SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi

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SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York - Ronald  Malfi


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musste er an seinen Vater denken und versuchte, sich an den Traum von letzter Nacht zu erinnern. Als er sich bewusst wurde, was er tat, verjagte er den alten Mann rasch aus seinen Gedanken.

      Stattdessen konzentrierte er sich auf das, was gestern Abend tatsächlich geschehen war, und noch wichtiger, was künftig geschehen würde. Er wollte alles so genau wie möglich in seinem Kopf sortieren, bevor er sich hinsetzte und auch nur ein Wort zu jemandem sagte. Jetzt an seinen Vater zu denken brachte ihn nur durcheinander.

      Bevor er ging, küsste er Katie auf den Mund, beugte sich hinunter und küsste ihren Bauch. Dann schlüpfte er aus der Wohnung. Seine Frau wusste, dass sie nicht zu fragen brauchte, wann er wieder nach Hause kam.

      ***

      Bill Kersh saß auf einer Bank unter einem riesigen Ölgemälde, das zwei Jagdhunde zeigte. Die Bank stand vor dem Büro des stellvertretenden U.S.-Bezirksstaatsanwalts Roger Biddleman. Kersh war vierzig, sah aus wie sechzig und rauchte, als bräuchte er den Tod nicht zu fürchten. Er saß mit geschlossenen Augen da, den Kopf nach hinten gegen die Alabasterwand gelehnt, und trug Kopfhörer. Sein Hemd war weiß mit zahlreichen Falten, einer der Knöpfe stand offen. Die Krawatte hing schief und war mit auffälligen Brandspuren sorglos abgeaschter Zigaretten übersät. Er war ein schwerer, beleibter Protestant und gehörte zu der Sorte Menschen, die, sobald sie allein waren, über die Schwierigkeiten des Lebens und des Todes und all der Widrigkeiten dazwischen grübelten. Es gefiel ihm auf eine schlichte Weise, sich mit vertrauten Menschen und Dingen zu umgeben, und er hatte es geschafft, sein Leben so zu organisieren, dass es so vorhersehbar wie möglich verlief. Bill Kersh war ein Gewohnheitstier.

      John näherte sich und setzte sich neben ihm auf die Bank. Ein Blick in das Gesicht von Kersh zeigte, dass sich der ältere Secret-Service-Agent in einer Art Trance zu befinden schien. Mit geschlossenen Augen klopfte Kersh mit einem Finger leicht auf den tragbaren Kassettenspieler, der auf seinem Schoß lag. Er verbreitete den schwachen Geruch von altem Tabakrauch und billigem Aftershave.

      Ohne die Augen zu öffnen, sagte Kersh: »Dein Herzschlag vibriert durch die ganze Bank.«

      »Ich habe die Treppe genommen.«

      Kersh antwortete nicht, seine Augen blieben geschlossen. Ihnen gegenüber befand sich die schwere Holztür mit der Milchglasscheibe – Biddlemans Büro. Einige schemenhafte Gestalten bewegten sich hinter dem Glas.

      »Wer ist jetzt da drin?«, fragte John. Er sah Kersh an. »Kannst du mich mit diesen Dingern auf den Ohren überhaupt hören?«

      Kersh seufzte und schaltete den Kassettenspieler aus. Er schob die Kopfhörer nach unten, sodass sie um seinen Hals hingen, und summte die letzten Takte einer Melodie. In Bill Kershs Summen lag nichts Musikalisches. Er musterte John von oben nach unten auf eine Art, wie ein Psychiater seinen Patienten beim ersten Termin inspizieren mochte. Bill Kersh war ein guter Kerl und ein talentierter Agent. Obwohl er älter war als die meisten Kollegen in Johns Einheit, sahen sie Kersh nicht als Vaterfigur, sondern eher als abgestumpften Eigenbrötler mit einer Vorliebe für das Banale. In einem weniger rücksichtsvollen Umfeld hätte seine zerzauste und ungelenke Figur für Kichern hinter seinem Rücken gesorgt. »Alles klar bei dir?«

      »Geht schon«, sagte John und blickte auf das Milchglas in der Tür, »aber ich denke, die Dinge werden sich ändern.«

      »Mach dir keine Sorgen. Wie geht es deinem Vater?«

      »Stabil.«

      »Alles klar.« Kersh schaute beiläufig auf seine Fingernägel. Er hatte sie bis auf das Nagelbett abgekaut. »Katie?«

      »Sie ist hart im Nehmen.«

      »Hm.« Kersh ließ seinen Kopf gegen die Wand sinken. An seinem Kinn war ein kleiner roter Schnitt, den er sich beim Rasieren zugefügt hatte. »Diese Typen hier verstehen nicht, was wir tun. Und es interessiert sie auch nicht. Vergiss das nicht.«

      Die Bürotür öffnete sich und ein paar Anzugträger kamen im Gänsemarsch heraus. Sie sprachen leise miteinander und widmeten John und Bill Kersh nicht mehr als einen Blick aus den Augenwinkeln. Als Gruppe zogen sie sich über den Flur zurück. Ihre Schuhe klackerten laut auf dem Marmorboden, während ihre langgezogenen Schatten sich die Wand entlang schoben.

      Eine junge Frau trat aus Biddlemans Büro. »Mr. Biddleman empfängt Sie jetzt.«

      Roger Biddlemans Büro war geräumig und gut eingerichtet, mit einer Wand aus Fenstern, unter der sich die Heilige Dreifaltigkeit des Polizeiplatzes, des Metropolitan Correctional Centers und der gotischen Kirchtürme von St. Andrews ausbreiteten. An den holzgetäfelten Wänden hingen gerahmte Fotografien, in deren Glasscheiben die Reflexionen Manhattans schimmerten. Den Boden bedeckte ein Schritte schluckender, flauschiger grüner Teppich und die Stühle vor Biddlemans Schreibtisch waren mit Cordovan-Leder gepolstert und mit Messingnägeln verziert. Das gesamte Zimmer roch nach Zedernholz und schwach nach Zigarrenrauch.

      Biddleman stand von seinem Schreibtisch auf und deutete mit einem Kopfnicken auf die Stühle. Er war ein großer Mann mit schmalen Schultern, silbergrauen Augen und eingedrückten Schläfen. Er lächelte und zeigte eine perfekte Reihe weißer, ebenmäßiger Zähne. »Nehmen Sie Platz.«

      Sie setzten sich.

      »Roger«, sagte Kersh und faltete die Hände in seinem Schoß.

      »Bill.« Biddleman ließ sich in seinen Stuhl sinken und massierte seine Schläfen. Unterhalb seiner Augen waren dunkle Furchen zu sehen und entlang seiner Nase verliefen zahllose kleine Blutgefäße. »Sie werden von mir keine Streicheleinheiten bekommen, meine Herren. Letzte Nacht war eine gottverdammte Katastrophe.« Auf Biddlemans Schreibtisch lagen verstreute Papiere.

      Biddleman blätterte wie abwesend und mit einer Hand, bis er das fand, was er gesucht hatte. »Polizeibeamter … Leland Mackowsky«, las er laut. Er machte eine Pause und sah sie über den oberen Rand des Papiers hinweg an. »Ein siebenundzwanzigjähriger Junge, der seit drei Jahren bei der Truppe ist. Er liegt im Krankenhaus, NYU Downtown, mit einem zerschmetterten Schlüsselbein und massiven inneren Blutungen. Alles Folgen der Schießerei von letzter Nacht. Hat eine gottverdammte Kugel im oberen Brustbereich abbekommen, knapp unter seinem Hals. Zum Glück hat er sein Gesicht nicht eingebüßt. Es hat ihn ganz schön erwischt.«

      »Das ist uns bewusst«, sagte Kersh. »Wir haben gestern Abend mit den Kollegen vom Detective Department und dem Staatsanwalt gesprochen.«

      »Ganz zu schweigen von den beiden Männern, die erschossen hinter dem Tresen lagen, John.« Die Augen des stellvertretenden Bezirksstaatsanwalts waren jetzt auf ihn gerichtet. »Einen davon haben Sie getötet.« In seiner Stimme lag Verachtung, von der John den Eindruck hatte, dass sie bewusst zur Schau gestellt wurde. Biddlemans Augen waren klein und nagetierartig, sein Teint war wächsern und die Gesichtshaut grobkörnig. Er erinnerte John an eine alte Schaufensterpuppe, von der sich die Oberfläche abschälte. »Was zum Teufel ist letzte Nacht passiert?«

      »Offenbar hat das New York Police Department Deveneau und seinen Klub seit Monaten wegen Rauschgifthandels im Visier«, sagte John. »Informanten hatten den Kollegen beim NYPD gesteckt, dass an diesem Abend ein Geschäft über die Bühne gehen würde, also haben sie zugeschlagen. Sie wussten nicht, dass wir da waren, und wir hatten keine Ahnung, dass sie kommen würden.«

      Biddleman trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. »Ich denke, die Dinge hätten ein wenig kontrollierter ablaufen sollen.«

      »Wir sind nur für uns selbst verantwortlich …«

      »Die Kommunikation hätte besser sein müssen, mehr Professionalität wäre angebracht gewesen …«

      »Professionalität?« John stieß ein Lachen aus. »Kommen Sie schon. Es gibt das FBI, die Drogenbehörde, den Secret Service, die Bundespolizei, das NYPD, die Verkehrspolizei – da laufen eine Million Jungs mit Knarren und Dienstplaketten herum und versuchen, die Scheiße in den Griff zu kriegen. Denken Sie, wir setzen uns vor jeder Operation zusammen, trinken Tee und diskutieren mit aller Welt? Manchmal läuft es eben scheiße, und letzte Nacht war es mal wieder so weit.«

      »Ich bin nicht an Entschuldigungen


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