Omnipotens. Thorsten Klein
Читать онлайн книгу.viel besser, als Alexandra und Michael es je sein würden.
Der Genosse Bolschoi reichte ihm die Hand. Wissarew ergriff sie. Er zog den alten Revolutionär zu sich heran. Um ihn zu umarmen. Viel lieber hätte er ihm einen Dolch in den Rücken gerammt, um die Sache endlich zu Ende zu bringen.
Als er aber das kurze Zucken spürte und merkte, wie schwer der fremde Körper plötzlich wurde, wusste er, der Dolch war nicht mehr nötig.
Intermezzo 1
Nicht außerhalb, nur in sich selbst soll man den Frieden suchen. Wer die innere Stille gefunden hat, der greift nach nichts, und er verwirft auch nichts.
Siddhartha Gautama (563 v.Chr. – 483 v.Chr.)
Ort: Terra Nostra, Pembroke Castle
Catarina Velare kämpfte.
Gegen den schwarzen Herzog und Guillaume Le Marechal.
Natürlich gegen beide gleichzeitig. Der Kampf wäre sonst im höchsten Maße unfair gewesen. Für Catarinas Gegner. Die beiden Herren waren schwer damit beschäftigt, sich der Angriffe Catarinas zu erwehren.
Alle MindScriptProjektionen zeigten die Kämpfe von Vollbürgern immer in einer sehr, sehr langsamen Zeitlupe. Um dem Chronisten überhaupt die Möglichkeit zu geben, diese zu verfolgen. In dieser Zeitlupe kämpften die drei mehrere Stunden gegeneinander. In Echtzeit nur mehrere Minuten.
Der Herzog und sein Mitkämpfer waren danach trotzdem außer Atem, während bei Catarina weder Schweiß noch beschleunigte Atmung zu erkennen war.
„Mein Gott, hatte der eine Angst um dich, dass er dich zu so einer Kämpferin gemacht hat“, war das einzige Kompliment, welches der Herzog japsend von sich geben konnte.
„Er hat gesagt, ich müsste die allerbeste Kämpferin werden, damit er in Ruhe seinem Tod entgegengehen kann,“ bestätigte sie.
„Wirst du Unterricht geben?“, fragte der Chevalier, während er sich das Gesicht abtrocknete. „Das wäre eine gute Idee. Wir hätten dann weniger zu tun. Bei dir würden sie nämlich Schlange stehen. Selbst die alten Hasen könnten noch was von dir lernen.“
„Ich soll unterrichten? Ich glaube, das kann ich nicht. Ich weiß, was mir Richard alles beigebracht hat. Aber ich wüsste nicht, wie ich das anderen beibringen sollte.“
„Ich glaube, den meisten würde es genügen, wenn du ein paar Minuten mit ihnen kämpfst. Sie würden dann rasch selber merken, was sie noch lernen müssen“, beruhigte sie der Herzog. Er fand den Vorschlag auch akzeptabel. Alexandras Heilung und der Tod Richard Kummers hatten für viel Freizeit beim Hohen Rat gesorgt. Die wollte er sich nicht durch mehr Unterricht versauen.
„Ihr könnt froh sein, dass ich eurer Bitte um einen Zweikampf nachgekommen bin. Ich habe auf Psyche so viel zu tun, dass ich nur noch selten auf Terra Nostra weile.“
„So viel zu tun? Du suchst immer noch nach Richard?“, fragte der Chevalier, ohne dabei auszusprechen, was er dachte.
Der Herzog hatte natürlich keine Probleme damit, auszusprechen, was Le Marechal nur dachte: „Den musst du nicht suchen. Richard Kummer ist tot. Definitiv.“
„Das weiß ich doch“, antwortete Catarina, mit jener Natürlichkeit, die ihr immer eigen war. „Aber ein so starker und ausgeprägter Geist verschwindet nicht einfach so aus dieser Welt. In irgendeinem Körper wird er sich manifestieren.“
„Hat er dir das gesagt?“, fragte der Herzog misstrauisch und dachte dabei: Dieser Spielverderber, so etwas zu verraten. Der konnte sein Liebchen einfach nicht in Trauer zurücklassen.
„Selbstverständlich. Wir haben oft von seinen Besonderheiten gesprochen. Er war der erste Vollbürger der Erde, stimmt´s?“
Der Herzog korrigierte: „Er war einer der ersten Vollbürger auf der Erde, das ist richtig. Über die Fähigkeiten von Vollbürgern zur Seelenwanderung hat er die ersten wissenschaftlichen Arbeiten verfasst. Die meisten Fakten darin waren sogar richtig.“
„Also muss ich nur jenen Menschen finden, dessen Seele am meisten der Seele Richard Kummers gleicht. Dann habe ich ihn wiedergefunden.“
„Das wäre zumindest eine passende Möglichkeit, mit deiner Trauer fertig zu werden“, stimmte der Chevalier zu.
„Welche Trauer?“, fragte Catarina zurück und zeigte dabei nicht nur ihr hellstes Lachen, sondern auch helle Haare und eine helle Haut. Es ging ihr sichtbar gut. „Ich weiß, dass er noch lebt, und ich bin mir sicher, ich werde ihn wiederfinden.“
Mit diesen Worten verschwand sie in der RaumZeit, zwei verblüffte Männer zurücklassend.
„Die Kleine ist erwachsen geworden“, konnte der Herzog seine Anerkennung nicht verschweigen.
„Das musste sie auch werden“, stimmte der Chevalier zu, „schließlich hat sie Großartiges vor.“
Ort: Psyche, Schloss Ehrlichthausen
„Ich soll endlich erwachsen werden?“, fragte Peta. „Ich bin erwachsener, als du denkst. Du wirst es verstehen, wenn ich dir sage, was ich Großartiges vorhabe.“
„Was kann großartig daran sein, eine Verschwörungstheorie in die Welt zu setzen, die auf einfache Weise erklärt, was viel komplizierter ist“, wollte Dietrichstein wissen.
„Auf dieses Urheberrecht erhebe ich keinen Anspruch. Es liegt bei anderen“, wehrte Peta ab.
„Du hast dir die Dolchstoßlegende nicht ausgedacht?“
„Natürlich nicht. Wenn, dann hätte ich sie so gestaltet, dass sie jeder für wahr halten muss. Nein, diese Idee hatten viele. Britannier, Franken, aber auch Deutsche, wie der Herr von Sälzer, der eine viel größere Rolle in dieser Welt spielen möchte, als sie ihm das Leben bisher zugewiesen hat. Von mir aus. Dieses Casting kann er gern gewinnen. Irgendwann wird er sich wünschen, im Bühnenhintergrund geblieben zu sein. Ich werde das zukünftig tun.“
„Wie bitte?“ General von Dietrichstein glaubte, sich verhört zu haben. „Du schmeißt alles über Bord, wofür du vorher so vehement gekämpft hast? Nur, weil du einen Krieg nicht gewinnen konntest?“
„Ich habe ihn doch gewonnen. Die britannische Regierung hat sich überschlagen, um dem Herzog von Montmorency Siegeskränze zu flechten.“
„Siegeskränze? Aber Britannien hat ebenso verloren, wie die anderen Mächte in diesem Krieg. Das britannische Empire ist auseinandergebrochen. Viele Staaten haben sich von der Londoner Oberhoheit losgesagt und gehen ihren eigenen Weg.“
„Was wieder einmal eindrucksvoll zeigt, dass ein Krieg am Ende nur Verlierer kennt. Besser also, die Finger von ihm zu lassen?“
„Das sagst du, der Gott des Krieges?“
„Ich sehe mich in Zukunft eher als ein Gott der Widersprüche. Die kann man auch auf anderen, friedlicheren Wegen klären.“
Dietrichstein ärgerte sich, so wenige medizinische Kenntnisse zu besitzen. Peta musste krank sein. Zumindest im Kopf. Die Symptome waren unübersehbar. Eine Diagnose erstellte er aber nur in der Form, dass er seinem Gegenüber einen Vogel zeigte und sich von ihm abwandte, um den Raum zu verlassen.
Peta fasste ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. „Ich verarsche dich nicht und bin auch sonst geistig gesund. Ich habe sogar Großes mit dir vor. Was hältst du davon, wenn wir dich zum Deutschen Kaiser machen?“