Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von Buchner
Читать онлайн книгу.»Nein, ich fahre keinesfalls nach Waldkogel! Dann beginnt das Tauziehen von vorne. Das ist unnötig! Ich warte ab. Seine Tante und sein Onkel reden ihm vielleicht gut zu. Er kann ja nicht ewig Urlaub machen. Wenn er nicht anruft, dann sehen wir uns, wenn er wieder hier ist. Vielleicht ist diese Funkstille auch ganz gut. Dann erlebt und fühlt er, wie es ohne mich ist.«
Ihre Eltern warfen sich Blicke zu.
»Alina, wir hoffen für dich, dass sich alles regelt«, sagt Lothar leise.
Die Eltern wussten nicht mehr, was sie sagen sollten. Es entstand eine peinliche Stille am Tisch. Alina trank ihren Saft aus. Sie stand auf.
»Ich nehme jetzt ein schönes Bad und mache mich hübsch für heute Abend. Ich bin froh, unter Menschen zu kommen. Glaubt ihr vielleicht, ich bin glücklich mit der Situation? Wenn ihr das denkt, dann irrt ihr euch gewaltig.«
Alina stand auf und lief ins Haus.
Ihre Eltern seufzten tief. Es bedurfte keiner Worte. Sie waren sich einig, dass ihre Tochter ihr Lebensglück aufs Spiel setzte.
*
Alban wanderte quer über die Wiesen hinter dem Grummer Hof, durch den sich anschließenden Wald, wie er es als Kind so gerne getan hatte. Schöne Erinnerungen stiegen in ihm auf. Es war ursprünglich seine Absicht gewesen, Alina das Revier seiner Kindheit zu zeigen. Plötzlich erkannte er, dass es eine unnötige Bemühung gewesen wäre. Alina war nicht fähig, seine tiefen inneren Gefühle zu verstehen, die er für seine Heimat und die Tradition empfand.
Er ging weiter. Seine Enttäuschung über Alinas Verhalten wich langsam einer neuen Erkenntnis. Alina würde nie mit ihm die Freude über diese Landschaft teilen können. Mit ihr wäre es unmöglich, einfach nur am Berghang zu sitzen und zu warten, bis die Sonne ganz hinter den Bergen versank. Das wäre Alina zu langweilig, weil sie kein Empfinden dafür aufbringen konnte. Die Schönheit der Natur berührte ihr Herz wenig, das erkannte Alban. Alina hatte sich zwar für seine Arbeit interessiert, und durch ihre Tätigkeit bei den Messen hatten sie auch immer wieder Gesprächsstoff gehabt. Sie liebte auch den Wassersport, fuhr Wasserski und surfte. Sie war mit ihm tauchen gewesen. Alle diese Gemeinsamkeiten hatten Alinas Einstellung zu den Bergen und zu Waldkogel verdeckt. Oder ich habe es nicht gesehen, überlegte Alban. Weil wir uns in vielen anderen Dingen einig waren, ging ich auch davon aus, dass sie meine Liebe zu meiner Heimat teilte oder wenigstens Verständnis dafür aufbrachte. Alina ist eine clevere junge Frau, dachte Alban. Das schätze ich. Genauso gut ist es möglich, dass sie mich getäuscht hat, ganz bewusst. Sie hat mich umgarnt und vielleicht gedacht, mich im Laufe der Zeit mehr und mehr in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Alban blieb stehen. Er schaute durch die Wipfel der Berge hinauf in den strahlendblauen Himmel. Er seufzte tief. Ihm wurde plötzlich klar, wie ernst es Alina war. Es war nicht nur eine Laune. Die Hochzeitsplanung hatte eine tiefe Kluft zwischen ihnen aufgetan.
Alban ging weiter. Er trat aus dem Wald und hatte einen freien Blick auf den Gipfel des ›Engelssteig‹. Er schaute hinauf und schickte alle die Fragen in seinem Herzen hinauf.
Er stand lange an einen Baum gelehnt und dachte an die Geschichten von den Engeln und dem ›Engelssteig‹. Während er so dastand, fielen ihm plötzlich einige Zeilen aus einem Gedicht ein. Es war ›Das Lied von der Glocke‹ von Friedrich Schiller.
»Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich Herz zu Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reue ist lang«,
flüsterte Alban leise vor sich hin.
Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken. Und es war ihm plötzlich klar, dass er noch einmal prüfen wollte, prüfen musste. Ich liebe Alina, oder soll ich bereits sagen, ich liebte Alina, fragte er sich. Jedenfalls wusste er, dass er keinen Teil von sich aufgeben könnte. Es ist ein Maßstab, den das Schicksal mir an die Hand gegeben hat. Ich werde mir Zeit lassen. In diesem Augenblick sagte ihm sein Herz, dass Alina Vergangenheit war. Nein, er würde sie nicht heiraten.
Ich war ein Narr, habe mich von Anfang an zu sehr angepasst. Ich wollte sie haben. Gut, in gewisser Weise habe ich sie bekommen. Ich kann sie auch für ein ganzes Leben haben, aber der Preis dafür ist mir zu hoch. Ich werde die Verlobung lösen, dachte er. Es ist besser so. Es schmerzt, aber ein Leben mit ihr wäre noch schmerzlicher. Wenn ich mich je wieder verliebe, dann nur in ein Madl, das meine Bindung zur Tradition und meiner Heimat versteht. Das werde ich als Erstes testen und sie nach Waldkogel bringen.
»Judith!«, brach es laut aus ihm hervor.
Er erschrak vor seiner eigenen Stimme. Dann lächelte er. Ja, Judith. Jetzt müsste sie auf der Berghütte sein. Sein Herz schlug schneller. Er warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte noch genug Zeit. Alban stärkte sich aus dem Rucksack und wanderte zügig los querfeldein, bis er auf den Pilgerpfad stieß. Es waren an diesem Sonntag ganze Wandergruppen unterwegs. Er grüßte nur und ging schnell weiter. Er hatte nur ein Ziel, so schnell wie möglich zur Berghütte zu kommen. Hoffentlich ist Judith noch dort. Aber es war noch nicht so spät. Außerdem würde Anna die Freundin ihrer Freundin nicht so schnell gehen lassen.
Ich muss herausfinden, ob Judith in festen Händen ist. Wundern würde es mich nicht. Aber ich bin mir fast sicher, dass sie nicht in festen Händen ist, so wie sie mich angesehen hat, sagte er sich. Mit klopfendem Herzen erinnerte sich Alban an Judiths große blaugrüne Augen.
Er setzte seinen Weg fort.
*
Die Sonne war schon zur Hälfte hinter den Bergen im Westen versunken. Judith stand am Geländer und sah über das Tal und die Berge. Sie wollte sich alles tief einprägen.
»Es ist so wunderschön hier«, flüsterte sie vor sich hin.
Judith gab sich ganz ihren Träumen und Gefühlen hin.
»Hallo, Judith! Grüß dich! Des ist aber ein Zufall, jetzt laufen wir uns heute schon zum zweiten Mal über den Weg. Das muss etwas zu bedeuten haben, meinst net auch?«
Judith zuckte zusammen. Sie erschrak heftig und wandte sich um. Ihr Herz raste. Das Blut schoss ihr in die Wangen, als sie ihn sah. Die Beine wurden ihr weich, und sie versagten ihr schließlich den Dienst. Judith wehrte sich verzweifelt gegen den über sie hereinbrechenden Schwindel. Vergeblich! Es wurde ihr schwarz vor den Augen, dann sank sie zu Boden.
Das Nächste, was sie wahrnahm, war, dass jemand wie aus weiter Ferne ihren Namen rief. Die Stimme wurde lauter. Dann spürte sie, wie jemand ihr die Wangen tätschelte.
»Judith! Hallo, Judith, aufwachen! Judith, hörst du mich?«
»Was ist?«
Sie blinzelte. Als sie Albans Gesicht dicht über sich sah, schloss sie wieder die Augen. Danach spürte sie, wie er ihr sanft die Wange streichelte.
»Judith, aufwachen! Sieh mich an! Hierbleiben!«
»Mmm! Geht schon!«
Mit geschlossenen Augen schob sie ihn von sich und setzte sich auf. Alban kniete sich neben sie und legte den Arm um sie.
»Du bist plötzlich in Ohnmacht gesunken. Geht es dir wieder gut?«
Alban griff nach ihrem Handgelenk und fühlte den Puls.
»Lege dich wieder hin! Und dann die Beine hoch!«
Judith, der es immer noch ziemlich schummerig war, gab sich willenlos in seine Hände. Er bettete Judith auf seine Jacke und hob ihr die Beine an.
»Jetzt lässt die Blutleere in deinem Kopf gleich nach!«
Alban lächelte sie an.
»Ja, jetzt bekommst du langsam wieder rosige Wangen!«
»Danke für deine Fürsorge und Hilfe! Aber lass jetzt meine Füße los. Es geht schon wieder!«
Alban legte ihre Beine sanft ab. Er griff sie um die Taille und zog sie hoch. Ihre Gesichter waren sich dabei ganz nah. In Judiths Kopf begann sich schon wieder alles zu drehen.
»Oh! Nicht schon wieder!«, stöhnte sie.
»Halte