Was uns geblieben ist. Georg Markus
Читать онлайн книгу.als Kind von Lisa Lanetts Mutter Charlotte adoptiert wurde, die in zweiter Ehe mit dem österreichischen Industriellen Richard Böhler verheiratet war. In den USA wurde der Name Böhler dann auf Bohler geändert.
Einen Beweis für Kennedys Vaterschaft konnte Lisa ihrem Sohn nicht liefern. Als der Präsident der Vereinigten Staaten 1963 in Dallas ermordet wurde, war Tony achtzehn Jahre alt. Es gab damals noch keine DNA-Analysen, mit deren Hilfe verwandtschaftliche Beziehungen festgestellt werden können. Lisa hat auch zu Kennedys Lebzeiten nie einen Vaterschaftstest beansprucht. Es gibt also keine Beweise.
Jedoch eine nicht unerhebliche Kette von Indizien, die belegen, dass Lisas Geschichte stimmen kann:
•Erstens haben sich alle nachweisbaren Details der von ihr geschilderten Familienchronik in meinen Recherchen als korrekt erwiesen.
•Zweitens handelt es sich bei ihren Erinnerungen zweifelsfrei nicht um die Fantasien einer alten Frau, die mit weit über achtzig Jahren ihre Lebensgeschichte neu erfunden hat. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil sie ihrem Sohn bereits dreißig Jahre zuvor erzählt hatte, dass John F. Kennedy sein Vater sei.
Weitere Hinweise finden sich in Wien:
•Die Arztwitwe Verena Fischer, die mir Lisa Lanett vorgestellt hat, kennt sie seit mehr als zwanzig Jahren: »Etwa im Jahre 2005 sahen wir uns gemeinsam Bilder aus ihrer Familie an, und bei dieser Gelegenheit hat sie mir zum ersten Mal erzählt, dass Kennedy der Vater ihres Sohnes ist. Ich kenne sie sehr gut und habe keinen Zweifel an dem, was sie sagt. Ich glaube zu hundert Prozent, dass es stimmt.«
•Der Wiener Rechtsanwalt Professor Nikolaus Lehner vertrat Lisa Lanett in den 1990er-Jahren in einer Erbschaftsangelegenheit. »Sie erzählte mir schon damals plausibel und glaubwürdig davon, dass Präsident John F. Kennedy der Vater ihres Sohnes sei«, erinnert sich Lehner. »Ich habe, da ich als Anwalt an die Verschwiegenheitspflicht gebunden bin, natürlich nie darüber gesprochen.«
Um Lisa Lanetts Geschichte weiter zu verfolgen, versuchte ich herauszufinden, ob John F. Kennedy in der fraglichen Zeit überhaupt in Phoenix in der Nähe des damaligen Wohnsitzes der gebürtigen Österreicherin gewesen sein konnte. Die Stationen seines Lebens sind angesichts seiner historischen Bedeutung als 35. Präsident der Vereinigten Staaten penibel dokumentiert: in der John F. Kennedy Library in Boston ebenso wie im Berliner Kennedy Museum, in seiner umfangreichen Korrespondenz wie in Dutzenden Biografien.
John F. Kennedy war seit 1941 Mitglied der US-Armee und wechselte nach dem Angriff auf Pearl Harbor zur Marine über. Tatsächlich befand er sich zur Jahreswende 1942/43, wie von Lisa behauptet, auf dem Weg nach Florida, genau genommen nach Jacksonville, einer am Atlantischen Ozean gelegenen Stadt, in der er auf weitere Befehle warten sollte. In Joan und Clay Blairs Biografie The Search for J.F.K., die sich im Besonderen mit den Kriegsjahren des späteren Präsidenten beschäftigt, ist sein Leben in dieser Zeit minuziös dokumentiert. Interessanterweise fehlen – so schreiben die Autoren – in sämtlichen Aufzeichnungen am Beginn des Jahres 1943 dreizehn Tage. Dreizehn Tage, von denen niemand weiß, wo Kennedy sich aufhielt, und über denen ein geheimnisvoller Schleier des Schweigens liegt. Verbrachte »Jack« diese Zeit im Monterey Lodge?
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass im März 1942, wenige Monate ehe seine Beziehung mit Lisa begonnen haben soll, Kennedys erste große Liebe auf dramatische Weise zu Ende gegangen war: »Jack« hatte als blutjunger Armeeangehöriger ein Verhältnis mit der verheirateten Journalistin Inga Arvad. Was er nicht wissen konnte, war, dass die gebürtige Dänin unter ständiger Beobachtung des FBI stand, da sie während der Zeit ihrer journalistischen Tätigkeit in Berlin in Nazikreisen, auch mit Hitler und Göring, verkehrt haben soll. Kaum in die USA eingereist, stand sie unter Spionageverdacht. Als »Jacks« Vater, Joseph Kennedy, davon erfuhr, untersagte er seinem Sohn jeden weiteren Kontakt mit der schönen Inga, da diese seiner weiteren Karriere, egal ob bei der Marine oder im Staatsdienst, im Wege gestanden wäre.
John F. Kennedy hatte mittlerweile erfolgreich die Marineoffiziersschule absolviert und wurde als Kommandant des Schnellbootes PT 109 in den Pazifik entsandt. Als das Kriegsschiff am 2. August 1943 von einem japanischen Zerstörer gerammt wurde, erlitt er schwere Verletzungen, die seine ihn seit Jugendtagen plagenden Rückenschmerzen erheblich verschlimmerten. Ende November 1944 wurde Lieutenant Kennedy deshalb nach zwei Operationen, die sein Leiden nicht lindern konnten, für »dauerhaft dienstuntauglich« erklärt.
Und damit gelangen wir in die Zeit, in der Lisa Lanett den späteren US-Präsidenten – so ihre Geschichte stimmen sollte – getroffen haben muss, da sie nun schwanger wurde. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Kennedy und Lisa einander in der »fraglichen Zeit« gesehen haben können. So schreibt JFK im Herbst 1944 an Paul B. Fay* aus dem Marinespital in Chelsea: »Von hier werde ich zu Weihnachten nach Hause fahren und dann ungefähr ein Jahr in Arizona bleiben, um wieder eine gute Kondition zu bekommen.«
Kennedy ist kein ganzes Jahr geblieben, wie er es vorhatte, hielt sich aber mehrere Monate in Arizona auf, wo auch Lisa Lanett lebte. Laut Robert Dalleks Kennedy-Biografie Ein unvollendetes Leben verbrachte er den Winter 1944/45 zur Rekonvaleszenz in einem Vorort von Phoenix/Arizona – und zwar in der für ihre heilenden Quellen berühmten Kuranstalt Castle Hot Springs. Dort wurde er mehrmals von seinem behandelnden Arzt Frank Lahey besucht, der Joseph Kennedy schriftlich über den jeweiligen Zustand seines Sohnes informierte.
Mit anderen Worten: John F. Kennedy war nachweislich zu dem Zeitpunkt in der Stadt, in der er Lisa Lanett rund drei Jahre zuvor kennen gelernt hatte, in der sie nach wie vor lebte und in der sie neun Monate später ihren Sohn Tony zur Welt brachte.
Das ist natürlich noch immer kein Beweis für John F. Kennedys Vaterschaft, aber ein weiteres Indiz dafür, dass Lisa Lanett jedenfalls keine Märchenerzählerin ist.
Bei unserer zweiten Begegnung, diesmal in der Wohnung ihrer Freundin Verena Fischer, ging Mrs. Lanett auf ihre Verbindung zum österreichischen Kaiserhaus ein. »Meine Großmutter Marie Schleinzer war eine berühmte Tänzerin«, setzte Lisa die Erzählung aus ihrem Leben fort. »Eines Abends bemerkte sie nach der Vorstellung, dass ihr ein eleganter Herr von der Oper bis zur Straßenbahnstation gefolgt war. Er stieg in denselben Tramwaywagen ein und sprach sie an. Der Mann hatte sie während der Aufführung im Opernhaus beobachtet und an ihr Gefallen gefunden.«
Der elegante Herr war Erzherzog Otto, eine der schillerndsten Figuren des österreichischen Kaiserhauses:
•Er war der Neffe Kaiser Franz Josephs,
•der jüngere Bruder des 1914 in Sarajewo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand,
•der Vater des späteren Kaisers Karl und
•der Großvater Otto von Habsburgs.
Die Beziehung zwischen Erzherzog Otto und Marie Schleinzer dauerte von 1891 bis zu seinem Tod im Jahre 1906. Damit erlebte die Tänzerin an seiner Seite die wohl aufregendsten Jahre im Leben des Habsburgers, da dieser 1896 – sieben Jahre nach dem Tod Kronprinz Rudolfs und unmittelbar nach dem Tod seines Vaters Karl Ludwig – an die zweite Stelle der Thronfolge rückte. Besonders dramatisch wurde die Situation, als sein älterer Bruder Franz Ferdinand an einer lebensbedrohlichen Tuberkulose erkrankte und man Otto schon als künftigen Kaiser sah, was in der Monarchie angesichts seines ausschweifenden Lebenswandels für gehörige Unruhe sorgte.
»Aus der Beziehung meiner Großmutter mit dem Erzherzog gingen mein Vater und dessen Schwester Hildegard hervor, die vom Erzherzog beide offiziell als seine Kinder anerkannt wurden.«
Marie Schleinzer war eine von vielen Affären des Erzherzogs, eine weitere hatte er mit der Schauspielerin Louise Robinson. Und verheiratet war er natürlich auch – und zwar mit der sächsischen Königstochter Maria Josepha, die er ständig mit seinen außerehelichen Skandalen brüskierte. Zur berühmtesten Eskapade kam es in einem Séparée des Hotel Sacher, das er fluchtartig verließ, als ihn ein eifersüchtiger Ehemann in den Armen seiner Frau ertappte. Das Pikante an der Szene war, dass Otto beim Verlassen des Hotels nur mit einem Säbel »bekleidet«, ansonsten aber