Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans. Kim Forester

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Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester


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so schwer erwischt, dass sie nicht einmal mehr schreien konnten. Vielleicht waren sie schon tot.

      Ihre Sorge wurde noch größer, als sie sich dem alten Schiffsfriedhof näherte, auf dem ihre Gang zu Hause war. Der verfallene Zaun war niedergetrampelt worden und der Boden mit blutigen Hufspuren übersät. Laute Rufe und Schreie schallten aus dem hinteren Teil des Geländes. Nixi sprang über wild wuchernde Kletterpflanzen, wich den Überresten eines Ruderbootes aus und rannte auf das Schiff mit dem wurmstichigen Rumpf zu, das schief zwischen zwei verrosteten Stützbalken stand. Die Galionsfigur war einmal eine stattliche Frauenskulptur gewesen, doch Wind und Wetter hatten dem Holz im Lauf der Jahre so zugesetzt, dass sie inzwischen genauso grotesk aussah wie die Monster, die gerade die Insel angriffen. Ihre leeren Augenhöhlen, in denen vor langer Zeit funkelnde Juwelen gesteckt hatten, starrten gespenstisch auf Nixi herab.

      »Floss!«, brüllte Nixi. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. »Sylvie! Wo seid ihr?«

      Ein hohes, durchdringendes Kreischen kam vom Schiff. Nixi hielt sich die Ohren zu – eines der Monster war an Bord! Sie stürmte los, hangelte sich die Leiter hinauf, so schnell sie konnte, wobei ihre nassen, mit Schwimmhäuten bewachsenen Füße immer wieder auf den kaputten Sprossen ausglitten, und stürzte sich mitten ins Chaos. Ihre Gang kämpfte gegen ein riesiges Ungeheuer, dessen Tentakel sich wie Schlangen wanden. Von seinen Lefzen troff blutiger Geifer. Sylvies schwarze Locken flogen nur so umher, während sie mit bloßen Fäusten auf das Monster einprügelte und ihm die wildesten Beschimpfungen entgegenschrie. Karah hielt eine Bratpfanne in beiden Händen und hieb sie dem Monster auf den Kopf. Dewey und der kleine Tamin versuchten verzweifelt, ihm ein Seil um den Hals zu binden, doch das Monster knurrte und kreischte und schlug immer wieder mit seinen Tentakeln und Hufen nach ihnen. »Weg von ihm!«, brüllte Linus. »Lass ihn los!«

      Nixi gefror das Blut in den Adern. Unter dem Huf der Kreatur lag Rye. Sein sonst so freches Gesicht war schmerzverzerrt und sein sandfarbenes Haar blutverkrustet.

      Nixi sprang mit einem Satz über Tamin hinweg und bohrte ihren Speer in die empfindliche Stelle unter dem Tentakel.

      Das monströse Pferdewesen taumelte zur Seite und stieß ein wuterfülltes Kreischen aus. Nixi hob ihren Speer und zielte auf den anderen Tentakel, aber bevor sie zustechen konnte, sprang die Kreatur von Bord und galoppierte davon, eine Spur aus schlammigem braunem Blut hinter sich herziehend. Seine Hufschläge hallten über den Schiffsfriedhof. Tamin und Dewey halfen Rye auf die Beine, während die anderen Nixi mit offenem Mund anstarrten.

      »Wie ich sehe … hast du die Dinge hier … ganz gut im Griff«, sagte Nixi keuchend zu Sylvie.

      Doch die anderen kauften ihr den sarkastischen Tonfall nicht ab. Sie rannten auf sie zu, umarmten sie alle gleichzeitig und bestürmten sie mit Begrüßungen und Fragen.

      »Nixi! Du bist gekommen, um uns zu helfen!«

      »Wo kam dieses Monster her?«

      »Ich war gerade an Deck, als es sich plötzlich auf mich gestürzt hat«, berichtete Rye. Er hatte eine Platzwunde an der Schläfe und rieb sich die schmerzende Brust, schien aber nicht ernsthaft verletzt zu sein. Die anderen waren mit ein paar Kratzern und blauen Flecken davongekommen, außer Tamin, dem das Biest mit seinem Tentakel eine ziemlich beeindruckende blutige Nase geschlagen hatte.

      Floss und Granit erschienen mit Petroleumlampen in der Hand auf der morschen Treppe, die von der Kombüse nach oben führte.

      »Nixi? Bist du das?«, fragte Floss. So wie sie die brüchigen Stufen hinaufeilte, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie blind war.

      »Ja, ich bin es.« Nixi grinste die beiden Mädchen erleichtert an.

      »Wir wären auch hier oben gewesen, um zu kämpfen«, beteuerte Granit eilig, als wollte sie nicht, dass Nixi glaubte, sie hätte sich gedrückt, »aber Floss hatte die Idee, Lampen zu holen und zu versuchen, das Monster zu verbrennen.«

      Floss nickte. »Es roch nach Meer. Und da habe ich mich daran erinnert, wie sehr dir das Feuer wehgetan hat, Nixi.«

      Nixi erinnerte sich auch noch lebhaft daran – die Gang hatte sie angegriffen, als sie zum ersten Mal in ihrer neuen Gestalt hier aufgetaucht war. Die Flamme hatte ihre Meermenschenhaut übel verbrannt. Die Wunde hatte richtig gequalmt und ihr höllische Schmerzen bereitet.

      »Ja«, meinte Nixi trocken. »Das hätte garantiert funktioniert.«

      Die anderen traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Immerhin hatten sie damals schnell begriffen, dass Nixi kein Monster war – also konnten die restlichen Inselbewohner das hoffentlich auch. »Diese Viecher sind überall auf der Insel! Ihr müsst dafür sorgen, dass die Leute nicht mehr die Kelpies bekämpfen, sondern sich von uns helfen lassen.«

      Die anderen sahen Sylvie an, die in Nixis Abwesenheit zur neuen Anführerin geworden war.

      »Worauf warten wir noch?«, rief Sylvie. »Auf geht’s!«

      Nixi lief voraus. Auf der Hauptstraße war kein Durchkommen mehr, denn das Pflaster war mit umgekippten Ochsenkarren, Feuerholz und Gemüse übersät. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich den Docks durch die Seitenstraßen zu nähern. Als sie den Hafen erreichten, begriff Nixi, dass die Karren Teil einer Barrikade waren, die die Inselbewohner aus Kisten, Fässern, Treibholz, Sandsäcken, Holztrommeln und was sie sonst noch hatten finden können, errichtet hatten. Die Menschen kauerten hinter der Barriere und stachen auf die Hufe und Tentakel der Pferdeungeheuer ein, wann immer diese ihnen zu nahe kamen.

      Auf den Docks kämpften die Kelpies und Meermenschen mit unverminderter Härte gegen die Monster an, teils zu zweit, teils alleine. Nixi zuckte zusammen, als eines der Monster einen Fangarm um das Hinterbein eines Kelpies schlang und das Kelpie mit lautem Krachen auf den Rücken warf.

      Inmitten des Getümmels entdeckte Nixi fünf Männer an Deck eines Schiffes. Sie brüllten Befehle – es waren Dobber und die anderen Kapitäne, mit denen er sich vorhin unterhalten hatte. Wenn es hier auf der Insel so etwas wie offizielle Anführer gab, dann waren es die Schiffskapitäne – also musste Nixi bei ihnen anfangen, um die Menschen zu überzeugen, dass die Kelpies und das Meervolk ihre Verbündeten waren. »Kommt mit«, rief Nixi ihrer Gang zu und rannte in Richtung des Schiffes.

      Sylvie blieb kurz davor stehen und ließ ihren Blick abschätzend über die fünf Männer schweifen. »Kapitän Dobber!«, rief sie. Nixi verspürte einen Anflug von Stolz. Sylvie hatte genau wie sie auf den Schiffen all dieser Männer gearbeitet und blitzschnell erkannt, dass sie bei Dobber wohl am ehesten auf offene Ohren stoßen würden. Und es war Nixi, die ihr all das beigebracht hatte.

      Dobber sah auf.

      »Die Kelpies haben uns das Leben gerettet!«, verkündete Sylvie mit fester, klarer Stimme. »Wir alle haben uns in ihnen getäuscht! Sie sind hier, um uns zu helfen!«

      »Und das hier ist wirklich Nixi«, ergänzte Floss und zeigte genau dorthin, wo Nixi stand, obwohl sie die nicht sehen konnte. Wahrscheinlich kann sie mich riechen, dachte Nixi missmutig – sie war sich des fischigen Meermenschenaromas, das sie umgab, nur allzu bewusst. »Lasst die Kelpies und Meermenschen helfen, sonst müssen wir alle sterben!«

      Doch Kapitän Dobber verzog das Gesicht. »Redet keinen Unsinn!«

      »Bitte, Kapitän Dobber.« Sylvie schlug jetzt den vernünftigen Tonfall an, den auch Nixi immer für Verhandlungen nutzte – Sylvie hatte wirklich gut aufgepasst. »Ihr weist ab, was Ihr am dringendsten braucht: Verbündete!«

      Dobber schüttelte den Kopf. »Ihr macht gemeinsame Sache mit dem Feind, ihr kleinen Narren.«

      »Wohl eher Verräter«, grollte Kapitän Beecham mit geballten Fäusten. Die anderen Kapitäne knurrten zustimmend.

      Nixi stieß einen leisen Fluch aus und sah sich nach May, Dobbers einstiger Verlobter, um. Auf sie würde er doch bestimmt hören … Aber sie konnte Mays helles, seegrasartiges Haar in dem Getümmel bei der Barrikade nirgends ausmachen.

      »Diese Rotzlöffel gehören in den Knast!«, befand


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