Wer auf dich wartet. Gytha Lodge

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Wer auf dich wartet - Gytha Lodge


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gekommen wären.

      »Versuchen Sie, nicht im Weg rumzustehen, Sheens«, sagte McCullough mit einem knappen Lächeln, nachdem sie ihnen ein Stück Plastikplane zugewiesen hatte, auf das sie sich stellen sollten.

      »Ich werde mir alle Mühe geben«, erwiderte Jonah im gleichen Ton. »Irgendwelche Neuigkeiten vom Gerichtsmediziner?«

      »Er hat gesagt, er wäre in zwanzig Minuten hier.« McCullough blickte auf ihre Uhr. »Das heißt, er müsste in fünf Minuten ankommen. Wir fangen hier draußen an. Ich warte, bis er da ist, bevor ich mir die Leiche ansehe.«

      »Auf der Arbeitsplatte stehen mehrere Gläser, bei denen ich an Fingerabdrücken oder DNA-Spuren interessiert wäre«, sagte Jonah und wies mit dem Kopf Richtung Küche.

      »Das kann ich mir vorstellen.« McCullough setzte einen Mundschutz auf und ging an ihm vorbei in die Küche.

      Jonahs Telefon klingelte. Der schrille Weckruf verriet ihm, dass der Detective Chief Superintendent ihn erreichen wollte.

      »Ist das allen Ernstes Ihr Klingelton?«, fragte McCullough, drehte sich um und starrte ihn ungläubig an.

      »Nur für Wilkinson«, antwortete er lächelnd und nahm den Anruf entgegen. »Sir«, meldete er sich und trat in den Flur.

      »Ich habe gehört, Sie haben eine neue Mordermittlung aufgenommen?«, fragte der DCS und klang höflich interessiert.

      »Da haben Sie richtig gehört. Obwohl ich mein Urteil darüber, ob es ein Mord war, noch aufschieben möchte. Es sieht nach Selbstmord aus, aber der Freund des Opfers behauptet, die Tat während eines Skype-Anrufs beobachtet zu haben. Ich bin jetzt am Tatort, und der Gerichtsmediziner sollte jede Minute eintreffen.« Er zögerte. »War es okay für Yvonne, dass ich die Sache übernommen habe?«

      »Ja, natürlich. Das ist kein Fall für sie«, sagte der DCS. »Allerdings sind wir angehalten, den Erpressungsfall endlich abzuschließen.«

      »Verstanden«, sagte Jonah. »Ich werde die Hälfte meines Teams weiter daran arbeiten lassen.«

      »Klar«, erwiderte Wilkinson trocken. »Das sind dann exakt anderthalb Mann.«

      »Genau, Sir«, sagte Jonah mit einem Grinsen, obwohl niemand da war, der es sehen konnte.

      »Okay. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

      Das war das Gute an Wilkinson, dachte Jonah, als er das Gespräch beendete. Der DCS war stets geneigt, Jonahs Entscheidungen zu vertrauen.

      Als er das Handy einsteckte, öffnete sich die Tür zum Treppenhaus, und ein Mann Mitte dreißig in Anzug und Krawatte tauchte auf. Der Gerichtsmediziner, nahm er an, obwohl sie sich noch nicht begegnet waren. Bis jetzt hatte bei Jonahs Fällen immer der deutlich ältere und weniger eifrig wirkende Dr. Stephen Russell die Untersuchungen durchgeführt. Jonah fragte sich, ob dies ein jüngerer Kollege war, der vielleicht auf seine Chance zu glänzen gewartet hatte.

      Es war wahrscheinlich irrelevant, aber Jonah war trotzdem leicht besorgt. Sie hatten es mit dem Tatort eines potenziellen Mordes zu tun, der vordergründig wie ein Selbstmord aussah. Falls sie in einem Mordfall ermittelten, war Präzision vonnöten. Und erst recht ein Gerichtsmediziner, der vor Gericht überzeugend klingen würde.

      Übersehen Sie bloß nichts, dachte Jonah, als er ihm zunickte.

      Jonahs Sorgen erwiesen sich als unbegründet. Dr. Peter Shaws Untersuchung war so methodisch und gewissenhaft, wie Jonah es sich nur wünschen konnte, und seine Kommentare strahlten eine ruhige Autorität aus.

      Eine Beobachtung interessierte Jonah besonders, und das war das Fehlen sichtbarer Blutspuren um die Badewanne. Wenn die junge Frau angegriffen und nach unten gedrückt worden war, würde man Blutflecken erwarten, bemerkte der Gerichtsmediziner. Und wahrscheinlich auch im ganzen Badezimmer Spritzer von blutgetränktem Badewasser.

      »Das deutet also eher auf einen Selbstmord hin«, meinte Jonah, unsicher, was er davon halten sollte.

      »Ja, aber es könnte auch andere Gründe geben«, erwiderte der Gerichtsmediziner.

      Als er sich vorbeugte und dicht am Mund der Toten schnupperte, wurde Jonah kurz übel.

      »Interessant. Ein deutlich wahrnehmbarer chemischer Geruch.« Er stellte den Koffer mit seiner Ausrüstung neben die Wanne und zog ein kleines Plastikröhrchen mit hellblauem Deckel heraus. »Ich werde einen Abstrich machen.«

      »Können Sie näher definieren, was Sie mit ›chemisch‹ meinen?«, fragte Jonah, während der Gerichtsmediziner den Deckel abschraubte und das kleine Wattestäbchen herauszog.

      »Nun, zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich die Substanz nur schwer bestimmen, aber es ist auf jeden Fall ein markantes Aroma. Leicht süßlich, aber beißend.«

      »Es könnte nicht etwas sein, das sie gegessen hat?«

      »Das glaube ich nicht«, sagte er und strich mit dem Wattestäbchen über Zoes Haut. Er nahm ein zweites Stäbchen und wiederholte den Vorgang behutsam in ihren Nasenlöchern. »Ich vermute, etwas aus der Chloroform-Familie.« Er richtete sich auf und sah sich um. »Das könnte das Fehlen von Kampfspuren erklären, und wenn es zutrifft, wäre ein Selbstmord ausgeschlossen.«

      »Wie lange dauert es, bis wir das Ergebnis haben?«

      »Normalerweise bis nach dem Wochenende, aber vielleicht könnte Ihre Forensikerin …«

      »Ich bin sicher, sie kann uns helfen«, sagte Jonah grinsend. Vielleicht würde McCullough nicht besonders begeistert davon sein, ihren Freitagabend im Labor zu verbringen, aber er wusste, dass sie es trotzdem machen würde.

      Juliette Hanson war erleichtert, dass der Gerichtsmediziner seine Untersuchung bereits beendet hatte, als sie am Tatort eintraf. Das Team der Spurensicherung bereitete gerade Zoes Abtransport vor.

      Nicht Zoe, dachte sie. Die Leiche. Nur die Leiche.

      Aber bei aller Erleichterung wollte sie genauso viel Einblick haben wie der DCI und O’Malley, deshalb nahm sie sich, während McCullough Sheens die diversen Fingerabdrücke und Fußspuren erläuterte, die Kamera des forensischen Fotografen und scrollte durch die Fotos.

      Selbst auf den kleinen Bildern war der Anblick verstörend. Die blutleeren Arme, das krasse Rot im Kontrast zu der weißen Wanne. Sie sah, was der DCI gemeint hatte, als er von fehlenden Spritzern gesprochen hatte. Bis auf eine lange, schmale getrocknete Spur, die vom Messer den Wannenrand hinunterlief, war Blut nur in dem dunkelroten Wasser zu erkennen, das beinahe fest wirkte.

      Sie klickte weiter zu verschiedenen Ansichten des Badezimmers. Die vierte zeigte das Waschbecken. Auf dem Wannenrand stand deutlich sichtbar eine Medikamentenpackung.

      Sie konnte das Etikett nicht lesen, aber als sie weiterklickte, fand sie eine Nahaufnahme. Das Rezept für das Medikament, aufgedruckt auf das Etikett, war auf Zoe Swardadine ausgestellt, 7,5 mg Zopiclone, einzunehmen einmal täglich.

      »Haben Sie das gesehen?«, fragte sie Sheens. »Zoe nahm Zopiclone.«

      Der DCI blickte auf das Display. »Ja«, sagte er. »Ich wollte es nachschlagen.«

      Hanson wurde rot, als sie sagte: »Es ist ein Schlafmittel. Ich habe es während des Studiums manchmal genommen. Ich hatte damals Schlafprobleme.«

      Der DCI nickte. »Ist das Rezept aktuell?«

      »Ausgestellt vor einer Woche«, sagte Hanson mit einem Blick auf das Datum. »Und es ist unwahrscheinlich, dass sie es schon viel länger eingenommen hat. Wenn man es zu lange nimmt, wirkt es nicht mehr. Nicht mehr als vier Wochen, hat man mir gesagt.«

      Sheens nickte erneut. »Interessant.«

      Sonst gab es auf den Fotos aus dem Bad nicht viel zu sehen. Sie erkannte die Post-its und Pfeile, wo das Team der Spurensicherung eine Reihe von Fingerabdrücken auf der Türklinke, am Wannenrand und an der Wand markiert hatte.

      Sie ging wieder zu ihrem Chef, der jetzt neben McCullough vor der Wohnungstür


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