Baskische Tragödie. Alexander Oetker

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Baskische Tragödie - Alexander Oetker


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sie erst einmal eine Weile nicht reisen würden.

      »Los, raus aus dem Bett jetzt, Schlafmütze!«, rief Anouk durch die offene Tür und riss Luc aus seinen Tagträumen. Gut so.

      Unter der Dusche ließ Luc die letzten Monate Revue passieren: Nach den schrecklichen Ermittlungen im Austernmord war es vergleichsweise ruhig geworden. Im Januar hatten sie in einer Reihe von Taschendiebstählen in Arcachon ermittelt und – weil gar nichts los war – dem Drogendezernat in einem Vorort von Bordeaux geholfen.

      Und zwischen Anouk und Luc? War es wunderbar verlaufen. Harmonie, gute Gespräche, toller Sex. Und es hatte sich der Alltag eingestellt. Ein wunderschöner Alltag. Die Form von Alltag, die sie beide hatte durchatmen lassen. Den anderen wirklich kennenlernen. Alltag, in dem es Luc bei anderen Frauen immer langweilig geworden war. Bei Anouk war von Langeweile keine Spur. Er war sich sicher: Das war seine Liebe. Die Frau, die er über alle Maßen begehrte und die er in seinem Leben wollte. Und nun war sie schwanger.

      Und Luc? Er spürte sich. In einer Tiefe, die er so von sich noch nicht gekannt hatte. Seine Angst war verschwunden. Die Angst vor Verlust, vorm Verlassenwerden. Er hatte stärkeren Zugang zu seinen Gefühlen gefunden. Und konnte endlich zulassen, all die schönen Momente in seinem Leben zu teilen. Schließlich wurden sie dadurch noch schöner.

      Als sie vor der Wohnungstür standen, beide in Wochenendklamotten – Luc trug eine Chino und ein graues Sweatshirt gegen die Kälte, Anouk ihre abgewetzte Lieblingsjeans und eine blaue kurze Jacke –, da trat sie noch mal an ihn heran, küsste ihn lang und zärtlich und sagte: »Und, Monsieur le Commissaire? Bereit für den Samstag?«

      »Bereit für den Samstag und für dich.«

      Jetzt küsste er sie neckender als vorhin, und dann öffnete sie die Tür.

      »Was ist das?«

      Luc schob sich an ihr vorbei.

      »Was denn?«

      Sie zeigte mit dem Finger auf das große Kuvert, das mit einem groben dunklen Paketband an die Wohnungstür geklebt worden war.

      »Luc Verlain« stand darauf, in feinen Lettern, die Luc von irgendwoher zu kennen glaubte. Er nahm den gelben Umschlag und sah Anouk fragend an. Die zuckte mit den Schultern.

      »Willst du ihn wirklich einfach so aufmachen? Oder wollen wir lieber das Sprengstoffkommando holen?«

      Luc grinste, dabei war ihm gar nicht komisch zumute. Aber eine Briefbombe? Eher unwahrscheinlich. Woher kannte er diese Schrift? Das Kuvert trug keine Briefmarke, keinen Poststempel, nichts. Der Absender hatte es offenbar persönlich zugestellt, in der Nacht, als sie geschlafen hatten, oder jetzt am Morgen.

      Luc befühlte den Umschlag. Nur Papiere. Er öffnete ihn vorsichtig.

      Er entnahm dem Kuvert ein A4-Blatt mit einem offiziellen Aufdruck.

      Laboratoire médical de Bayonne stand ganz oben. Merkwürdig. Was sollte das?

      Und dann las Luc die Zeilen, die sein Leben verändern sollten.

      »Lea Poulain, geboren am 21. September 2009 in Paris, Tochter von Aurore Poulain – ausgewiesen durch einen DNA-Test –, ist ausweislich dieses Testes und durch den Vergleich mit einer Haarprobe, übergeben am 11. Februar 2016 an unser Labor in Bayonne, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent die Tochter von Luc VERLAIN, geboren am 28. Oktober 1977 in Bordeaux.

      gez. Weber, Maître de Laboratoire«

      Luc ließ das Schreiben fallen. Dabei löste sich aus dem Kuvert ein Post-it. Luc hob es auf. Die Zeilen waren mit blauer Tinte geschrieben worden, in dieser fein ziselierten Schrift, von der Luc wieder einfiel, wo er sie nun schon zweimal gesehen hatte.

      »Commissaire Luc Verlain. Ich habe das mal für Sie erledigt. Herzlichen Glückwunsch. Wir sehen uns.

      Salut de San Sebastián.«

      Die Schrift. Sie hatte auf der Karte gestanden, letzten Sommer, der Karte, die ihn in der Aquitaine willkommen geheißen hatte, kurz nachdem er seinen ersten Fall im Südwesten gelöst hatte. Es war dieselbe Schrift wie auf der Karte, die Anouk erhalten hatte. Die sie vor Luc warnen sollte. Und Luc fiel der Einbruch wieder ein. Der Einbruch in seiner Cabane. Letzten Herbst. Als sie Gaston, den alten Restaurantbesitzer, niedergeschlagen hatten. Dabei hatten sie seine Haarbürste gestohlen. Für die Haarprobe. Wer wollte ihn hier vorführen? Wer wusste von einer Tochter?

      Er hatte eine Tochter. Lea. Die Tochter von Aurore. Natürlich erinnerte er sich an Aurore. An ihre kurze Beziehung. Viel eher war es nur eine Affäre. Wer hatte davon gewusst? Wer hatte geahnt, dass es Lucs Tochter war? Warum sollte Aurore es ihm auf diesem Wege mitteilen? Das hier, da war er ganz sicher, war nicht ihre Schrift.

      Der Hausflur verschwamm vor seinen Augen, er musste sich an der Wand abstützen.

      »Luc«, sagte Anouk, die seine Privatsphäre gewahrt hatte, die gar nicht auf die Idee gekommen war, das Schreiben mitzulesen, ohne dass er es wollte. »Luc? Was ist los?«

      Er schaute sie an, schüttelte den Kopf, wies nach draußen.

      »San Sebastián. Ich muss nach San Sebastián.«

      Lundi – Montag Auf der anderen Seite

      Ortsausfahrt von Biarritz Richtung Süden Lundi 29 mai, 17:00

      Luc beschleunigte, als er aus dem Kreisverkehr in die Avenue Beau Rivage einbog. Die Stadt lag beinahe hinter ihm, der Ozean war hinter den hohen Mauern der baskischen Häuser zu seiner Rechten verborgen.

      Der alte Jaguar gluckste, als genösse er die Fahrt unter diesem sonnigen Himmel, der Commissaire aber konnte sich an der Kulisse von Biarritz nicht erfreuen. In seinem Kopf ging alles durcheinander.

      ›Ruhig bleiben‹, mahnte er sich seit Stunden, ›bleib ganz ruhig.‹

      Von außen musste er den Anschein eines gelassenen Mannes machen, eines Mannes, der mit sich im Reinen war: Er hatte das Fenster heruntergekurbelt, der Ellbogen lag auf dem Rahmen, der Fahrtwind kühlte die schon warme Frühsommerluft. Auf France Culture erklangen die letzten Takte von Pachelbels Kanon, doch Luc war nicht bei der Sache.

      Wegen des offenen Fensters hörte er das Aufheulen des Motors hinter sich, noch bevor der Peugeot 307 mit der unverkennbaren Banderole neben ihm war, auf gleicher Höhe, zwei Männer schauten finster herüber, dann setzte sich der Wagen vor ihn, das Blaulicht und die Sirene wurden eingeschaltet und Luc im selben Moment ausgebremst.

      »Was soll denn das jetzt?«, murmelte er, doch dann ging er in die Eisen, so heftig zwang ihn der Polizeiwagen zum Anhalten. Der Jaguar spurte sofort und kam auf dem Seitenstreifen hinter dem Kleinwagen zum Stehen, der sein blinkendes Licht auf dem Dach anbehielt wie eine Warnung.

      Links und rechts öffneten sich die Türen, die zwei Uniformierten stiegen aus und kamen auf seinen Wagen zu, beide hielten die Hand am Holster. Luc ließ das Fenster herunterfahren.

      ›Lass die Hände auf dem Lenkrad liegen‹, mahnte er sich, so wie er es auf der Polizeischule gelernt hatte, ›ruhig bleiben, dann fahren sie wieder.‹

      Der eine blieb vor seinem Auto stehen, immer noch die Hand an der Waffe. Der andere trat an die Scheibe heran, Luc hörte seine schweren Stiefel auf dem Splitt knirschen. Der Mann war riesig, ein Hüne, er trug eine dunkle Sonnenbrille, sodass seine Züge nur zu erahnen waren. Seine Glatze war schweißnass.

      »Steigen Sie aus dem Auto aus«, sagte er im Befehlston.

      »Bonjour, Brigadier«, erwiderte Luc, der den roten Streifen auf dem Schulterstück der Uniform ausgemacht hatte, »was ist denn los?«

      »Steigen Sie aus dem Auto aus, Monsieur.«

      Luc betrachtete den Polizisten nachdenklich, doch der verzog keine Miene. Langsam nahm Luc die Hände vom Lenkrad und hielt sie offen zu dem Beamten hin, dann betätigte er den Türgriff und öffnete die Tür. Er sah, wie der Polizist einen Blick mit seinem Kollegen wechselte. Der Mann, der vor der Motorhaube stand, nickte. Luc stieg aus und


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