Nach Dem Fall (Gefallener Engel #2). L. G. Castillo

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Nach Dem Fall (Gefallener Engel #2) - L. G. Castillo


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nannte ihre Großmutter »Belita« und nicht »Anita«, wie sie eigentlich hieß.

      Naomi konnte in Gedanken geradezu vor sich sehen, wie Lalo Bear heimlich Stückchen aus Belitas Hühnchen-Mole zusteckte, während Belita damit beschäftigt war, die Küche sauberzumachen.

      Rachel gähnte laut, als sie aufstand und den Stuhl über den Boden schob. »Ich bin müde. Komm, Uri. Lass uns nachhause gehen. Wieso spielen wir morgen nicht bei uns?«

      »Ihr müsst nicht gehen«, wandte Naomi ein.

      Rachel kam zu ihr herüber und umarmte sie. »Das weiß ich doch. Du und Lash, ihr solltet ein bisschen Zeit allein für euch haben. Du hast in letzter Zeit so hart gearbeitet. Außerdem sagt Uri, er hat heute Abend noch eine besondere Überraschung für mich.«

      »Mit dir ist doch jeder Abend besonders.« Uri zog sie in seine Arme und entfaltete seine Flügel.

      »Uri!«, quietschte Rachel. »Was machst du denn? Ich habe selbst Flügel, weißt du.«

      Uri schritt um den Tisch herum zum Wohnzimmer, wo eine Reihe Fenster das Tal überblickte. Alle Fenster standen offen und ließen einen kühlen Lufthauch herein.

      »Lash, es war klug von dir aus dem Gemeinschaftshaus aus- und in deine eigenen vier Wände zu ziehen.« Er trat an das mittlere Fenster und sah nach unten. »Der Blick von hier oben ist atemberaubend. Aber warum so weit von allen entfernt?«

      So sehr Naomi das Zusammenleben mit Lash liebte, es war in seinem kleinen Zimmer eng gewesen. Lash hatte die Situation sofort in Angriff genommen, indem er ein kleines Cottage auf dem Kamm eines Berges gebaut hatte, der die Wohnungen der Engel überblickte. Viel wichtiger war allerdings, dass sie von ihrem Zuhause aus die Brücke sehen konnte – eine Erinnerung daran, dass Belita nur Minuten von ihr entfernt war. Sie liebte es. Aber tief im Innern fragte sie sich, ob es noch einen anderen Grund gab, aus dem er abseits der anderen leben wollte – oder vielleicht abseits einer einer Person im Besonderen.

      Lash schlang seine Arme um Naomi und küsste ihren Hals. »Oh, sagen wir einfach, wir wollten etwas Privatsphäre haben.« Sein heißer Atem strich über ihr Ohr, als er flüsterte: »Und Raum für außerplanmäßige Aktivitäten.«

      2

      Jeremy lehnte am Brückengeländer. Saphirblaue Augen blickten in Richtung des Berges. In der Ferne konnte er das Schimmern von Lichtern auf dem höchsten Gipfel erkennen.

      Er schloss einen Moment lang die Augen und wartete darauf, dass der Schmerz abklang. In den letzten Wochen, in denen er fort gewesen war, war ihm nicht klar gewesen, dass er immer noch da war und tief in seinem Innern lauerte. Das hatte er Gabrielle zu verdanken. Wie konnte sie wissen, was er fühlte, wenn er es selbst nicht verstand?

      Er hatte geglaubt, Zeit abseits von Lash und Naomi zu verbringen, würde ihm helfen, sich über seine Gefühle klar zu werden. Aber als er zurückgekehrt war und allein in Lashs Zimmer gestanden hatte, hatte er sich gefragt, nach wem sein Herz sich sehnte – nach Lash oder nach Naomi.

      Frustriert rieb er sich mit den Händen übers Gesicht. Er hatte sich gehen lassen, seitdem er fortgegangen war, fast, als ob er sich selbst bestrafte. Er hatte keinen Gedanken ans Rasieren verschwendet. Er hatte nicht einmal mehr daran gedacht, seine maßgeschneiderten Lieblingsanzüge anzuziehen. Stattdessen trug er, was immer er sich überwerfen konnte, etwa schwarze Anzughosen und T-Shirts. Selbst sein einstmals perfekt frisiertes Haar war anders mit einem zotteligen Pony, der ihm über die Augen fiel und der Rest war lang genug, um ihm übers Schlüsselbein zu streichen. Der einzige Luxus, den er sich gestattete, war eine schwarze Lederjacke, die zu seinen neuen Krokodilstiefeln passte.

      Er sah in den dunkler werdenden Himmel hinauf und versuchte, den genauen Moment zu benennen, in dem sich alles verändert hatte. Wann hatte er sich von einem treuen besten Freund in jemanden verwandelt, dem man nicht vertrauen konnte? Konnte er es Lash vorwerfen, dass er ihm nicht traute, wenn er nicht wusste, ob er sich selbst trauen konnte, sobald es um Naomi ging?

      Jeremy stieß sich vom Geländer ab und schritt die Länge der Brücke ab. Seine glänzenden schwarzen Stiefel klackten auf dem Holz. Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Weiter nichts.

      Auf Lash aufzupassen und sicherzustellen, dass er Naomi zum Shiprock brachte – dass war es, was man ihm aufgetragen hatte. Und das hatte er getan. Er hatte seine Anweisungen genauestens befolgt. Was war also das Problem, wenn er ein wenig öfter nach ihnen gesehen hatte, als von ihm verlangt worden war? Es hatte niemandem geschadet. Und er mochte ein klein wenig Eifersucht empfunden haben – nein, Besorgnis. Ja, das war es. Er war besorgt gewesen, als er die offensichtliche Anziehungskraft zwischen den beiden wahrgenommen hatte. Er hatte Lash warnen müssen, sie in Ruhe zu lassen. Er hatte geglaubt, es würde Lashs Chance, nachhause zurückzukehren, ruinieren.

      Jeremy erstarrte, als er sich an die Worte erinnerte, die er zu Lash gesagt hatte.

       Sie ist nicht für dich bestimmt.

      Weshalb hatte er das zu ihm gesagt?

      Du weißt weshalb, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf.

      Er schlug mit der Hand gegen das Geländer. Er wusste ganz genau, weshalb. Er wünschte, er könnte alles vergessen und mit Lash und Naomi einfach nochmal neu anfangen. Aber das konnte er eben nicht.

      Er kämpfte gegen seine Erinnerungen an sie an und umklammerte das Geländer so fest, das seine Fingerknöchel weiß wurden. Vorher war es einfacher gewesen, als sein einziger Fokus darauf gelegen hatte, eine Mission zu erfüllen. Jetzt fiel es ihm schwer, aus seinen Gedanken zu vertreiben, was er empfunden hatte, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte: langes dunkles Haar, das ihr wunderschönes Gesicht einrahmte, während sie sich über die sterbende Deborah beugte. Es war gewesen, als ob ein Blitz in seine Brust eingeschlagen hätte und ein Herz erneut zum Schlagen brachte, von dem er nicht gewusst hatte, dass es zuvor stillgestanden hatte. Erst als Lash sich offensichtlich von der Art bedroht fühlte, in der er sie ansah, war er in der Lage gewesen, sich von dem Ganzen loszureißen und sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren. Seitdem hatte er die wachsenden Gefühle abgeschüttelt, Gefühle bei denen er keine Ahnung hatte, woher sie kamen, bis Raphael es ihm erklärt hatte – er war sein Sohn und war vor langer Zeit mit Naomi verlobt gewesen.

      »Bist du bereit?«

      Jeremy fuhr beim Klang der Stimme herum. »Gabrielle. Ich dachte, ich wäre allein.«

      Sie trat aus den Schatten heraus. Ein Windhauch wehte weiche blonde Wellen um ein strenges Gesicht. »Du hast dich wochenlang zurückgezogen. Hast du dich auf deine neue Aufgabe vorbereitet?«

      Jeremy war von ihrem Ton überrascht. Hatte er geträumt, dass es Gabrielle gewesen war, die erst vor wenigen Wochen vorgeschlagen hatte, dass er fortgehen sollte, um etwas Abstand von allem zu bekommen, was zwischen ihm und Lash geschehen war? Sie hatte so freundlich und geduldig gewirkt.

      Er sah wieder zum Berg hinauf und fragte sich, ob Lash noch böse auf ihn war. Und so sehr er auch versuchte, es nicht zu tun, er dachte an Naomi. »Könnte man damit nicht Lash damit beauftragen? Er ist besser geeignet.«

      »Michael hat darauf bestanden, dass dieser Auftrag von dir beaufsichtigt wird. Außerdem hast du auf der Erde deine eigene Aufgabe zu erfüllen.« Ihre Stimme klang streng und sie musterte ihn aufmerksam. Etwas musste sie in seinem Gesicht gelesen haben, denn ihre Züge wurden weicher. Es war derselbe Ausdruck, mit dem sie ihn nach seinem Streit mit Lash angesehen hatte. »Hat dir die Auszeit nicht geholfen, dich vorzubereiten?«

      »Gabrielle, kannst du nicht eine Ausnahme machen? Ich habe immer meine Pflicht erfüllt und ich habe dich oder Michael nie ausgefragt wegen der Aufträge, die ihr beide mir erteilt habt… nicht einmal, als ihr von mir erwartet habt, meinen besten Freund niederzuschlagen.«

      »Deinen treuen Diensten in all diesen Jahren hast du es zu verdanken, dass du im Rang aufgestiegen bist, um ein Erzengel zu werden«, erklärte sie. »Du weißt, dass mit dieser Rolle eine größere Verantwortung einhergeht. Wenn Lash so gehorsam gewesen wäre wie du… na, das


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