SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi

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SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York - Ronald  Malfi


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und sind dann davongerannt, wie der Verbrecher, der Sie zu sein vorgaben. Das hier ist kein Filmset. Das ist das wirkliche Leben. Alle Ihre Handlungen haben Konsequenzen.«

      John schob sich auf seinem Stuhl zurück. Er konnte Kersh neben sich spüren, reglos und unbeeindruckt. »Ich brauche keinen Vortrag.«

      Biddleman beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn. Sein schmales Gesicht spiegelte sich auf dem polierten Mahagoni-Tisch. »John, haben Sie den ersten, tödlichen Schuss abgefeuert?«

      »Ja. Er wollte die Informantin töten. Ich habe ihn erschossen, um ihr Leben zu retten.«

      »Hatte er die Absicht, Sie zu töten?«

      »Ich weiß nicht, was nach ihrem Tod geschehen wäre.«

      »Waren Sie in unmittelbarer Gefahr oder haben Sie nur Ihre Rolle als Undercover-Agent nicht unter Kontrolle gehabt?«

      John fühlte ein Brennen in der Magengrube. Aus irgendeinem Grund dachte er in diesem Augenblick an seinen Vater: niedergestreckt und unbeweglich unter einer Wand von blinkenden, piependen medizinischen Geräten. »Das steht Ihnen nicht zu«, sagte er zu Biddleman. »Was zum Teufel denken Sie, wer ich bin?«

      Kersh hob eine Hand. Seine Stimme war ruhig. »Roger«, sagte er. »Hören Sie zu. Der Schuss war gerechtfertigt, das wissen Sie. Was soll das Ganze?«

      »Gar nichts. Sie haben Francis Deveneau laufen lassen. Der Fall hat sich erledigt. Niemand von meinen Leuten wird die Sache anrühren. John, ich persönlich denke, dass Sie die Kontrolle verloren haben, dass Sie die Situation falsch eingeschätzt haben. Aber das ist das Problem des Secret Service.«

      »Das darf doch nicht …«

      »Roger«, sagte Kersh, »lassen Sie uns die Sache noch einmal in Ruhe durchgehen. John ist Deveneau noch immer dicht auf den Fersen. Wir müssen sein Falschgelddepot ausheben und uns dann seinen Lieferanten vornehmen. Die lokalen Behörden haben kein Problem damit. Das NYPD und das Büro des Staatsanwalts sagen beide, dass sie nichts tun werden, was unsere Operation gefährdet. Wir sind noch dran.«

      »Ich habe mit dem Staatsanwalt gesprochen«, sagte Biddleman, dessen zusammengekniffene Augen sie beide abwechselnd ins Visier nahmen. »Sie sind deutlich toleranter, als ich zu sein bereit bin.«

      John fixierte Biddleman mit seinem Blick. »Warum lassen Sie den Fall platzen?«

      »Weil Sie sich durch diese Tunnel davonmachen, während ein Dutzend Polizisten den Ort auseinandernimmt und wild um sich ballert. Dabei sind Menschen gestorben, einige sind verletzt. Wer hat Jeffrey Clay erschossen?«

      »Clay? Er ist durchgedreht und hat angefangen, auf die Polizisten zu schießen.«

      »Und jetzt ist er tot.«

      »Ich bin nicht für das NYPD verantwortlich. Sie können erschießen, wen immer sie wollen, verdammt noch mal.«

      »Sehr intelligent.« Biddleman richtete sich in seinem Stuhl auf. »Ist es Ihnen nicht in den Sinn gekommen, sich gegenüber den Polizisten als Secret-Service-Agent zu erkennen zu geben?«

      »Was?« Er beugte sich vor und legte eine Hand auf Biddlemans Schreibtisch. »Was zum Teufel hätte ich machen sollen? Aufstehen, winken und mein gottverdammtes Abzeichen in die Luft halten? Ich sitze mitten in der Scheiße, und Sie wollen, dass ich eine verdammte Haltet-euch-an-das-Gesetz-Ansprache halte?«

      »Sie haben Ihre Kollegen gefährdet, indem Sie ihnen diese Information vorenthalten haben. Sie haben einen Mann getötet und sind dann weggerannt. Genau das wird Deveneaus Anwalt vor Gericht vortragen und die Jury wird uns schuldig sprechen. Deswegen hat sich die Sache erledigt. Halten Sie Abstand zu Deveneau. Und scheiß auf sein verdammtes Falschgeld. Das ist alles, meine Herren. Ich hoffe, ich habe mich gottverdammt klar ausgedrückt.«

      »Sie liegen falsch«, sagte John.

      »Das ist alles.« Seine gepflegten Hände lagen flach vor ihm auf dem Schreibtisch. Roger Biddleman sah sie von unten über die Augenbrauen hinweg an. Er bewegte sich nicht, bis John und Kersh aufgestanden waren und sein Büro verlassen hatten.

      Draußen im Flur trat John gegen die Bank. Das Geräusch schepperte den Gang hinunter. »Was für ein Dreck. Unglaublich.«

      »Glaub es lieber«, sagte Kersh. Er taste an sich herum und suchte nach einer Zigarette.

      »Der kleine, erbärmliche Wurm. Was ist mit mir? Er war nur besorgt darüber, wie die Dinge aussehen, wie sie wahrgenommen werden. Er hat nicht einmal gefragt, ob es mir gut geht, ob man mir vielleicht fast meinen Kopf weggeblasen hätte, ob ich stinksauer war, ob ich die Hose voll hatte.«

      »Du spielst für ihn keine Rolle. Er ist ein Künstler – du bist der Pinsel. Wenn du zu viele Haare verlierst oder er kein gutes Gefühl mehr beim Malen hat, dann wirft er dich weg und holt sich einen neuen. Und denk daran«, fuhr Kersh fort, und ein halbes Lächeln umspielte seine fettglänzenden Lippen, »die Jungs waren in Harvard. Sie haben nicht an irgendeiner staatlichen Uni oder mit einem Sportstipendium studiert.«

      Schritte auf hochhackigen Schuhen hallten über den Flur. Die attraktive junge Empfangsdame steckte den Kopf um die Ecke. Wahrscheinlich war sie durch den Tritt gegen die Bank aufgeschreckt worden. Nach einem Moment verschwand sie wieder.

      »Du bist an diesem Tag voller Weisheit«, sagte John, nachdem sie verschwunden war. »Du musst einen wunderbaren Guten-Morgen-Schiss gehabt haben.«

      Bill Kersh fand seine letzte Zigarette und schob sie zwischen die Lippen. »John«, sagte er, »es war großartig

      KAPITEL 3

      Mickey O'Shay, sechsundzwanzig und ganz und gar auf Kokain und dem wunderschönen Thorazine aus der Familie der Psychopharmaka, grinste seinem Spiegelbild zu. Für einen Augenblick war ihm alles bewusst – die nach Ammoniak riechende Fäulnis der Toilette der Bar, das kalte Waschbecken aus Porzellan unter seinen Händen, das unkontrollierbare Zucken in seinem linken Augenlid und der Geschmack nach Erbrochenem in seiner Kehle. Von seiner Schädelbasis ging ein andauerndes Dröhnen wie von großen Trommeln aus. Er sog die Luft durch seine zusammengepressten Zähne, grinste noch breiter und spuckte in das Waschbecken.

      Sieger, dachte er und schob die Toilettentür auf.

      Jimmy Kahn lag zusammengerollt in der düstersten Ecke der Bar, neben sich ein Berg aus zertrümmerten leeren und halbleeren Guinness-Flaschen. Mickey klatschte ihm auf den Rücken und setzte sich rittlings auf einen Stuhl, während er den Kopf schüttelte.

      »Ich musste die ganze verdammte Nacht an dieses Lied denken«, sagte er und trommelte mit seinen Fingern auf den Tresen. »Du kennst es bestimmt auch – dum da dum da da dum … oder so ähnlich. Scheiße noch mal.«

      »Schau mal da«, sagte Jimmy und deutete mit dem Kopf zum hinteren Ende der Bar.

      Mickey drehte sich um, sah ein wildes Durcheinander aus Freiern und Nutten, aus Betrunkenen und minderjährigen Kapuzenträgern, und kicherte. Eine junge Brünette in einem fast durchsichtigen, gepunkteten Kleid lachte an einem der Tische mit einer Gruppe grauhaariger Männer und nickte, als stimmte sie dem Mann zu, der ihr am nächsten war. Der Mann zündete ihre Zigarette an und Mickey beobachtete, wie sie heftig den Rauch einsog.

      »Ja, und?«, murmelte Mickey.

      »Der Tisch bei der Jukebox«, sagte Jimmy.

      »Jukebox«, wiederholte Mickey wie ein Papagei, drehte sich um … und hielt inne. Noch immer trommelte es dröhnend in seinem Hinterkopf, was neben dem Schmerz grelle Farbblitze durch sein Gehirn schießen ließ. Dann traf es ihn. »Verdammter Hurensohn!« Er schob den Stuhl unter sich weg, stand schwankend auf und lehnte sich schief gegen den Tresen. »Verdammter …«

      Jetzt drehte sich Jimmy ebenfalls um. Beiläufig schob er eine Zigarette in seinen Mund und hob ganz langsam eine Hand. Der Zeigefinger zeigte gerade nach oben in die muffige Luft. »Raymond«, rief er. »Ray-Ray!«

      Raymond Selano sah


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