Elefanten vergessen nie. Agatha Christie

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Elefanten vergessen nie - Agatha Christie


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müssten Sie das aber beurteilen können«, sagte Mrs Oliver. »Wir kennen uns lange genug.«

      »Ungefähr zwanzig Jahre?«

      »Ich weiß nicht genau. Ich kann mich nie an Jahreszahlen oder Daten erinnern. Ich bringe alles durcheinander. Ich erinnere mich an 1939, da begann der Krieg, und ich erinnere mich an andere Daten, weil sich da merkwürdige Dinge ereigneten.«

      »Jedenfalls gingen Sie zu dem Literatenessen. Es hat Ihnen nicht sehr gefallen.«

      »Das Essen schmeckte ausgezeichnet, aber nachher …«

      »Hat man Ihnen gewisse Dinge erzählt«, sagte Poirot mit der Güte eines Arztes, der sich nach den Krankheitssymptomen erkundigt.

      »Nun, wir hatten gerade angefangen, uns zu unterhalten. Plötzlich stürzte sich eines dieser großen, vollbusigen Weiber auf mich, die es immer fertigbringen, jeden zu beherrschen. Man fühlt sich schrecklich ungemütlich. Wissen Sie, als ob man einen Schmetterling fängt oder so, aber ohne Netz. Sie hat mich irgendwie eingekreist und auf eine Sitzbank geschubst, und dann begann sie, auf mich einzureden. Mit einem meiner Patenkinder fing sie an.«

      »Soso. Mit einem Patenkind. Haben Sie es gern?«

      »Ich habe sie viele Jahre nicht gesehen«, erklärte Mrs Oliver. »Ich kann nicht mit ihnen allen in Kontakt bleiben. Und dann stellte sie mir eine höchst beunruhigende Frage. Sie wollte wissen – du meine Güte, es fällt mir wirklich sehr schwer, es zu erzählen …«

      »Nein, es ist nicht schwer«, warf Poirot freundlich ein. »Es ist ganz einfach. Jeder erzählt mir früher oder später alles. Ich bin ein Fremder, sehen Sie, da macht es nichts aus. Es ist einfach, weil ich ein Fremder bin.«

      »Also«, sagte Mrs Oliver, »sie fragte mich nach dem Vater und der Mutter meiner Patentochter. Sie fragte mich, ob ihre Mutter ihren Vater oder ihr Vater ihre Mutter ermordet hätte.«

      »Wie bitte?«

      »Ja, ich weiß, es klingt verrückt. Ich fand es auch verrückt.«

      »Ob die Mutter ihrer Patentochter ihren Vater oder ihr Vater ihre Mutter ermordet hätte?«

      »Genau!«

      »Aber – war das eine Tatsache? Hatte ihr Vater die Mutter oder die Mutter den Vater tatsächlich ermordet?«

      »Nun, sie wurden beide erschossen aufgefunden«, sagte Mrs Oliver, »in den Klippen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es in Cornwall war oder auf Korsika. So was Ähnliches.«

      »Dann war es also wahr, was sie sagte?«

      »Ja, dieser Punkt stimmte. Es passierte vor Jahren. Na schön, aber – warum kommt sie damit zu mir?«

      »Weil Sie Kriminalschriftstellerin sind«, erklärte Poirot. »Sie sagte sicher, Sie wüssten alles über Verbrechen. Also, das ist wirklich passiert?«

      »Ja. Ich glaube, ich erzähle Ihnen besser alles von Anfang an. Allerdings kann ich mich nicht mehr an alles erinnern. Es liegt ungefähr … Nun, ich glaube, es liegt jetzt mindestens zwanzig Jahre zurück. An die Namen der Leute erinnere ich mich, weil ich sie mal gut gekannt habe. Die Frau war mit mir zur Schule gegangen, wir mochten uns gern. Wir waren Freundinnen. Es war ein viel besprochener Fall – wissen Sie, es stand in allen Zeitungen und so. Sir Alistair Ravenscroft und Lady Ravenscroft. Ein sehr glücklich verheiratetes Paar, er war Oberst oder General, sie reisten in der ganzen Welt herum. Dann kauften sie das Haus, irgendwo, ich glaube, im Ausland – ich kann mich nicht erinnern. Und auf einmal standen Berichte über den Fall in allen Zeitungen … Ob jemand sie ermordet hatte oder sie überfallen worden waren oder so was oder ob sie sich gegenseitig umgebracht hätten. Ich glaube, mit einem Revolver, der seit Urzeiten im Haus gelegen hatte. Also, ich erzähle Ihnen am besten alles, was ich noch weiß.«

      Mrs Oliver nahm sich zusammen und brachte es fertig, Poirot ein mehr oder weniger klares Resümee dessen zu geben, was man ihr erzählt hatte. Poirot hakte hier und da mit einer Rückfrage ein.

      »Aber warum?«, fragte er schließlich, »warum will diese Frau das so genau wissen?«

      »Das ist es gerade, was ich herausbekommen möchte«, sagte Mrs Oliver. »Ich glaube, ich könnte Celia ausfindig machen. Sicher lebt sie noch immer in London. Oder war es Cambridge oder Oxford? Ich glaube, sie hat ihren Doktor gemacht und hält hier Vorlesungen oder unterrichtet. Und – sie ist sehr modern, wissen Sie. Verkehrt mit langhaarigen Leuten in merkwürdiger Aufmachung. Dass sie Rauschgift nimmt, glaube ich nicht. Sie ist ganz in Ordnung und – ich hörte nur hin und wieder von ihr. Ich meine, sie schickt mir zu Weihnachten eine Karte und so. Nun, man denkt nicht die ganze Zeit an seine Patenkinder. Sie muss schon fünf- oder sechsundzwanzig sein.«

      »Nicht verheiratet?«

      »Nein. Anscheinend will sie heiraten – so habe ich es verstanden, den Sohn von Mrs – wie hieß die Frau noch? Ach ja, Mrs Brittle – nein – Burton-Cox!«

      »Und Mrs Burton-Cox möchte nicht, dass ihr Sohn dieses Mädchen heiratet, weil ihr Vater ihre Mutter oder die Mutter den Vater umgebracht hat?«

      »Vermutlich. Das ist der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann. Denn wieso spielt es für diese Ehe eine Rolle, wie es genau war? Wieso ist es der künftigen Schwiegermutter wichtig zu erfahren, wer wen umbrachte?«

      »Darüber sollte man nachdenken«, sagte Poirot. »Es ist … Also, wissen Sie, das ist wirklich interessant. Ich meine nicht bezüglich Sir Alistair Ravenscroft oder Lady Ravenscroft. Ich glaube, ich kann mich vage erinnern – an den Fall, oder war es nicht derselbe? Aber diese Mrs Burton-Cox ist sehr merkwürdig. Vielleicht ist sie nicht ganz richtig im Kopf? Hat sie ihren Sohn gern?«

      »Wahrscheinlich«, sagte Mrs Oliver. »Wahrscheinlich möchte sie einfach nicht, dass er dieses Mädchen heiratet.«

      »Weil sie vielleicht die Veranlagung, den Ehemann zu ermorden, geerbt hat – oder so was?«

      »Wie soll ich das wissen?«, rief Mrs Oliver. »Sie scheint anzunehmen, dass ich’s ihr verraten kann, aber sie hat mir wirklich nicht genug erzählt! Was steckt dahinter? Was bedeutet das alles?«

      »Es wäre fast interessant, es herauszufinden«, stellte Poirot fest.

      »Also, das ist der Grund, weshalb ich Sie besuche«, sagte Mrs Oliver. »Sie finden gern Sachen heraus. Sachen, deren Ursache Sie anfangs nicht erkennen können. Die niemand erkennen kann.«

      »Glauben Sie, dass Mrs Burton-Cox eine bestimmte Lösung vorzöge?«, fragte Poirot.

      »Sie meinen, dass der Mann seine Frau getötet hätte oder die Frau ihren Mann? Ich glaube nicht.«

      »Tja«, meinte Poirot. »Ich begreife Ihr Dilemma. Es reizt mich. Sie kommen also von einer Party. Man hat Sie gebeten, etwas sehr Schwieriges, fast Unmögliches zu unternehmen – und Sie, Sie überlegen, wie man so eine Sache am besten angeht.«

      »Na, und was wäre nun das Richtige?«

      »Das ist für mich nicht so einfach zu entscheiden. Ich bin keine Frau. Eine Frau, die Sie nicht besonders gut kennen, die Sie nur auf einer Party getroffen haben, hat Sie mit diesem Problem konfrontiert, Sie gebeten, es zu lösen, ohne ein genaues Motiv zu nennen.«

      »Jawohl«, sagte Mrs Oliver. »Und was tut Ariadne jetzt? In anderen Worten, was tut A, wenn Sie diesen Fall als Rätsel in einer Zeitung zu lösen hätten?«

      »Hm. Man könnte das Problem von drei Seiten angehen. A schreibt Mrs Burton-Cox einen Brief, es täte einem leid, man könnte ihr in dieser Angelegenheit wirklich nicht behilflich sein oder ähnlich. Zweitens, Sie setzen sich mit Ihrer Patentochter in Verbindung und erzählen ihr, was die Mutter des jungen Mannes, den sie heiraten möchte, von Ihnen verlangt hat. Sie werden herausbekommen, ob sie wirklich daran denkt, diesen Mann zu heiraten, und ob sie eine Ahnung oder der junge Mann ihr erzählt hat, was seine Mutter eigentlich will. Da wären noch andere interessante Punkte: zum Beispiel, wie das Mädchen über seine künftige Schwiegermutter denkt. Und drittens könnten Sie«, schloss Poirot,


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