Es war ganz anders. Georg Markus
Читать онлайн книгу.ungarischen Diplomaten Nikolaus von Kiss, dem sie ein Jahr später einen Sohn schenkte. Die Ehe blieb zwar bis zu Kiss’ Tod am 20. Mai 1909 aufrecht, existierte aber schon nach kurzer Zeit nur auf dem Papier. Das Malheur hatte bereits im Verlauf der Hochzeitsreise begonnen, die das junge Paar in die Niederlande führte. Dort sagte sich im Hotelzimmer plötzlich unerwarteter Besuch an: Gleich mehrere Gläubiger waren Herrn Kiss von Wien aus in die Flitterwochen gefolgt. So musste die Braut erfahren, dass ihr aus reichem Haus stammender Ehemann dank seiner Lebensweise bis über beide Ohren verschuldet war. Ein Mann ohne Vermögen kam jedoch für die Schratt nicht infrage. Das »Eheproblem« löste sich praktisch von selbst, da Nikolaus von Kiss als Mitglied des k. u.k. diplomatischen Korps die halbe Welt bereiste und sich nur selten in Wien aufhielt.
Zu den Pikanterien in der Dreiecksgeschichte Kaiser-Wilczek-Schratt zählt auch die Tatsache, dass Franz Joseph und der Graf einander gut kannten: Der Kaiser war Protektor von Wilczeks Rettungsgesellschaft und hatte ihn ein Jahr, bevor sie zu Rivalen wurden, zum Geheimen Rat und zum Mitglied des Herrenhauses ernannt. Außerdem war Wilczeks Ehefrau eine Hofdame von Franz Josephs Mutter Sophie.
Die Schratt war mit Nikolaus von Kiss verheiratet, doch der Diplomat hielt sich kaum je in Wien auf.
Erstaunlich auch, dass der Graf, der sonst mit beiden Beinen in der Welt stand, seine Briefe an »meine Kathi, meine Gottheit« schwärmerisch wie ein Teenager formulierte: »Katherl, du kannst mich geistig und körperlich zugrunde richten, töten, aber los wirst du mich weder im Leben noch nach dem Tod.«
Wilczek spürte freilich, dass das »Dreieck« auf Dauer nicht aufrechtzuhalten sein würde – schon weil der Kaiser ein allzu mächtiger Gegner war. Auch waren die handelnden Personen allesamt so prominent, dass es immer schwieriger wurde, die Lovestory geheim halten zu können. Der verheiratete Wilczek zeigte sich seinem »Katherl« gegenüber um Diskretion bemüht: »Ich werde mein Telegramm an dich als ›Johannes‹ unterschreiben, die Telegrafisten brauchen nicht zu wissen, dass ich Hans heiße.«
Nach mindestens zweijähriger Doppelgleisigkeit musste sich die Schratt für einen ihrer beiden Verehrer entscheiden – und sie entschied sich für den Kaiser. Eher aus praktischen denn aus emotionalen Gründen, denn natürlich war es für die Tochter eines Papierwarenhändlers aus Baden bei Wien der ungleich größere gesellschaftliche Aufstieg, die Vertraute des Kaisers als die Geliebte eines Grafen zu sein.
»Ich glaube nicht, dass sie den Kaiser wirklich geliebt hat«
Während Franz Joseph die Schratt »angebetet« hat, wie er mehrmals schreibt, erwiderte sie seine Gefühle eher mit großer Sympathie und Zuneigung, vertraute mir ihre Nichte Katharina Hryntschak an, die viele Jahre mit der Schratt in einem Haushalt gelebt hat: »Sie hat ihn sehr gern gehabt, ich glaube aber nicht, dass sie den Kaiser wirklich geliebt hat.«
In der Tat wirkte sich die Verbindung mit Franz Joseph lange Zeit günstig für ihre Karriere am Burgtheater aus. Der Kaiser war ein so treuer Besucher ihrer Vorstellungen, dass man sich im Publikum, sobald Franz Joseph seine Loge betrat, zuraunte: »Da schau her, der Herr Schratt is heut wieder da!« Vor allem aber schenkte der Kaiser der Freundin Unmengen an Schmuck, ein Palais an der Ringstraße und eine Villa in Hietzing. Und er beglich Spielschulden in Millionenhöhe, die sich bei der krankhaften Roulette-Spielerin anhäuften. Aber auch Graf Wilczek ließ sich nicht lumpen, wenn es darum ging, die Geliebte in sicherer Abgeschiedenheit treffen zu können. Laut Auskunft seiner Nachfahren dürfte er eigens für seine Rendezvous mit Katharina Schratt das Salzburger Schloss Moosham erworben haben, das sich heute noch in Familienbesitz befindet.
Das Verhältnis der Schratt mit dem Kaiser hielt dreißig Jahre lang – bis zu seinem Tod im November 1916. Wann ihre Affäre mit Hans Graf Wilczek endete, wissen wir nicht genau.
Während sich in dem Konvolut achtzehn Wilczek-Briefe an die Schratt befinden, blieb von ihr nur eine einzige Karte an den Grafen erhalten: »Morgen Sonntag, bin ich zu Haus Vormittag von halb 10 bis 12 Uhr oder Nachmittag von halb 3 bis 5 Uhr. Ich freue mich sehr auf Morgen; aber bitte bestimmt kommen, wenn möglich lieber Vormittag. Kathi.«
Die Zeilen der Schratt an den Grafen sind nicht so feurig wie die seinen, sie zeigen aber, dass auch sie großes Interesse an der Beziehung hatte. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich die 32-jährige Schratt in den um sechzehn Jahre älteren, blendend aussehenden, sportlichen, sensiblen und klugen Grafen verliebte. Dennoch durchlief die Beziehung, wie die Korrespondenz zeigt, etliche Krisen, die wohl auf das »Doppelleben« der Schauspielerin, hier der Kaiser, dort der Graf, zurückzuführen war. »Wann wirst du sagen«, schreibt Wilczek an die Schratt, »ich will das nicht mehr, denn es verletzt und macht so unglücklich den armen Hans.«
»Aber bitte bestimmt kommen«: Karte der Schratt an Hans Graf Wilczek, 1886
Hans Graf Wilczek starb 1922 im Alter von 84 Jahren und ist in der Gruft der von ihm wiedererrichteten ursprünglich mittelalterlichen Burg Kreuzenstein bei Wien bestattet.
Wie aber kam es mehr als 120 Jahre nach seinem »Gspusi« mit der Schratt zur Auffindung der brisanten Korrespondenz?
Katharina Schratts Korrespondenz mit Wilczek galt lange als verschollen
Die Briefe stammen aus dem Nachlass eines Autografensammlers, der sie nach dem Tod der Schratt im Jahre 1940 von ihrem Sohn Anton von Kiss – der oft in Geldnöten war – gekauft hatte. Sie galten jedoch als verschollen, ehe sie im Juni 2008 im Wiener Dorotheum zur Versteigerung angeboten und vom Hofmobiliendepot erworben wurden.
Die Briefe sind nicht nur durch die Dreiecksgeschichte Kaiser-Schratt-Wilczek interessant, sondern auch, weil sie die Moralvorstellungen in der Spätzeit der Monarchie aufzeigen. Sie belegen nunmehr eindeutig, dass Wilczek der Liebhaber der Katharina Schratt war, während bisher lediglich bekannt war, dass er ihrem engeren Freundeskreis angehörte.
Im Sommer 1896 trat die Schratt in dem Lustspiel Monsieur le directeur zwei Wochen lang am Münchner Theater am Gärtnerplatz auf. Der Kaiser, der sich wie immer auf die gemeinsamen Wochen mit ihr in Ischl gefreut hatte – sie zählten für ihn zu den schönsten des Jahres, weil er die geliebte Frau dort wesentlich öfter sehen konnte als in Wien –, musste von diesem Gastspiel aus der Zeitung erfahren. Er reagierte in einem Brief enttäuscht und eifersüchtig:
Die Korrespondenz beweist, dass sie eine Affäre mit dem Grafen Hans Wilczek hatte: des Kaisers »Seelenfreundin« Katharina Schratt
»Wiederholt sagte ich Ihnen in den letzten Tagen vor unserer Trennung, dass ich hoffe, Sie am 10. Juli in Ischl wieder zu sehen. Sie widersprachen nicht und stimmten bei; das war eigentlich falsch von Ihnen. Ich bin Ihnen gegenüber immer ganz offenherzig und Sie sind es nicht. Das erzeugt recht schwarze Gedanken … Doch ich habe ja eigentlich gar kein Recht zu klagen und will kein Wilczek oder Bulgare werden, schweige daher lieber.«
*In der Gloriettegasse 9 befand sich die Villa der Katharina Schratt, die der Kaiser ihr im Jahre 1889 geschenkt hatte.
»Aber die Schratt darf’s nicht wissen« Der König von Bulgarien
König Ferdinand I. von Bulgarien (1861–1948)
Dass die Eifersucht Franz Josephs im Falle Wilczek berechtigt war, ist geklärt. Doch auch des Kaisers Misstrauen bezüglich des Bulgaren hatte einen realen Hintergrund. »Der Bulgare«, wie der Kaiser ihn stets nannte, war Ferdinand von Sachsen-Coburg, seines Zeichens Fürst und später König von Bulgarien. Der temperamentvolle und geistreiche Aristokrat – er stammte aus dem Wiener Zweig des Hauses Coburg – war um acht Jahre jünger als die Schratt und ein Theaternarr, der keine Gelegenheit ausließ,