Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum

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Automobile Reisen - Otto Julius Bierbaum


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wäre die Befahrung eines solchen Gefälles im Automobil eine lebensgefährliche Tollkühnheit. Es ist eine echte Hochgebirgspartie von mächtiger Schönheit. Der Blick geht tief herunter nach dem Tale der Inn, während rings der Alpenwall gewaltig aufragt. Die Riesenhäupter hatten sich freilich wieder in Wolken gehüllt, aber manchmal entblößte sich ein schneeiges Gezack in wundervollstem Glanze, während der untere Teil dick umwölkt blieb. Was uns an Menschen begegnete, war urwüchsiges Bergvolk, Leute, denen Wind und Wetter förmlich Holzschnittfalten in die Gesichter gegraben haben. Am Fuße des Berges führt der Weg an der alten Ruine Fragenstein und der schroffen Martinswand vorüber, auf der sich nach der Überlieferung Kaiser Maximilian I. bei einer Gemsjagd verirrt haben soll. Als ihn aber ein Geistlicher in dieser Todesgefahr mit der Absolution versah, indem er ihm von dem gegenüberliegenden Martinsbühel die Hostie zeigte, erschien ein Engel und führte die Majestät wohlbehalten auf die Alpe. In der Maximilianshöhle, wo sich dies begeben haben soll, steht heute ein Kruzifix, das man von unten aus deutlich erblickt. Schwindlige Leute werden, glaube ich, auch in Begleitung von Engeln den Weg nicht riskieren wollen, während er für schwindelfreie Bergsteiger, wie man mir sagt, eine Partie ist, zu der man keinen Führer braucht, weder einen geflügelten, noch einen ungeflügelten. – Obwohl wir nur einen kurzen Weg zurückgelegt hatten, beschlossen wir, da der Regen immer dichter wurde, in Innsbruck Rast zu machen. Wir sind im Goldenen Stern eingekehrt, einem Gasthaus, in dem nicht Queue gebildet wird, und wo man sich deshalb doppelt wohl fühlt. Daß wir nicht mehr im bayrischen Gebirge sind, merken wir mit Vergnügen an der guten Küche. Ich begreife den Großherzog von Luxemburg durchaus, daß er sich, wenn er nach Mittenwald zur nächtlichen Jagd reist, einen luxemburgischen Koch mitnimmt.

      Brixen, im Elefanten, 6. Mai.

      

Auf der Höhe des Brenners

      Noch an keinem Tage haben uns die Eisenbahnreisenden so leid getan wie heute, denn wir fuhren heute auf der alten Straße über den Brenner, bald über, bald unter, bald neben der Brennerbahn, deren schwarze geschlossene Wagen uns wie aneinander gekoppelte rußige Käfige vorkamen. Daß die heutigen Menschen, ohne durch Amt, Geschäft, Krankheit dazu gezwungen zu sein, sich freiwillig nicht bloß zur rauhen Jahreszeit, sondern auch dann, wenn alles ins Freie lockt, in diese Käfige begeben, nur, weil sie die Möglichkeit haben, damit schnell vorwärts zu kommen, wird einmal zu den Wunderlichkeiten unserer Zeit gehören, über die unsere Nachkommen lächeln werden, wie wir über unsere Vorfahren, die, als die exotischen Gewürze anfingen in größeren Mengen und leichter nach Europa geschafft zu werden, im Überschwange des Vergnügens darüber einen wahrhaften Kultus mit Zimmt und Muskat trieben, wie wir mit Grausen in alten Kochbüchern lesen können. Es ist psychologisch derselbe Fall. Unsre Vorfahren verdarben sich mit den billig gewordenen, früher nur den Reichsten zugänglich gewesenen Gewürzen den Magen, wie ein Parvenu sich mit Schmuck behängt, denn sie wollten, wie dieser, das bisher Versäumte möglichst schnell nachholen, wobei sei den Zweck und Sinn von Gewürzen vergaßen. So stehen auch wir immer noch in der Periode des Entzückens über die neu gewonnene Möglichkeit des schnellen Vorwärtskommens und haben darüber Sinn und Zweck des Reisens vergessen. Es ist gewiß schön, daß uns das Ferne damit nahegebracht worden ist, aber unsinnig ist es, daß wir damit gleichzeitig das Nahe so behandeln zu müssen glauben, als sei es gar nicht mehr da, und daß wir, um das Ferne zu erreichen, tausend Schönheiten, die zwischen uns und ihm liegen, überschlagen, nur, weil wir dazu fähig sind. Ich bin schon sehr oft im Eisenbahnwagen über den Brenner gefahren, mehr als ein Dutzend Mal, kennen gelernt aber habe ich die Schönheit dieses Alpenüberganges erst heute. Es kam allerdings hinzu, daß uns das Wetter sehr begünstigte. Wir hatten fortwährend die schönste Aussicht nach allen Seiten und genossen sie in unserm offenen Wagen, der alle Steigungen ohne Schwierigkeiten nahm, nach Herzenslust. Der Umstand, daß die Brennerstraße so gut wie keinen Fahrverkehr hat, macht sie für Laufwagenreisen noch besonders angenehm. Auf der Paßhöhe fanden wir frischen Schnee, doch war die Temperatur milder, als wir es von den 1400 Metern erwartet hatten. Die warmen Winde, der Anhauch des Südens, begannen aber erst mit Franzensfeste. Vorher hatten wir im Sterzing Mittagsrast gemacht, in der Alten Post, zu deren Gästen zweimal auch Bismarck gehört hat. Es ist ein uraltes Nest von großem architektonischem Reiz, typisch tirolerisch. Viel kurioser noch ist aber Brixen, wo wir, getreu unserm Vorsatze, die weniger besuchten Städte aufzusuchen, Halt machten, statt gleich nach Bozen weiter zu fahren, das wir leicht noch hätten erreichen können. Auch lockte uns hierher der Elephant, dieses berühmteste aller Tiroler Gasthäuser. Es leitet seinen Namen davon her, daß in ihm der erste Elephant eingekehrt ist, der in deutsche Lande gebracht wurde, im sechzehnten Jahrhundert. Man sieht ihn mit seinen Führern noch in Lebensgröße am Hause abgemalt und einen Vers dazu, der dies Ereignis gebührend feiert. Andere hohe Besuche sind im Hause selber rhythmisch verewigt. So heißt es von dem Besuche Josephs II. einmal:

      Durch seine Majestät hat Kaiser Joseph heut,

       Ihr Fürsten, dieses Haus für jeden eingeweiht.

      Daß die Fürsten sich dieses haben gesagt sein lassen, beweist eine große Tafel, auf der eine lange Reihe von Fürstlichkeiten aufgeführt ist, die hier Quartier genommen haben.

      Das Register ist schematisch so eingeteilt: 1. Aus dem Erzhause Österreich. 2. Deutsche Könige und Fürsten. 3. Europäische Könige und Fürsten. Kein Wunder, daß der Besuch Josefs die damaligen Besitzer aufs äußerste mit Genugtuung erfüllte. Sie haben dieser Genugtuung auf Marmor in Versen folgenden Ausdruck gegeben:

       Noch verehret jene Nacht,

       Die ihre Majestäten hier zugebracht,

       Franz und Ludovica.

      Auch sonst gibt es noch Verse im Elephanten. So steht unter einer Madonna, die die Schlange unter sich tritt, sehr hübsch dies:

      O Jungfrau, die der Schlange Feind,

       Bleib immer Elephantens Freund!

      Schöner als alles dies, wirklich schön, ist aber ein Vers, den wir in der Stadt unter einem holden Marienbilde lasen:

      O liebes Kind, wo gehst Du hin?

       Wisse, daß ich Deine Mutter bin.

      Protestanten, die den Marienkultus nicht verstehen, können aus diesem Verse ihn verstehen lernen. Es ist nicht bloß der Mutter Gottes-Kultus. – In der alten Bischofs-Kathedrale wohnten wir einem Hochamt bei, das der alte Fürstbischof für bayerische, aus Rom zurückkehrende Pilger celebrierte. Es war abends nach sieben Uhr, und der Dom, voll von Andächtigen, glänzte im Scheine der Wachskerzen, wie mattes Gold auf hellbraunem Lackgrunde – ein Eindruck, wie ich ihn in dieser Art noch nirgends gehabt habe: ein unendlich feiner, verschwebender Goldton. Die bayerischen Pilgerstimmen klangen etwas barbarisch dazu.

      Schloß Englar in Eppan, den 8. Mai.

      Wir wollten Brixen nicht verlassen, ohne dem Kreuzgang einen Besuch abgestattet zu haben, und so kam es, daß wir vorgestern erst um 10 Uhr abfuhren. Die Fresken des Kreuzganges sind überaus kostbare Reliquien der Malerei des Mittelalters, von der man hier einen sehr starken Eindruck empfängt, als Ganzes von einer großen dekorativen Wirkung und im einzelnen köstlich reich an malerischen und poetischen Werten. Der Einfluß des nahen Italiens ist deutlich ersichtlich, aber es ist dennoch deutsche Kunst. Da sind die lieblichsten deutschen Frauengestalten einerseits, und anderseits spricht sich in den Männern eine fast ungeschlachte Freude am Derben aus. Am merkwürdigsten sind die Bilder des Künstlers, den Semper den »Meister mit dem Skorpion« genannt hat, obwohl es wahrscheinlich ist, daß der Skorpion das Zeichen einer ganzen Brixener Malerwerkstatt und jener Künstler nur ihr meisterlichstes Mitglied gewesen ist. Er würde, wollte er heute so malen, in den Geruch einer höchst brutalen Modernen kommen, dem es schwer fallen würde, zu einer Ausstellung zugelassen zu werden. Es steckt etwas von der Art des Mathäus Grünewald in ihm, mit dem er die Lust am körperlich krassen gemein hat. Wie er die beiden Schächer am Kreuz darstellt, ist in der Tat so gewagt, daß empfindliche Gemüter davor zurückschrecken


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