Von der politischen Berufung der Philosophie. Donatella Di Cesare

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Von der politischen Berufung der Philosophie - Donatella Di Cesare


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aber gibt sich passiv dem Wunder dessen hin, was ihn umgibt, was ihn zunehmend betrifft und befremdet. Er bleibt nicht stumpf, unbeirrt und kaltblütig unbekümmert. Im Gegenteil: Er ist bestürzt und betroffen, insofern das, was ihm zuvor selbstverständlich erschien, seine Selbstverständlichkeit nun eingebüßt hat. Auf einmal fehlen die Fixpunkte, und alles gerät ins Wanken. Ein gewisses Unbehagen ist dabei unvermeidbar. Das pathos der Philosophie ist eine Leidenschaft, die darin besteht, sich verunsichern zu lassen. Das Staunen stößt das Begehren an, wissen zu wollen, aber dasselbe Staunen entzaubert sodann das erlernte Wissen (vgl. Metaphysik, 982b).

      Entspricht das nicht – zumindest teilweise – der Richtung, die auch derjenige verfolgt, der die Natur erforscht? Dieser Einwand scheint mehr als berechtigt. Was Aristoteles beschreibt, ähnelt der Verfahrensweise des Wissenschaftlers, der, sobald er einmal die Erkenntnis erreicht hat, alle Verwunderung abschüttelt. Verhielte es sich aber so, dann würde Philosophie mit dem Erreichen dieses Zieles an ein Ende kommen und aufhören. So denkt derjenige, der in der Philosophie allenfalls ein Duplikat der Wissenschaft sieht; ein im Übrigen umso unnützeres Duplikat, als die Wissenschaft tatsächliche Fortschritte erzielt. Denn auch der Wissenschaftler staunt im Grunde angesichts jenes Unbekannten, auf das er stößt. Er wird jedoch nicht von Leidenschaft ergriffen, sondern eher davon, was seine Neugierde weckt, was er noch nicht kennt und was er sich deshalb zu sichten, zu sondieren und zu untersuchen anschickt. Diese das Staunen begleitende Betrachtung der Dinge nannten die Griechen theôria.

      Der Philosoph und der Wissenschaftler scheinen im Einklang zu handeln, miteinander verbunden durch Staunen und durch Theorie. Beide stolpern über etwas, das sie betrifft und beeindruckt und das sie alsdann zu beobachten versuchen. Aber hier endet die Verwandtschaft auch schon. Das Überraschende stellt für den Wissenschaftler ein Problem dar, das mithilfe der Methode und auf der Grundlage bereits erworbener Resultate gelöst werden kann, in Hinblick auf eine umfassendere Erkenntnis des Gegenstands, seiner Qualitäten, seiner Substanz.

      Auch für den Philosophen ist das Staunen mit der theôria verbunden. Wer sich wundert, schärft seinen Blick. Es ist demnach das Staunen, das die Dinge sichtbar macht. Der Philosoph, der seiner Sinne gewiss nicht entbehren kann, reißt die Augen auf. Aber die Philosophie verlangt, dass sich die Augen, wurden sie einmal geöffnet, sodann wieder schließen, um jenes einzigartige Sehen zu ermöglichen, das im Denken besteht. Wer philosophiert, schließt – sich zurückziehend – die Augen, um sich zu sammeln, um sich nicht mehr ablenken zu lassen.

      Nicht die verwunderte Hinwendung zum Seienden ist für die Philosophie charakteristisch, sondern die Umwendung des Blicks, die auf das Motiv gerichtet ist, das am Grund der Befremdung, der Erschütterung liegt. So bleibt der Philosoph seinem Staunen treu, das ebenso radikal ist wie seine Frage. Darin ist die Bestürzung auszumachen, die alle platonischen Dialoge durchzieht und gewissermaßen in der Verlegenheit gipfelt, nicht einmal mehr zu wissen, wer oder was ich »bin«, der nicht weiß. Aus dieser den Philosophierenden erschütternden Verlegenheit entspringt die Philosophie.

      Die Wissenschaft beschreitet einen geraden Weg, der – nachdem er dasjenige hinter sich gelassen hat, was überraschend, verwunderlich, befremdlich ist – mit der Entzauberung der Welt fortfährt. Ein Hindernis nach dem anderen fällt und wird überwunden, während die Erkenntnis stetig anwächst. So ist der wissenschaftliche Fortschritt beschaffen. Die Philosophie folgt ihm nicht. Umso weniger begnügt sie sich damit, wie es einige fordern, eine Begründung für dieses Vorgehen zu liefern. Daher fehlt der Zielpunkt, welcher die Aufgabe der Philosophie als eine Anhäufung von Erkenntnissen anzeigt, als ein Unternehmen, Begriffe, Methoden und Absichten der Wissenschaften zu rechtfertigen oder diesen eine »Letztbegründung« zu verleihen.

      Die Philosophie kommt nicht nach der Wissenschaft – sie geht dieser voraus. Sie ist schon der Anfang. Ihre ausgedehntere und umfassendere Domäne bildet eine abwechslungsreiche, bewegte und zerklüftete Landschaft, in der die Anstiege steil sind, in der sich Kehren und Wendungen aneinanderreihen, in der Wege auch plötzlich abbrechen können. Sollte er auch auf den Gipfel gelangen, der Philosophierende findet keine Befriedigung in der Erkenntnis, die er zuvor nicht besaß, und auch nicht in der Lösung eines Problems. Im Gegenteil, er ist nur noch unruhiger und aufgewühlter, da er von den Höhen dieses Vorgebirges, auf denen er einen erhabenen Gipfel vermutete, mit noch größerer Klarheit dasjenige sieht, was ihm verborgen bleibt. Und trotzdem zieht er weiter, unruhig, betroffen und verwirrt. Das Staunen des Philosophen ist nicht unbedarft, er findet keinen Gefallen am Anblick eines zuvor unbekannten Seienden, das er nun endlich einzuordnen und zu erforschen in der Lage ist. Es ist vielmehr ein potenziertes Staunen, eine andere Leidenschaft. Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?

      Der Weg des Philosophen ist daher alles andere als geradlinig. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich nicht um einen Hin-, sondern um einen Rückweg. Den Blick vom Seienden abgewendet, das er den Wissenschaften überlässt, dreht er bei, wendet sich um und biegt in eine andere Richtung ab, um sich um die Fragen herum zu sammeln, welche die letzten und ersten sind und bleiben. Diese Umwendung kann man Re-flexion nennen, eine Richtungsänderung, die aus dem ontischen Schlaf erweckt.

      Dieser Weg der Rückkehr geht aus der Aporie des Nichtwissens hervor und führt der Klarheit entgegen, ohne diese jemals zu erreichen, zumal das Gesuchte sich verbirgt und entzieht. Gerade auf dem Weg des Philosophen zeigt sich die Grenze der menschlichen Endlichkeit, der sterblichen Existenz, die das Ende nicht mit dem Anfang verbinden kann. Die Erkenntnis des Ganzen bleibt verschlossen. Wie sollte man also nicht Klarheit anstreben, diese nicht begehren, sie nicht lieben? An genau dieser Stelle übernimmt das griechische philein bei Platon eine entscheidende Rolle, um die Philosophie zu bezeichnen (vgl. Das Gastmahl, 203b–204b). Die Liebe, eine noch weitaus überwältigendere Leidenschaft als das Staunen, verdrängt dieses schließlich. Mehr noch: Die sophia selbst wird der philia unterstellt. Denn das, was wirklich wichtig und nötig ist, ist der Schwung des Begehrens, die unaufhaltsame Unruhe, das Verlangen, das aus der Philosophie eine Berufung macht.

       Zwischen Himmeln und Abgründen

      Eines Nachts, in der das Himmelsgewölbe heller erleuchtet schien als je zuvor, fiel ein Astronom, der Abend für Abend hinauszugehen pflegte, um die Sterne zu beobachten, in einen Brunnen. So erzählt es Äsop (Fabulae, 65). Von dieser Erzählung existieren jedoch auch andere Versionen. Die bekannteste ist die von Platon niedergelegte, in der Thales von Milet an die Stelle des anonymen Astronomen tritt.

      Die Doxografie hält nur äußerst spärliche Informationen über ihn bereit. Der Begründer der ionischen Schule und Stadtbürger von Milet war »zunächst politisch tätig« – wie Diogenes Laertius schreibt – »und wandte sich dann der Naturbetrachtung zu« (I, 23, A1). Er entdeckte neue Sternbilder, beobachtete die Bewegung der Gestirne und berechnete Sonnenwenden und Äquinoktien; er muss jedoch auch ein vortrefflicher Geometer gewesen sein, wenn es ihm tatsächlich gelungen sein sollte, die Höhe einer Pyramide anhand des von ihr geworfenen Schattens zu bemessen. Womöglich war er der Erste, der der Seele Unsterblichkeit zuschrieb. Unklar und umstritten ist seine Verbindung zu jenen hylozoistischen Lehren, die in aller Materie, hylê, Leben, zoê, sahen. Er scheint sich, ausgehend von der eingehenden Beobachtung von Magnet- und Bernsteinen, auch das Leblose als beseelt vorgestellt zu haben. Deshalb konnte er sagen: »Alles ist voll von Göttern« (A 22). Sein Name ist mit dem Prinzip des Wassers verbunden, in dem er die Quelle und den Ursprung aller Dinge ausmachte.

      Platon sollte ihm – aufgrund der im Theaitetos erzählten Anekdote – unvergänglichen Ruhm zuteilwerden lassen. Als er, »um die Sterne zu beschauen«, astronomounta, »nach oben blickte«, anô blepônta, »fiel Thales in einen Brunnen«, phrear. Über die genaueren Umstände dieses Unfalls wird nichts weiter berichtet. Man erfährt nicht, ob er auf dem offenen Land geschah, in das sich der Weise ungeachtet aller Gefahren hineingewagt hatte, nur um die gleichmäßigen Kreisbahnen der Sterne beobachten zu können, ob er sich in der Nähe eines am Rande der Stadt gelegenen Gartens ereignete oder ob ihm das Unglück sogar in irgendeiner heruntergekommenen Straße Milets widerfuhr. Sicher ist hingegen, dass Thales den kläglichen Sturz hätte vermeiden können, wäre er zu Hause geblieben, um den Himmel von seinem Zimmerfenster


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