Der Geheimbund der 45. Bernhard Wucherer

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Der Geheimbund der 45 - Bernhard Wucherer


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ein Bregenzer hatte sein müssen, der in ihrem aufstrebenden Städtchen bei allen Entscheidungen ein Wörtchen mitzusprechen haben würde, war ihnen lange nicht in die Köpfe gegangen. Dementsprechend störrisch hatten sie sich verhalten.

      Aber »der Bregenzer« hatte sich von Anfang an in jeder Hinsicht als kluger und umsichtiger Grundherr gezeigt, der sich mit den politisch angespannten Verhältnissen in den deutschen Landen gut zu arrangieren verstand. So hatte er nicht gezögert und gleich nach seinem Amtsantritt damit begonnen, die seinerzeit von Hannes Eberz angelegte Hauptstraße genau vermessen zu lassen, um sie nach dem Vorbild größerer Städte weiter auszubauen und mit einer genauso breiten Querstraße zu versehen.

      »Die Straßenführung von Isine sieht dann aus wie das Kreuz unseres Herrgotts«, hatte er lachend gesagt, als er seine Visionen zum ersten Mal öffentlich verkündet hatte.

      »Die Leute vom See haben schon einen merkwürdigen Humor«, hatte einer der zu diesem Gespräch geladenen Kaufleute seinem Tischnachbarn zugeflüstert und ein zustimmendes Kopfnicken zurückbekommen.

      Während die Arbeiten in vollem Gange sein würden, wollte der hemdsärmelig wirkende Grundherr von Isine auch noch den bestehenden Marktplatz neu gestalten und am südlichen Ende der Straße eine Marktbefestigung errichten. Gleichzeitig hatte er vor, den vor sieben Jahren begonnenen Bau seines Amtshauses endgültig fertigzustellen. Wegen der unsicheren Zeiten hatte der Graf von Montfort vom ersten gesetzten Stein ab großen Wert darauf gelegt, den Gebäudekomplex massiv und verteidigungstauglich auszubauen. »Es soll ein festes Haus am Markt sein!«, hatte er seinem Baumeister Theo Finck eingebläut, weil er ganz genau gewusst hatte, dass es eine raue Zeit war, in der Brandschatzungen, Einbrüche und Überfälle fast an der Tagesordnung waren.

      Weil sich sein Amtshaus direkt hinter dem Marktlatz am belebtesten Knotenpunkt des Dorfes befinden würde, war die Gefahr umso größer. Aber dies fürchtete Ulrich von Montfort nicht im Geringsten. Er wusste, wie er sich abzusichern hatte und das Marktgeschehen an sich ziehen konnte, um sich dadurch die herrschaftliche Macht zu sichern. So wusste er auch, dass er mit der Straßenerweiterung noch mehr Menschen ins Dorf würde locken können als bisher. Und das war ganz in seinem Sinne.

      »Die bestehenden sechs Magazine am Amtshaus haben sich bisher schon vortrefflich als Leinenlager geeignet und dienen nun auch noch hervorragend als Salzhaus!«, freute er sich seinem Baumeister gegenüber.

      Kurz darauf stand der umtriebige Montforter mit Theo Finck an der Stelle, an der er mit der Umsetzung seines Bauvorhabens beginnen wollte.

      »Kein Händler soll an Isine vorbeikommen!«, bemerkte er zum Baumeister, den er für dieses Projekt aus Feldkirch hatte kommen lassen, um mit ihm seine Visionen in die Tat umzusetzen. Dass es der Graf ernst meinte, zeigte sich allein schon daran, dass er die Sache trotz strömenden Regens an Ort und Stelle mit dem Meister seines Vertrauens besprach. Er wollte keine Zeit verlieren und die Sache zügig vorantreiben.

      Während er einen Arm mit flach ausgestreckter Hand und nach oben gerichtetem Daumen entlang der Straße in Richtung Norden streckte, drückte er ein Auge zu, um das, was er sah, zu fixieren. »Ich möchte, dass der Straßenverlauf von hier aus möglichst gerade angelegt wird, damit der Prangerstein«, er zeigte an die Stelle, die er meinte und formte mit beiden Armen ein großes Dreieck, »den wir hier an der Ecke meines Amtshauses einlassen werden, von allen gut gesehen werden kann!«

      »Ihr wollt also genau hier den Pranger aufstellen?«, wunderte sich Finck.

      Der Graf nickte. »Ja! Genau dort, wo dieser Vermessungsstein in der Erde steckt! Hier möchte ich den Schandstein haben, denn die Delinquenten sollen nicht nur hier auf dem von Uns noch zu vergrößernden Markt, sondern zur besseren Abschreckung auch möglichst weit die Straße hinunter gesehen werden!«

      »Aber die Straße ist nicht bis zum anderen Stadtende hin gerade und macht kurz davor einen leichten Knick!«

      »Ich weiß, ich weiß!«, schimpfte der Graf. »Einer der damaligen Dorfvorsteher hat es zugelassen, dass ein paar der Häuser bis in die Straßenführung hinein errichtet wurden!«

      »Vielleicht ist dies sogar mit voller Absicht geschehen?«, warf Finck ein, während er nachdenklich die Augen zusammenkniff.

      Weil der Regen plötzlich so fest auf die Plane klatschte, die vier Diener des Grafen mit Stangen über ihre Köpfe hielten, hatte der neue Regent von Isine den letzten Satz seines Baumeisters nicht verstanden. Also machte der untersetzte Bauherr gleich munter weiter, indem er dem großgewachsenen und bulligen Baumeister eine große Papierrolle unter die Nase hielt und begeistert dazu erklärte: »Dies hier ist ein Plan, den mir Konrad I., der Abt des Klosters St. Georg, gegeben hat! Er wurde von einem begnadeten Kollegen von Euch gezeichnet und ist Unseres Erachtens nach ein Kunstwerk, mit dessen Umsetzung etwas zu zaghaft begonnen wurde!« Während er dies sagte, wurde seine Stimme immer lauter: »Das, was die damaligen Verantwortlichen von Isine im wahrsten Sinne des Wortes auf den Weg gebracht haben, werden Wir, Ulrich der Erste, Graf von Bregenz und Herr dieses wunderschönen Dorfes, nun zu meisterlicher Reife bringen!«

      »Darf ich …« Der Baumeister ließ sich den Plan geben und betrachtete ihn ganz genau. Dann nickte er anerkennend und sagte: »Dieser Plan hier wurde sicherlich an dieser …«, er drehte sich um und zeigte auf den Boden, »… Gründungsachse ausgerichtet. Wahrscheinlich wurde zur Festlegung und Vermessung des Gründungsgrundrisses von Isine genau dieser Stein als örtliche Markierung eingebracht.«

      Bevor der Feldkircher Baumeister weiterreden konnte, nahm ihm der Graf die Papierrolle erneut aus der Hand und lachte laut auf. »Ja, glaubt Ihr denn, Wir haben diesen Plan nicht genau studiert, bevor Wir Unseren Bruder Rudolf in Feldkirch gebeten haben, Euch ausleihen zu dürfen, damit Ihr nach Isine kommen konntet? Was glaubt Ihr, weshalb Wir diesen mächtigen Stein ausgerechnet«, nun drehte sich der Graf um, »an dieser Stelle haben möchten?«

      Theo Finck verbeugte sich ergebenst und bat den Grafen um Verzeihung.

      Der aber winkte nur ab: »Schon gut! Das heißt, dass der Prangerstein diese Markierung ersetzen wird und stattdessen Unser Vermessungsstein sein soll! Wir werden den bestehenden geometrischen Plan weiter verfolgen, das Wassertor und das Viehtor erneuern und auf Grundlage dieses Planes auch die bestehende Graben- und Wallanlage erweitern!«

      »Und das Wasser leiten wir von hier aus zu beiden Seiten um das Dorf herum! Bei dieser Gelegenheit können wir auch Wasserleitungen innerhalb von Isine legen, um damit gleich mehrere Brunnen zu speisen!« Theo Finck schien nun Feuer und Flamme für das Projekt zu sein.

      Der Graf nickte zufrieden. Dann ergänzte er, dass auch an den Ausbau der bestehenden Holztürme gedacht werden müsse. »Und den primitiven Holzzaun werden Wir irgendwann gänzlich durch eine Steinmauer ersetzen – genau so, wie dort unten vor vielen Jahren damit begonnen wurde, bevor meinem Vorgänger vermutlich das Geld ausgegangen ist!«

      »Ihr seid also mit meinen Vor…«

      Noch bevor sich Finck die Vorgehensweise bestätigen lassen konnte, fiel ihm der Graf ins Wort: »Ja! Es sind allesamt gute Vorschläge!«, lobte er den Baumeister seines Bruders, der auf der Feldkircher Schattenburg saß. »Aber nicht, dass Uns das Geld ausgeht oder dass Wir sterben, bevor Wir aus Isine eine richtige Stadt gemacht haben!«

      Kapitel 11

      Auch für die Geheimbündler war das Planen, mehr aber das Leben und Sterben weitergegangen: Nachdem das Amulett fünfundachtzig Jahre nach den Vorkommnissen in der Burg Hohenfels doch noch »richtig« verschwunden war und trotz intensivster Suche über ein ganzes Jahr hinweg nicht hatte gefunden werden können, ordnete der amtierende Großmeister erneut an, in jedem Landstrich, aus dem seine Verbündeten stammten, eine gut getarnte Räumlichkeit zu suchen und zum Zweck eines ihrer beiden Hauptziele einzurichten. Denn in den bis dahin zweihundertsechsundfünfzig Jahren seines Bestehens war es dem Geheimbund immer noch nicht gelungen, genügend mutige Ärzte zu finden, die sich für den Gedanken begeistern konnten, sich der Anatomie des menschlichen Körpers zu widmen – zu tief war die Angst vor der Todesstrafe in ihnen verankert.

      Was die Verbreitung der »sieben freien Künste«, insbesondere der Arithmetik,


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