Zorn und Zärtlichkeit. Peter Gerdes

Читать онлайн книгу.

Zorn und Zärtlichkeit - Peter Gerdes


Скачать книгу
begann und sich dann langsam steigerte. Begünstigt natürlich durch den Leerstand des Gebäudes, sonst hätte sicher schon früher jemand die Wasserlecks bemerkt und Alarm geschlagen.

      Der Wasserspiegel im Keller sank nur langsam; der gewölbeartige Raum schien ziemlich ausgedehnt zu sein. »Nun hol doch schon mal den Bautrockner rein!«, herrschte Ulferts den Praktikanten an, der bewegungslos neben der Badezimmertür stand, den leeren Blick auf einen Punkt weit links vom Gesicht seines Meisters gerichtet. Erst nach einigen Sekunden schlurfte Justin los. Wo hat der bloß seinen Kopf, dachte Ulferts. Sollte vielleicht nachts mal schlafen, zur Abwechslung.

      Der weiße Middent-Manssen-Kastenwagen stand direkt vor der Haustür. Ulferts hörte Justin darin poltern und rumoren, während er langsam die Kellertreppe hinabstieg. Das raue Holz der Stiege war schwarz vor Nässe. Faulig schien das Holz aber nicht zu sein; der typische Camembertgeruch fehlte, und auch das Knarren der Stufen klang vertrauenerweckend.

      Unten war es nicht so dunkel wie befürchtet. Das Kellergewölbe hatte einen Hintereingang. Oberhalb einer kurzen steinernen Treppe befand sich eine Tür mit kleinen blinden Fensterscheiben, von denen einige eingeschlagen waren. Die Tür stand einen Spalt offen. Ulferts verzog den Mund. Hatten sich auch hier schon die Penner breitgemacht? Seit die Saufbrüder vom Bahnhofsvorplatz vertrieben worden waren, schienen sie überall in der Stadt aufzutauchen. Der Anblick dieser abgerissenen Gestalten machte den Klempnermeister aggressiv, und so war er oft unfreundlicher zu ihnen, als es seiner Natur entsprach. Aber wenn er an seine eigenen Sorgen dachte, seine ungebärdigen Söhne, das teure Haus und das ständig überzogene Konto, dann machte ihn die Nähe von Obdachlosen nun einmal sehr unruhig. Wer konnte schon wissen, was die eigene Zukunft brachte?

      Die Tauchpumpe begann Luft zu ziehen und zu röcheln. Ulferts hatte den Kellerboden erreicht, seine schweren Arbeitsschuhe patschten durch tiefe Pfützen, an die die Pumpe nur noch schwer herankam. Gab es hier vielleicht einen Pumpensumpf? Im Rheiderland jenseits der Ems, wo er geboren war und immer noch wohnte, wo auch sein Segelboot im Jemgumer Hafen lag, hatten viele ältere Häuser eine solche Vertiefung im Kellerboden, in der sich eingedrungenes Wasser sammelte und bequem abgepumpt werden konnte. Aber dort, in der tief gelegenen, stets feuchten Marsch, war Wasser im Keller auch ein häufiges Problem. Die Leeraner auf ihrem Geestrücken hatten diese Sorge normalerweise nicht. Hier jedenfalls konnte Ulferts keinen Pumpensumpf entdecken.

      Dafür allerhand anderes. Das eingedrungene Wasser hatte allen möglichen Krempel aus den verstecktesten Winkeln hervorgespült. Torfstücke lagen herum, Holzabschnitte, Eierkohlen, alte Schuhe, fleckiges Arbeitszeug, ein Gartenschlauch, sogar ein paar schrumpelige, ausgekeimte Kartoffeln waren zu erkennen. Stapel aufgeweichter Zeitungen und Illustrierten waren in Auflösung begriffen; zum Glück hatte die Schnürung den halbfesten Brei noch so weit zusammengehalten, dass er die Pumpe nicht verstopfte.

      Mit routiniertem Blick machte der Klempnermeister die am tiefsten gelegene Ecke des unebenen Kellerbodens aus und ließ die Pumpe so viel von dem restlichen Wasser absaugen, wie ohne Sumpfloch möglich war. »Stecker raus!«, brüllte er dann die Treppe hoch. »Und bring jetzt den Trockner!« Die Pumpe schlürfte noch ein Weilchen, bis alles erreichbare Wasser abgesogen und fast überall der bucklige Zementboden zum Vorschein gekommen war, dann erst kam sie zur Ruhe. Ulferts hatte Justins Reaktionszeit genau richtig eingeschätzt.

      Wenig später kam der Praktikant die Treppe heruntergepoltert, den ungeschlachten Bautrockner vor dem Bauch. Das Ding war eigentlich nichts anderes als ein großer Heizlüfter mit extrastarkem Gebläse. Oder, wenn man so wollte, eine Art Wäschetrockner, nur dass er die Feuchtigkeit nicht aus gewaschener Kleidung zog, sondern direkt aus der Raumluft. Ulferts registrierte, dass Justin ein schwarz glänzendes Stromkabel hinter sich herzog, das er offenbar bereits oben eingestöpselt hatte. Ein Punkt für ihn, dachte der Klempnermeister. Hier unten fand sich bestimmt keine funktionierende Steckdose mehr.

      Justin blieb stehen und schaute seinen Meister fragend an: »Wohin?«

      Tja, wohin das Ding? Ulferts rieb sich das Kinn. In das Knistern seiner Bartstoppeln mischte sich ein anderes Geräusch. Irgendwo plätscherte es leise. Der Klempner drehte sich um, vorsichtig, als fürchtete er, ein scheues Lebewesen zu verscheuchen. Da waren die Frischwasserrohre, offen verlegt, bestimmt unendlich lange nach dem Bau dieses alten Kastens. Aber auch das war bestimmt schon wieder eine Ewigkeit her. Dort, wo die Rohre aus der äußeren Wand in den Keller mündeten, sickerte ein Rinnsal hervor. War das bloß Nachlauf, oder befand sich mindestens eine der Leckstellen genau dort, wo man am schlechtesten herankam? Das wäre ja wieder mal typisch.

      Dann sah er den Wasserhahn mit dem ausgeblichenen Gartenschlauch daran. Er drehte prüfend und fand seinen Verdacht bestätigt; jemand hatte den Hahn nicht richtig zugedreht. Mit kräftigem Griff holte Ulferts das nach. So eine Nachlässigkeit, dachte er. Auch das könnte sehr wohl die Ursache für diese Schweinerei hier sein.

      »Dahin«, sagte Ulferts und zeigte in Richtung Außenwand. »Aber nee, setzt erst mal ab. Da steht was im Weg.«

      Eine Kiste war es, die da stand, triefend nass wie alles in diesem Keller. Vielleicht auch ein umgefallener Spind, dachte der Klempner, eintürig, die Form könnte passen, lang und schmal. Aber dann hätte das da oben drauf ja die Tür sein müssen, und eine Tür war das eindeutig nicht, sondern ein Deckel, bestehend aus zwei rissigen Brettern mit darübergenagelten Lattenenden und mit einem primitiven Verschluss gesichert. Was hatten die früheren Hausbewohner wohl in dieser Kiste aufbewahrt? Hoffentlich nichts Schweres, dachte Ulferts, das Ding muss nämlich da weg. Prüfend trat er gegen das ihm zugewandte Ende der Kiste.

      Es gluckste laut, und aus einem Loch im Deckel schoss eine kleine Wasserfontäne hervor. Ulferts, der gerne Tiersendungen guckte, fühlte sich an einen auftauchenden Wal erinnert. Zugleich registrierte er, dass die Kiste sich keinen Millimeter gerührt hatte.

      »Hä?« Ach ja, Justin war ja auch noch da. »Der Strahl, wie geht das denn?«, nuschelte der Schüler.

      Ulferts holte Luft, wollte ansetzen zu einer Erklärung, die mit Physik zu tun hatte, schüttelte jedoch nur den Kopf und winkte ab. »Das Ding ist voll Wasser«, sagte er. »Vollgelaufen, wie der ganze Keller hier. Stell den Trockner lieber erst mal auf die Treppe, wir müssen das Ding hier ausleeren, sonst kriegen wir’s bestimmt nicht von der Stelle.« Zum Beweis bückte er sich und versuchte, die Kiste mit beiden Händen zur Seite zu ziehen. Auch auf diese Art war sie kein Stückchen zu bewegen. »Siehst du?«

      Ulferts richtete sich auf. Justin stellte sich neben ihn. Ehe der Meister ihn daran hindern konnte, hatte er schon mit voller Wucht zugetreten. Wieder spritzte Wasser aus dem runden Loch nahe der entfernten Schmalseite des Deckels. »Geil!«, murmelte der Praktikant, ein abwesendes Lächeln auf den auseinanderklaffenden Lippen.

      »Du spinnst doch«, schalt Ulferts. Aber er tat es halbherzig, denn der Großteil seiner Aufmerksamkeit galt dem Verschluss des Deckels. Ein einfacher rechtwinkliger Überwurf, der über eine Öse an der Längsseite geklappt und dort mit einem Stückchen Holz arretiert worden war. Ein simpler Verschluss aus schwarz lackiertem Blech. Ziemlich verrostet, genau wie die beiden Scharniere. Kam das von der Feuchtigkeit? Aber wahrscheinlich war die Kiste einfach schon ziemlich alt.

      Der Zementboden rundherum begann bereits abzutrocknen. Dort, wo das Wasser aus dem Loch im Deckel gespritzt war, hatte sich ein neuer dunkler Fleck auf dem Untergrund gebildet. Nur dort – ansonsten schien die Kiste, die randvoll mit Wasser sein musste, dicht zu halten. Das war erstaunlich, handelte es sich doch um ein Behältnis aus schlicht zusammengenagelten, rauen, schon deutlich verwitterten Brettern. Konnten die im Wasser aufgequollen sein und ihre Stöße sich dadurch von alleine geschlossen haben, wie ein gut gebautes hölzernes Boot? Nicht sehr wahrscheinlich, dachte Hobbysegler Ulferts. Der Deckel jedenfalls schloss nicht wasserdicht, lag nur einfach auf der oberen Kistenkante auf, und seine Bretter standen leicht über. Die Scharniere waren nicht eingelassen, sondern einfach von oben aufs Holz geschraubt. Außerdem war da dieses kleine runde Spritzloch. Insgesamt war diese Kiste ein merkwürdiges Ding, auf das sich der Klempner keinen Reim machen konnte. Obwohl es ihn an irgendetwas erinnerte.

      Er bückte sich und löste den rostigen Verschluss. Warum er sich danach aufrichtete und Justin mit einer Kopfbewegung anwies, den Deckel anzuheben, anstatt das selbst


Скачать книгу