Was uns geblieben ist. Georg Markus
Читать онлайн книгу.Ein Besuch bei Gustav Mahlers Enkelin
Die Theaterdynastie Thimig-Reinhardt
FAMILIÄRE SPURENSUCHE
Vorwort
Johann Strauß hätte nicht der Walzerkönig werden können, wäre er nicht genau in diese eine Familie hineingeboren worden. Vom Vater mit musikalischem Genie versehen, bekam er von der Mutter andere Eigenschaften, die um nichts weniger wichtig waren, um seine Persönlichkeit reifen zu lassen. Und dann gab es noch die Groß- und Urgroßeltern, alle mit speziellen Talenten und Charaktereigenschaften versehen.
Ich begab mich auf Spurensuche, ging der Entstehung österreichischer Familien nach, die Geschichte schrieben und deren Schicksale weit über ihr Privatleben hinausreichen. Nehmen wir die Familie Schnitzler. So manches von dem, das die Figuren des Dichters auf der Bühne erzählen, hat er selbst erlebt. In seinen Beziehungen, aber auch in den Qualen seiner Ehe, in der Tragödie seiner Tochter.
In einigen Kapiteln wird ein Phänomen geschildert, das es heute praktisch nicht mehr gibt. Die Großfamilie. Maria Theresia scheint mit sechzehn Kindern rekordverdächtigt, wird jedoch von ihrer Tochter Maria Karolina mit achtzehn und dem Gründer des Bankhauses Rothschild und seiner Frau mit zwanzig Kindern übertroffen. Noch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatte ein Ehepaar durchschnittlich vier bis fünf Kinder, von denen allerdings nur drei überlebten.
Zeigt das Maria-Theresia-Kapitel den Alltag einer Großfamilie auf, deren Oberhaupt nebenbei noch ein Riesenreich zu regieren hatte, so wird bei der Wiener Linie der Rothschilds die Geschichte einer jüdischen Dynastie erzählt, der in ihren Anfängen der Besitz von Grund und Boden untersagt war, die später aber zu den größten und reichsten Gutsherren der Monarchie zählte. Bei ihrer Vertreibung aus Österreich im Jahre 1938 befanden sich die Rothschilds dann wieder dort, wo sie am Anfang gestanden hatten: Jeglicher Besitz wurde ihnen von den Nationalsozialisten geraubt.
Unter den bedeutenden Industriellen- und Kaufmannsfamilien begegnet man in diesem Buch auch den Porsches, den Meinls, den Mautner Markhofs. Und den Laudas, von denen man bislang wenig wusste, da der Formel-1-Weltmeister kaum je über seine Vorfahren sprach.
Im Kapitel »Zwei Portionen Tafelspitz« geht es um zwei Familien, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Die Grafen Stürgkh waren kaisertreue Aristokraten, die Adlers sozialistischer Uradel. Am 21. Oktober 1916 erschoss Friedrich Adler den k. u. k. Ministerpräsidenten Karl Stürgkh beim Mittagessen. Von diesem Tag an sind die Geschichten der beiden Familien schicksalhaft miteinander verbunden.
Frauen spielen eine scheinbar untergeordnete Rolle. Die Großen, die Berühmten waren fast immer die Männer, ihre Gemahlinnen für Haus und Kindererziehung zuständig. Von Martha Freud, der sechsfachen Mutter und Frau des Vaters der Psychoanalyse, ist der Satz überliefert: »Die Psychoanalyse hört an der Tür des Kinderzimmers auf« – soll heißen: Was der Papa so erforscht, das mag ja ganz interessant sein, hat in unserem Privatleben aber nichts zu suchen.
Und doch beweist dieses Buch, dass die familiäre Rolle der oft »hinter den Herd« verbannten Frauen um nichts weniger bedeutsam ist, als die der im Rampenlicht stehenden Männer. Sie haben ihre Kinder großgezogen und zu dem gemacht, was sie wurden. Apropos Frauen: In kaum einer Strauß-Biografie wird erwähnt, dass die drei berühmten Brüder auch zwei gar nicht berühmte Schwestern hatten. Auch sie sollten die Strauß-Kapelle dirigieren, scheiterten jedoch an diesem Plan – die Welt war eben noch nicht soweit.
In jedem Schicksal des 20. Jahrhunderts spielt ein Name eine beklemmende Rolle. Es gibt kaum eine Familie, die nicht durch Adolf Hitler ins Unglück gestürzt wurde, sei es, dass deren Mitglieder aus »rassischen« oder politischen Gründen verfolgt, sei es, dass Väter und Söhne in den Krieg gehetzt wurden. Ich bin auch der Geschichte von Hitlers Ahnen nachgegangen, die sich ganz anders darstellt, als sie durch die NS-Propaganda konstruiert wurde und heute noch verfälscht in mancher Biografie des »Führers« zu finden ist.
Zwei familiäre Beziehungen haben schon im Vorfeld dieses Buches Aufsehen erregt. Die der 1921 in der Hinterbrühl bei Wien geborenen Lisa Lanett, die offen über ein Kapitel ihres Lebens spricht, das sie jahrzehntelang für sich behielt: Über ihre Affäre mit Amerikas legendärem Präsidenten John F. Kennedy. Sowohl sie als auch der aus dieser Beziehung stammende Sohn Tony Bohler vertrauten mir ihre außergewöhnliche Geschichte an, deren Spuren ich zwischen Österreich, Mexiko und den USA weiterverfolgte.
Auch der Maler Oskar Kokoschka hat uns möglicherweise einen Sohn hinterlassen, von dem bisher niemand wusste: In New York lebt der Filmregisseur und Oscarpreisträger Peter Foges, der Kokoschkas Doppelgänger sein könnte. Eine zufällige Ähnlichkeit käme jedoch einem Wunder gleich, da Peter Foges’ Mutter und Kokoschka miteinander befreundet waren.
Die Liebe spielt in allen Familienkonstellationen eine wichtige Rolle, in manchen aber eine noch wichtigere: Vom Staatskanzler Metternich weiß man, dass er neben seinen drei Ehefrauen Dutzende Geliebte hatte. Ein Rätsel bleibt, wie er Familienleben, zarte Bande und einen Fünfzehn-Stunden-Arbeitstag unter einen Hut brachte – und das über mehrere Jahrzehnte. Ein großer Frauenfreund war auch Österreichs Nationaldichter Johann Nestroy, der zur Finanzierung seiner Amouren ein eigenes System geschaffen hatte: Ein Teil seiner Honorare ging an die »offizielle Geliebte« Marie Weiler, den Rest streifte er selbst ein, um sein aufwendiges Doppelleben finanzieren zu können.
Aus der jüngeren Zeit werden die Schicksale dreier Schauspieler-Dynastien geschildert: Die der Hörbigers, der Thimigs und der Familie Albach-Retty. Die Albach-Rettys sind heute in der sechsten Generation beim Theater, und vielleicht kann man den ebenso beeindruckenden wie tragischen Lebensweg der Romy Schneider ein wenig besser verstehen, wenn man die biografischen Details ihrer Ahnen kennt.
Sehr viele Familiengeschichten, auch aus längst vergangenen Zeiten, lassen sich bis ins Heute nachvollziehen. So konnte ich noch Angehörige der Familien Nestroy und Strauß treffen, aber auch eine Enkelin von Gustav und Alma Mahler und die Schwiegertochter Arthur Schnitzlers. Sie alle und viele andere Nachfahren hatten Interessantes, Dramatisches und Amüsantes aus den familiären Überlieferungen ihrer berühmten Ahnen zu erzählen.
In die eine Familie wird man hineingeboren, die andere gründet man. Liebe, Streit, Hass, Intrigen, Heiteres und Tragisches, manchmal sogar Mord und Totschlag – all das gab es innerhalb der hier beschriebenen Familien. Genügend Themen jedenfalls für ein Buch. Ich wünsche spannende Unterhaltung.
GEORG MARKUS
Wien, im August 2010
Danksagung
In vielen Fällen hatte ich Gelegenheit, die jeweiligen Familiengeschichten aus erster Hand zu erfahren, so durch Lisa Lanett und Tony Bohler; Roman Kokoschka und Peter Foges; Elisabeth und Niki Lauda; Alma Zsolnay; Rosa Albach-Retty; Ernest Freud; Manfred Mautner Markhof sen. und jun., Julius Meinl IV.; Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Christiane und Maresa Hörbiger, Monica Tramitz; Othmar Nestroy; Lilly und Michael Schnitzler; Eduard Strauss; Desirée Treichl-Stürgkh, Ladislaja Seyfferitz; Hermann und Hans Thimig, Vilma Degischer sowie Michael Heltau.
Darüber hinaus gilt mein Dank folgenden Personen: Verena Fischer, Kathy Alberts/Museum The Kennedys, Berlin; Gabriele Fischer/Medizinische Universität Wien; Roland Adunka/Auer von Welsbach Museum Treibach-Althofen; Iris Fink/Österreichisches Kabarettarchiv; Gabriele Hassler (Alma Zsolnay); Michael Hubenstorf/Institut der Geschichte der Medizin (Ernst Lauda); Marina Watteck (Familien Kokoschka und Foges); Gottfried Riedl (Familie Nestroy); Judith Pór-Kalbeck (Familie Jolesch); Jens Torner, Dieter Landenberger, Yvonne Knotek (Familie Porsche); Christine Karner,