Let´s play love: Leon. Hanna Nolden

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Let´s play love: Leon - Hanna Nolden


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      »Die Let’s Plays sind nicht das Problem. Andere Mädels gucken auch Let’s Plays und machen nicht so einen Unsinn. Ich bin das Problem. Es kam einfach zu viel zusammen. Ich habe den Halt verloren, mein Ziel im Leben und meinen Platz.«

      »Und jetzt hast du wieder ein Ziel?«

      Deckx dazu bringen, sich in Rebekka McLight zu verlieben?

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Nein. Ich bin genauso durcheinander wie nach meiner Knieverletzung. Oder sogar noch schlimmer. Ich weiß nicht mehr, was wichtig ist und was nicht. Und ich weiß nicht, wie ich meine Tage rumbringen soll. Alles scheint so sinnlos zu sein!«

      Plötzlich streckte er die Hand aus und ergriff ihre Rechte.

      »Das ist es nicht! Wir alle sind mal planlos. Ich meine, ich mache Abitur, aber hast du dir mal einen Studienführer angesehen? Ich habe keine Ahnung, was ich studieren soll. Ich weiß gerade nicht einmal, ob ich überhaupt studieren will oder lieber eine Ausbildung machen soll. Der Sinn liegt darin, weiterzumachen. Jeden Tag zu nutzen und das zu tun, was einen weiterbringt und glücklich macht.«

      »Ich versuch’s ja«, sagte sie und ließ den Kopf wieder hängen. »Es ist nur ganz schön schwer.«

      Er drückte ihre Hand. »Ich weiß, dass es schwer ist. Du siehst es vielleicht nicht, aber es geht jedem so. Alle Menschen kämpfen. Jeden Tag. Nur sieht man es ihnen nicht immer an. Alles klar?«

      Sie seufzte, dann nickte sie. »Alles klar.«

      »Dann machst du weiter?«

      »Bin doch schon dabei«, murmelte sie. »Was für die Schule tun. Abitur machen wie mein großer Bruder.«

      Er grinste schief und ließ ihre Hand los. »Hoffen wir, dass der große Bruder Abitur macht. Ich habe da so meine Zweifel.«

      »So ein Quatsch«, widersprach sie. »So viel wie du lernst, muss ja irgendwas hängen geblieben sein.«

      »Dein Wort in Gottes Ohr. Ich mache besser weiter, denn im Moment bin ich mir da nicht so sicher.«

      »Dann lass ich dich lernen. Bis heute Abend.«

      Sie stand auf und verließ das Wohnzimmer. Das Gespräch hatte sich fast wie früher angefühlt. Vielleicht kam ja doch alles wieder ins Lot. Wenn sie nur aufrichtig sein könnte. Ihr Plan – Deckx dazu bringen, sich in Rebekka McLight zu verlieben. Und dann? Ihn bloßstellen? Ihm das Herz brechen? Rache nehmen? Genaugenommen wusste Vany selbst nicht, warum sie es tat. Sie spürte nur, dass sie es tun musste. Dass sie nach alldem immer noch nicht fertig war mit Deckx.

      Sie ging in ihr Zimmer und überprüfte reflexartig, ob ihr Laptop noch an Ort und Stelle war. Das Plastikgehäuse zu spüren, gab ihr ein beruhigendes Gefühl. Sie vermisste die Leichtigkeit des Let’s Play-Sehen. Nach der Schule den Laptop hochfahren und Deckx´ Stimme lauschen. Dem nächsten Part von Fantastic Lights entgegenfiebern. Sie hatte es übertrieben, das wusste sie, trotzdem war es eine super Zeit gewesen. Am Anfang hatte es ihr geholfen, die Knieverletzung zu akzeptieren und weiterzumachen, bloß war es irgendwann ihr einziger Lebensinhalt geworden. Und jetzt, wo sie die Let’s Plays aufgegeben hatte, hinterließen sie eine ebenso große Leere in ihrem Leben, wie Fußball es getan hatte. Und sie hatte keine Ahnung, womit sie diese Leere füllen sollte. Schweren Herzens setzte sie sich an ihren Schreibtisch und fing an, etwas für die Schule zu tun, in der Hoffnung, dass es irgendwann zur Routine wurde oder sogar anfing, Spaß zu machen. Andauernd kontrollierte sie ihr Handy und hoffte auf eine Nachricht von Leon.

      Lass mir Zeit, hatte er gesagt. Allerdings hatte er ihr nicht erklärt, wie viel Zeit das sein sollte. Oder wie sie sich in der Zeit zu verhalten hatte. Sie sollte sich ebenfalls Zeit nehmen und sich melden, wenn sie bereit war, seine Fragen zu beantworten. Was sie in Köln gemacht und warum sie sich hatte umbringen wollen. Die Fragen waren auch so schon schwierig zu beantworten, aber sie so zu beantworten, dass sie Leon nicht gänzlich vertrieb, war ein Ding der Unmöglichkeit.

      Als sie hörte, wie ihre Mutter nach Hause kam, räumte sie ihren Schulrucksack ein und ging hinunter. Ihre Mutter war müde von der Arbeit. Oder, weil sie nachts nicht genug schlief. Vany plagten Gewissensbisse. Sie war schuld daran, dass sie nicht ausreichend Schlaf bekam. Sie konnte sich vorstellen, wie sie sich hin und her warf und kein Auge zu tat aus Sorge um ihre einzige Tochter. Daher gab sie sich Mühe, die beste Tochter der Welt zu sein. Sie leistete ihrer Mutter Gesellschaft, während sie sich einen Kaffee kochte, und erzählte von ihrem Gespräch mit Frau Volckmann-Doose. Nach der ersten Überwindung war es sogar ganz wohltuend, sich mit ihrer Mutter gemeinsam gegen die Schulpsychologin zu stellen.

      »Ja«, bestätigte ihre Mutter. »Sie hat uns Adressen von Kliniken gegeben, die auf Computer- und Internetsucht spezialisiert sind. Papa und ich sind jedoch der Meinung, dass es dafür zu früh ist. Ich bin überzeugt davon, dass das einzig mit deiner Knieverletzung zusammenhängt, die dich aus der Bahn geworfen hat. So eine Sucht entwickelt sich doch nicht über Nacht. Wenn etwas so schnell entsteht, kann es sich ebenso schnell zurück entwickeln. Ich glaube, dass wir das als Familie schaffen können. Ohne eine Klinik.«

      Fast hätte man meinen können, ihre Mutter sprach über Krebs. Vany war sich selbst nicht sicher, ob sie nicht in einer Klinik besser aufgehoben war. Immerhin hatte sie tatsächlich versucht, sich das Leben zu nehmen, auch wenn ihr das im Nachhinein solche Angst einjagte, dass sie überzeugt davon war, es niemals wieder versuchen zu wollen. Trotzdem – so groß ihre Erleichterung war, dass ihre Eltern zu ihr hielten und sie nicht in die Psychiatrie abschoben, ein fader Beigeschmack blieb. Sie half ihrer Mutter beim Vorbereiten des Abendessens, versuchte, während des Essens, sich ein bisschen am Familiengespräch zu beteiligen, und ging dann früh ins Bett. Allerdings stellte sie sich einen Wecker auf drei Uhr. Schließlich hatte sie noch ein Date mit Rebekka, die ein Date mit Deckx hatte. Beim Eindösen träumte sie vor sich hin und stellte sich vor, tatsächlich Rebekka zu sein. Diese hübsche Blondine in den Gothicklamotten. Die ihre Zeit auf dem Friedhof verbrachte und Fotos von verwitterten Grabsteinen schoss. Nach und nach kamen immer mehr Mosaiksteinchen zusammen. Sie bekam langsam ein Gefühl für Rebekka und ihre Biographie.

      Als um drei Uhr morgens der Wecker ging, war Vany fast ausgeschlafen. Sie vergewisserte sich durch ausgiebiges Lauschen, dass alle ins Bett gegangen waren, holte das Kleiderbündel mit dem Laptop aus dem Schrank und zog sich um, während der Laptop hochfuhr. Es hätte ihr vielleicht lächerlich vorkommen müssen, sich dafür als Rebekka zu verkleiden, aber so war es nicht. Ganz im Gegenteil. Es fühlte sich richtig an. Sie loggte sich mit Rebekkas Profil ein, überprüfte Deckx´ Kanal und wurde enttäuscht. Erneut hatte Deckx keine Videos hochgeladen. Unter seinem letzten Video waren viele neue Kommentare aufgetaucht, so dass Rebekkas Beitrag weiter nach unten gerutscht war. Dass Vany96 keinen Kommentar geschrieben hatte, war niemandem aufgefallen oder es hatte sich zumindest niemand dazu geäußert. Dieser Sturm war wohl abgeklungen. Unzufrieden fuhr Vany den Laptop wieder herunter, zog sich um und verstaute alles im Schrank. Sie kroch unter die Decke und stellte ihren Wecker neu. Kurz betrachtete sie Leons Profilbild bei WhatsApp, dann schob sie das Handy unters Kopfkissen. Sie wollte nicht an Leon denken. Das wühlte zu viele Fragen auf, die sie nicht beantworten konnte. Sie drehte sich auf die Seite und versuchte, einzuschlafen. Diesmal stellte sie sich vor, wie sie auf dem Platz stand und Fußball spielte. Sie war Teil der Nationalmannschaft. Die Ränge waren voll und alle jubelten ihr zu. Mit einem wehmütigen Gefühl schlief Vany wieder ein.

      Der Dienstag begann mit Mathe und der Rückgabe der Klassenarbeit, in der Vany es zumindest auf eine Vier geschafft hatte. Vany war zu dem Schluss gekommen, dass Leon ihr aus dem Weg ging und zufällige Begegnungen vermutlich vermeiden würde. Obwohl sie ihn gern gesehen hätte, beruhigte diese Erkenntnis sie auch. »So tun als ob« forderte ihre volle Aufmerksamkeit. Eine Begegnung mit Leon würde sie überfordern. Frau Müller, ihre Klassenlehrerin kündigte an, dass es nicht nur für die Großen aufs Abitur zuging, sondern auch für die Zehntklässler eine Menge Klassenarbeiten in nächster Zeit folgen würden, und Vany verabredete sich mit Jazz zu regelmäßigen Lerntreffs. Jazz, die stets eine fleißige Schülerin gewesen war, schien das zu gefallen und der besorgte Ausdruck, mit dem sie Vany seit Sonntag immer mal wieder bedachte, wich allmählich aus ihrem Blick. Stück für


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