Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren. A. F. Morland

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Ferien Lesefutter Juni 2019 - 5 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland


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man in den Wald ruft, so schallt es wider“, sagte Claudia.

      Senta Wagner putzte sich die Nase. „Wie meinen Sie das?“

      „Wenn Sie den Computer lieben und ihm mehr Verständnis entgegenbringen würden, würde er sich Ihnen gegenüber auch anders verhalten. Da Sie sich aber absolut nicht für ihn interessieren, zahlt er es Ihnen heim, indem er Sie bei der erstbesten Gelegenheit hängen lässt.“

      „Ich bin zu alt. Ich begreife diesen ganzen elektronischen Zauber einfach nicht. Ihr Großvater wird mit mir nicht mehr lange Geduld haben ...“

      „Hat er das gesagt?“

      „Das braucht er nicht zu sagen. Ist doch klar, dass ihm mit jemandem wie mir auf Dauer nicht gedient ist.“

      „Sie wissen, dass er Sie als Mitarbeiterin trotz allem schätzt“, sagte Claudia besänftigend.

      „Ja“, jammerte Senta Wagner, „aber wie lange noch?“

      „Sie brauchen keine Angst zu haben. Er wird Sie nicht entlassen.“ Claudia setzte sich neben die Frau. „So, und nun erklären Sie mir, was Sie gemacht haben.“

      „Nichts.“

      „Es kommt so gut wie nie vor, dass Computer ganz von selbst anfangen zu spinnen, Frau Wagner.“

      „Na ja, vielleicht habe ich irrtümlich zwei Tasten gleichzeitig berührt - was weiß ich. Auf jeden Fall fing dieses Mistding plötzlich an zu spinnen. Ich hatte lauter Hieroglyphen auf dem Bildschirm, und es ging überhaupt nichts mehr. Ich wollte aus dem Programm aussteigen und die Arbeit nach einem Neustart fortsetzen, aber das funktionierte aus einem mir unerfindlichen Grund nicht.“

      „Darf ich mal?“

      Senta Wagner rollte mit ihrem Bürostuhl zur Seite. Sie gab kleinlaut zu, dass sie alles mögliche versucht hatte, um den gemachten Fehler zu revidieren, und Claudia konnte davon ausgehen, dass die Unwissende in ihrer Panik sich immer tiefer in den Schlamassel hineingeritten und eine Menge Standardeinstellungen verändert hatte. Sie begab sich Schritt für Schritt auf die Suche nach den Fehlern, fand und korrigierte sie, und nach ungefähr zehn Minuten arbeitete der Rechner wieder einwandfrei.

      Frau Wagner traute ihren Augen nicht.

      „Wie haben Sie das nur so schnell wieder hingekriegt?“

      „Haben Sie mir nicht zugesehen?“

      „Doch.“ Senta Wagner hob hilflos die Schultern. „Aber begriffen habe ich nichts von all dem.“

      Claudia Meeles stand auf.

      „Ich werde meinem Großvater berichten, dass nun wieder alles in Ordnung ...“ Sie unterbrach sich, weil ein leichter Schwindel sie erfasste, und lehnte sich an den Schreibtisch.

      „Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Frau Wagner sogleich besorgt.

      Claudia machte eine wegwerfende Handbewegung.

      „Ist schon wieder vorbei.“

      6

      Als Dr. Härtling von der Paracelsus-Klinik nach Hause kam, sagte die Haushälterin: „Heute Abend gibt’s was ganz Feines.“

      „So?“, sagte Sören Härtling. „Was denn?“

      „Putenröllchen in Weißweinsoße.“ Der Klinikchef umarmte die Wirtschafterin lächelnd. „Ottilie, Sie verwöhnen uns!“

      „Und hinterher gibt es noch einen fruchtigen Zitronen-Blechkuchen.“

      Sören Härtling lachte. „Großer Gott, wer soll denn das alles essen?“

      „Sie und Ihre Familie“, erwiderte die grauhaarige Ottilie schmunzelnd.

      „Meinen Sie es nicht etwas zu gut mit uns?“

      „Was vom Blechkuchen übrigbleibt, serviere ich morgen zum Frühstück.“

      Dr. Härtling seufzte leise. Ottilie kochte so hervorragend, dass er sich permanent vorsehen musste. Noch war er - dank seiner eisernen Selbstdisziplin - schlank, aber wenn er nicht weiterhin wachsam war, bestand die Gefahr, dass die tüchtige Haushälterin ihm die ersten Fettpölsterchen an die Rippen kochte.

      „Wie geht es meiner Frau?“

      „Bestens. Ich habe darauf geachtet, dass sie sich schont.“

      „Sehr brav.“

      Der Klinikchef ging ins Wohnzimmer und begrüßte seine Familie, und es freute ihn zu sehen, dass seine Frau wieder so gut wie stets aussah.

      Die zehnjährige Josee und der vierzehnjährige Tom waren mal wieder konträrer Meinung. Sören ließ sie’s ausdiskutieren. Er mischte sich nicht ein, ergriff weder für den einen noch für den anderen Partei. Der achtzehnjährige Ben war an diesem Abend aus irgendeinem Grund nicht besonders gut drauf, hüllte sich in mystisches Schweigen und wollte in Ruhe gelassen werden, und seine Zwillingsschwester erzählte von ihrem Tennismatch gegen Claudia Meeles, das sie haushoch gewonnen hatte.

      Im Großen und Ganzen war es ein Abend wie jeder andere im Hause Härtling. Ottilie bat eine halbe Stunde später zu Tisch und servierte das Essen. Und da Josee und Tom ihre Differenz noch immer nicht beigelegt hatten, sagte Jana Härtling zu ihrem Mann: „Ich bitte dich, Sören, sprich ein Machtwort, damit dieses nervende Gezänk endlich aufhört.“

      „Schluss jetzt“, sagte Dr. Härtling in autoritärem Tonfall, und Josee und Tom verstummten.

      7

      Jo Dengelmann fütterte in Paul Tasslers Apartment die Fische. Die Wohnung schien von einer Frau eingerichtet worden zu sein. Ein Zierkissen hier, ein Spitzendeckchen da, ein Püppchen dort. Wenn jemand die Kosten für eine Geschlechtsumwandlung übernommen hätte, hätte Paulchen Tassler keine Sekunde gezögert, sie an sich vornehmen zu lassen, denn er sah zwar - unbekleidet - aus wie ein Mann, aber er fühlte nicht so. In den Schränken hingen fast ausschließlich Frauenkleider.

      Philomena besaß Perücken in den verschiedensten Haarfarben, französische Dessous und Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen. Jo Dengelmann war sicher, dass er sich das Genick gebrochen hätte, wenn er damit hätte laufen müssen. Dass Paul zur Zeit im Gefängnis Männerkleidung tragen musste, war für ihn eine zusätzliche Strafe.

      Nachdem Jo die Fische gefüttert hatte, schaltete er den Fernsehapparat ein. Werbung. Jo stöhnte und schaltete den Ton ab. Es interessierte ihn nicht, welches Waschmittel mit verbesserter Formel noch weißer wusch, welches geniale Putzmittel noch blanker scheuerte, welche intelligente Schönheitscreme das Altem der Haut noch mehr hinauszögerte ...

      Das Telefon läutete. Jo meldete sich. Am anderen Ende war ein Mann.

      „Philomena?“

      „Philomena ist nicht da.“

      „Nicht da? Wann kommt sie nach Hause?“

      „Nicht so bald“, antwortete Jo Dengelmann wahrheitsgetreu. „Sie ist verreist.“

      „Schade. Ich bin nur heute und morgen in Hamburg, und da dachte ich, Philomena hätte vielleicht Lust, mit mir auszugehen.“

      „Ich bin ziemlich sicher, dass ihr das Spaß machen würde, aber – leider ... Soll ich ihr irgendetwas ausrichten?“

      „Nicht nötig. Ich rufe wieder an, wenn ich das nächste Mal in Hamburg bin.“

      „Geht klar.“ Jo Dengelmann legte auf.

      Im Fernsehen lief noch immer der „Werbeschwachsinn“, wie Jo es nannte. Er griff nach der Fernbedienung und begann zu zappen. Western. Krimi. Zeichentrickfilm. Historischer Schinken aus dem Jahre Schnee.

      Als junge hübsche Mädchen in bunten Kostümen über den Bildschirm hüpften, hellten sich Jos Züge auf. An den


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