal einen Sohn verliert und mittlerweile zwei Enkel. Das Madl hat Angst, dass Kunos krankhafter Ehrgeiz, seine grenzenlose Geldgier und Raffgier Unruhe auf die Berghütte bringen könnte. So hat sie es gesagt.«

      Emil rieb sich das Kinn. Er schaute seine Frau an.

      »Was sagst du dazu, Monika?«

      »Emil, wir waren uns einig«, sagte Monika mit energischem Unterton in der Stimme. »Egal, wie dein Bruder reagiert, ganz gleich, was danach kommt, wir werden versuchen, die verlorene Zeit wieder gut zu machen, auch wenn das nicht wirklich möglich ist. Und sollte Harald, wahrscheinlich angestiftet von seiner Frau, Ärger machen, dann bekommen sie es nicht allein mit Alois zu tun. Alois hat dann uns und Charlotte. Und mich würde es nicht wundern, wenn sich Sophie auch auf unsere Seite schlagen würde und damit auf Alois Seite.«

      »Ach, Monika, ich wollte, wir wären weiter«, seufzte Emil.

      »Herr Holzer«, sagte Oberin Justina freundlich, »Sie sind weiter, viel weiter, als Sie annehmen. Sie wollen zu Alois halten. Was bei der Familienzusammenführung herauskommt, wie Ihr Bruder, seine Frau und die Kinder Sophie und Kuno sich verhalten, das hat keinen Einfluss mehr auf sie. Sie sind auf dem besten Weg, sich zu befreien aus den Verstrickungen, in die sie ihr Bruder und seine Frau hineingezogen haben.«

      Emil Holzers Augen wurden feucht.

      »Frau Justina, ich schäme mich. Das tut mir so unendlich leid. Heute kann ich nicht verstehen, wie ich mich so habe beeinflussen lassen. Wie konnte ich? Warum? Ich verstehe es nicht.«

      »Seien Sie milde und nachsichtig mit sich selbst«, sagte Oberin Justina und berührte sanft Emils Unterarm. »Wichtig ist, dass Sie Ihren Fehler eingesehen haben.«

      »Sie sind sehr nachsichtig, Frau Oberin«, sagte Emil mit bebender Stimme. »Es war Unrecht, was ich getan habe. Ich habe meine Frau und unser Madl hineingezogen. Spätestens als Charlotte auf die Welt kam, hätte ich Schluss mit der Familienfehde machen müssen.«

      »Du hattest dich damals gerade selbstständig gemacht, Emil. Harald hat dir großherzig geholfen. Deshalb hattest du dich ihm verpflichtet gefühlt.«

      »Moni, das stimmt alles. Aber ich habe dabei meine Seele verkauft, mein Herz.«

      »Der Himmel freut sich über jeden reumütigen Sünder und jeden verlorenen Sohn, der heimfindet«, sagte Justina.

      Sie legte ihm ein weiteres Stück Kuchen auf den Teller.

      »Jetzt sprechen Sie zuerst einmal mit ihrer Tochter«, riet sie. »So wie ich das Madl einschätze, wird ihr ein großer Stein von der Seele fallen. Charlotte wird glücklich sein, Herr Holzer. Sie wird Ihnen verzeihen. Sie wird Sie verstehen. Außerdem wird sie einen Weg finden, Alois auf ein Zusammentreffen mit Ihnen vorzubereiten und wird zwischen ihnen vermitteln.«

      »Hoffentlich, hoffentlich!«, stöhnte Emil.

      »Überlegen Sie es sich, wie und wo Sie mit Ihrer Tochter sprechen möchten. Gern können Sie auch hier mit ihr reden. Wenn es Ihnen hilft, bin ich bereit, dabei zu sein. Sie müssen nicht sofort entscheiden. Besprechen Sie das mit Ihrer Frau. Sollten sie meine Hilfe benötigen, rufen Sie mich an!«

      Emil Holzer dachte einen Augenblick nach. Er bedankte sich für das Vermittlungsangebot.

      »Vielleicht können Sie Charlotte von unserem Besuch erzählen?«

      »Das mache ich gern, Herr Holzer! Und hier habe ich noch etwas für Sie beide. Charlotte hat Ihnen einen Brief geschrieben. Sie gab ihn mir zu lesen. Lesen Sie ihn in Ruhe! Ich bin überzeugt, er wird Sie weiterbringen.«

      Harald nahm den Brief entgegen. Er bedankte sich. Sie aßen noch das Stück Kuchen und tranken Kaffee. Dann brachte Oberin Justina das Ehepaar Holzer zum Auto. Sie sah ihnen nach, wie sie davonfuhren.

      *

      Es schüttete über Frankfurt am Main, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Die Passanten waren in Hauseingänge geflüchtet oder in Cafés. Sandra drängte sich mit den schweren Einkaufstaschen dicht an der Häuserwand vorbei. Das T-Shirt klebte an ihr. Der Regen hatte ihre Schuhe durchnässt. An ihren Haaren lief das Wasser herunter wie unter der Dusche.

      Sie dachte an ihre Einkäufe, die in den Leinentaschen wohl völlig aufweichen würden.

      Lautes Hupen schreckte sie auf. Ein Auto hielt auf der Straße.

      »He, Sandra, komm, spring rein!«, rief eine ihr bekannte Stimme.

      Sandra lief zum Auto.

      »Hallo, Laura, danke für dein Angebot! Aber ich bin nass, als wäre ich gerade aus dem Main gezogen worden. Dein schönes Auto! Das tue ich dir nicht an. Es ist nicht mehr weit bis zur U-Bahnhaltestelle. Mach’s gut, ruf mich an!«

      »Du spinnst! Ist doch nur Wasser«, schimpfte Laura.

      Im strömenden Regen stieg sie aus dem Auto, riss Sandra die völlig durchnässten Einkaufstüten aus den Händen und stellte ihn vor die hintere Sitzbank. Dann drängte sie die Freundin in den Wagen, bevor sie selbst wieder einstieg. Sie griff nach hinten und reichte Sandra ein Sweatshirt, das auf dem Rücksitz lag.

      »Damit kannst du dich abtrocknen.«

      »Und du? Jetzt bist du auch ganz nass geworden. Der Autositz wird aufweichen. Das war doch nicht nötig.«

      »Ich liebe Regen, das weißt du. Die paar Tropfen, die ich abbekommen habe, verkrafte ich locker.«

      Laura stellte die Heizung auf die höchste Stufe und machte das Gebläse an.

      »Jetzt fahre ich dich heim«, sagte Laura in einem Ton, der keinen Wiederspruch erlaubte.

      Schnell


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