H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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sag­te ich.

      »Ja«, sag­te Ca­vor, »wir wol­len es ver­su­chen.« Er wand­te sich zu un­serm Füh­rer, lä­chel­te, zeig­te auf die Ma­schi­ne, zeig­te noch­mals, zeig­te auf sei­nen Kopf und dann wie­der auf die Ma­schi­ne. Aus ir­gend­wel­chen man­gel­haf­ten Schlüs­sen her­aus schi­en er an­zu­neh­men, ge­bro­che­nes Re­den kön­ne die­se Ges­ten un­ter­stüt­zen.

      »Mich ihm se­hen«, sag­te er, »mich ihm sehr hoch­hal­ten. Ja.«

      Sein Be­neh­men schi­en die Se­le­ni­ten in ih­rem Ver­lan­gen, dass wir wei­ter­ge­hen soll­ten, einen Mo­ment auf­zu­hal­ten. Sie wand­ten sich ein­an­der zu, ihre wun­der­li­chen Köp­fe be­weg­ten sich, die zwit­schern­den Stim­men wa­ren rasch und flüs­sig zu hö­ren. Dann schlang ei­ner von ih­nen, ein ha­ge­res, großes Ge­schöpf, das au­ßer der Klei­dung der an­de­ren eine Art Man­tel trug, Ca­vor den Ele­fan­ten­rüs­sel-Arm um die Hüf­ten und zog ihn sanft un­serm Füh­rer nach, der wie­der vor­aus­ging.

      Ca­vor leis­te­te Wi­der­stand. »Wir kön­nen ge­ra­de so gut jetzt be­gin­nen, uns ver­ständ­lich zu ma­chen. Sie könn­ten den­ken, wir sind neue Tie­re, viel­leicht eine neue Art Mond­kalb! Es ist von höchs­ter Wich­tig­keit, dass wir von An­be­ginn ein in­tel­lek­tu­el­les In­ter­es­se zei­gen.«

      Er be­gann hef­tig den Kopf zu schüt­teln. »Nein, nein«, sag­te er, »ich eine Mi­nu­te nicht wei­ter kom­men. Mich ihn an­se­hen.«

      »Gibt es nicht ir­gend et­was Geo­me­tri­sches, was man à pro­pos die­ses Dings da zei­gen könn­te?«, schlug ich vor, als die Se­le­ni­ten wie­der kon­fe­rier­ten.

      »Vi­el­leicht eine pa­ra­bo­li­sche –« be­gann er.

      Er schrie laut auf und sprang sechs Fuß hoch oder noch mehr.

      Ei­ner der vier be­waff­ne­ten Mond­leu­te hat­te ihn mit sei­nem Sta­chel ge­sto­chen!

      Ich wand­te mich mit ei­ner ra­schen, dro­hen­den Ges­te ge­gen den Sta­chel­trä­ger hin­ter mir, und er fuhr zu­rück. Das und Ca­vors plötz­li­cher Schrei und Sprung er­staun­te klär­lich alle Se­le­ni­ten. Sie wi­chen has­tig, uns zu­ge­wandt, zu­rück. Ei­nen je­ner Mo­men­te lang, die ewig zu dau­ern schie­nen, stan­den wir in zor­ni­gem Pro­test da, mit ei­nem zer­streu­ten Halb­kreis die­ser un­mensch­li­chen We­sen um uns.

      »Er hat mich ge­sto­chen!«, sag­te Ca­vor mit sto­cken­der Stim­me.

      »Ich sah ihn«, ant­wor­te­te ich.

      »Zum Hen­ker!«, sag­te ich zu den Se­le­ni­ten, »das las­sen wir uns nicht ge­fal­len! Für was auf al­ler Welt hal­ten Sie uns?«

      Ich blick­te rasch nach links und rechts. In großer Fer­ne sah ich durch die blaue Höh­len­wild­nis eine An­zahl wei­te­rer Se­le­ni­ten auf uns zu­lau­fen; brei­te und schlan­ke wa­ren es, und ei­ner hat­te einen grö­ße­ren Kopf als die an­de­ren. Die Höh­le er­streck­te sich weit und nied­rig hin und ver­lor sich nach al­len Rich­tun­gen ins Dun­kel. Ihr Dach, ent­sin­ne ich mich, schi­en sich wie un­ter dem Ge­wicht der un­ge­heu­ren Fel­sen­di­cke, die uns ge­fan­gen hielt, her­ab­zu­bau­chen. Es gab kei­nen Weg hin­aus – kei­nen Weg hin­aus. Oben, un­ten, in al­len Rich­tun­gen war das Un­be­kann­te und die­se mensch­li­chen Ge­schöp­fe mit ih­ren Sta­cheln und Ges­ten, die uns ent­ge­gen­stan­den, uns zwei wehr­lo­sen Men­schen.

      15 – Die schwindlige Brücke

      Nur einen Mo­ment dau­er­te die­se feind­se­li­ge Pau­se. Ich glau­be, so­wohl wir wie die Se­le­ni­ten voll­führ­ten ei­ni­ges ra­sche Den­ken. Mein klars­ter Ein­druck war der, dass nichts vor­han­den war, wo­ge­gen ich den Rücken stel­len konn­te, und dass wir si­cher wür­den um­ringt und ge­tö­tet wer­den. Die über­wäl­ti­gen­de Narr­heit un­se­rer An­we­sen­heit dort rag­te in schwar­zem, un­ge­heu­rem Vor­wurf über mir. Wa­rum hat­te ich mich je auf die­se wahn­sin­ni­ge, un­mensch­li­che Ex­pe­di­ti­on be­ge­ben?

      Ca­vor kam an mei­ne Sei­te und leg­te mir die Hand auf den Arm. Sein blas­ses und er­schreck­tes Ge­sicht sah in dem blau­en Licht ge­spens­tisch aus.

      »Wir kön­nen nichts ma­chen«, sag­te er. »Es ist ein Irr­tum. Sie ver­ste­hen uns nicht. Wir müs­sen mit­ge­hen. Wie sie wol­len, dass wir ge­hen.«

      Ich blick­te auf ihn nie­der und dann auf die fri­schen Se­le­ni­ten, die ih­ren Ge­nos­sen zu Hil­fe ka­men. »Wenn ich nur die Hän­de frei hät­te –«

      »Es nützt nichts«, keuch­te er.

      »Nein.«

      »Wir wol­len mit­ge­hen.«

      Und er mach­te kehrt und führ­te in der Rich­tung, die uns an­ge­ge­ben war.

      Ich folg­te, in­dem ich ver­such­te, so un­ter­wür­fig aus­zu­se­hen wie mög­lich, und tas­te­te nach den Ket­ten um mei­ne Hand­ge­len­ke. Mir koch­te das Blut. Ich sah nichts mehr von der Höh­le, ob­gleich es lan­ge Zeit zu dau­ern schi­en, ehe wir hin­durch­ge­gan­gen wa­ren; oder wenn ich noch et­was sah, so ver­gaß ich es, wäh­rend ich es sah. Mei­ne Ge­dan­ken, glau­be ich, wa­ren auf mei­ne Ket­ten und auf die Se­le­ni­ten kon­zen­triert, und be­son­ders auf die be­helm­ten mit den Sta­cheln. Erst gin­gen sie par­al­lel mit uns und in ach­tungs­vol­ler Ent­fer­nung, aber als­bald wur­den sie von drei wei­te­ren ein­ge­holt, und da ka­men sie nä­her, bis sie wie­der in Ar­mes­wei­te wa­ren. Ich zuck­te wie ein ge­schla­ge­nes Pferd, als sie uns nahe ka­men. Der kür­ze­re, di­cke­re Se­le­nit ging erst auf un­se­rer rech­ten Flan­ke, kam aber dann wie­der vor uns.

      Wie gut sich mir das Bild die­ser Grup­pie­rung in das Ge­hirn ge­gra­ben hat: der Rücken von Ca­vors ge­senk­tem Kop­fe ge­ra­de vor mir, dar­un­ter sei­ne nie­der­ge­schla­gen hän­gen­den Schul­tern, und dann das star­ren­de Ge­sicht un­se­res Füh­rers, das sich be­stän­dig ruck­wei­se dreh­te, und die Sta­chel­trä­ger zu bei­den Sei­ten, wach­sam, aber mit of­fe­nem Mun­de – ein blau­es Mo­no­chrom. Und schließ­lich er­in­ne­re ich mich doch noch ei­ner Ein­zel­heit au­ßer der rein per­sön­li­chen Sa­che, und das ist, dass als­bald eine Art Gos­se über den Bo­den der Höh­le und dann seit­wärts an dem Fel­sen­pfa­de, dem wir folg­ten, ent­lang führ­te. Und sie war voll von dem­sel­ben hel­len, blau­en, leuch­ten­den Stoff, der aus der Ma­schi­ne floss. Ich ging dicht an ihm hin, und ich kann be­zeu­gen, dass er kein Par­ti­kel­chen Wär­me aus­strahl­te. Er leuch­te­te hell und war doch we­der wär­mer noch käl­ter als ir­gend sonst et­was in der Höh­le.

      Bum, bum, bum, ka­men wir ge­ra­de un­ter den He­beln ei­ner zwei­ten rie­si­gen Ma­schi­ne durch, und so ge­lang­ten wir schließ­lich in einen wei­ten Tun­nel, in dem wir so­gar das Klipp-klapp un­se­rer un­be­schuh­ten Füße hö­ren konn­ten, und der, ab­ge­sehn von dem rie­seln­den blau­en Fa­den rechts von uns ganz un­be­leuch­tet war. Die Schat­ten mach­ten auf der un­re­gel­mä­ßi­gen Wand und dem Da­che des Tun­nels gi­gan­ti­sche Tra­ves­ti­en aus un­se­ren Ge­stal­ten und de­nen der Se­le­ni­ten. Hin und wie­der blitz­ten Kris­tal­le in den Tun­nel­wän­den wie Edel­stei­ne, hin und wie­der er­wei­ter­te sich der Tun­nel zu ei­ner Tropf­stein­höh­le, oder er gab Zwei­ge ab, die ins Dun­kel ver­schwan­den.

      Wir schie­nen den Tun­nel eine lan­ge Zeit hin­ab­zu­ge­hen. »Tripp, tripp«, lief das flie­ßen­de


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