Seewölfe Paket 33. Fred McMason
Читать онлайн книгу.er. Der Blick durchs Fernrohr zeigte ihm, daß die Schebecke verschwunden war. Ihre Laterne brannte entweder nicht mehr, oder sie wurde verdeckt.
Alvaro Chinchilla verspürte ein sehr ungutes Gefühl. Je länger er die wogende Wasserfläche mit dem Spektiv absuchte, desto mulmiger wurde ihm.
Er sah die anderen Schiffe – nur die Schebecke nicht.
4.
Die Wachablösung um Mitternacht bestand aus Dan O’Flynn, Sam Roskill und Jeff Bowie. Es gab keine Veränderungen, die Anlaß zur Sorge geboten hätten. Der Konvoi lag weiterhin auf Nordkurs, die Schiffe stampften gleichmäßig gegen Drift und Wellen an.
Sam Roskill, der die Pinne übernommen hatte, begann nach der ersten halben Stunde leise vor sich hin zu summen.
Dan patrouillierte im vorderen Bereich des Achterdecks von Luv nach Lee und zurück. Vergeblich versuchte er in der Schwärze der Nacht fremde Schiffe zu entdecken. Es gab keine, und das würde sich kaum ändern, bevor die Nähe der englischen Küste erreicht war.
„Plymouth ist nahe!“ rief Jeff halblaut vom Vorschiff. „Ich kann die Kneipenluft schon riechen!“
„Solange ich nichts sehe, riechst du nichts“, erwiderte Dan spitz. „Bestenfalls deinen eigenen Mief.“
„Hör mal“, protestierte Jeff, „es ist gar nicht lange her, daß ich ein Bad genommen und dazu sogar ein mächtiges Stück Bimsstein benutzt habe.“
„Wie schön für dich. Du könntest dich natürlich auch ohne was an in den nächsten Regen stellen.“
„Das hat jeder nötig.“ Jeff Bowie war ein stämmiger, grauäugiger Mann, tapfer, gerecht und eher zurückhaltend. Daß Dan O’Flynn ihn bestimmt nicht provozieren wollte, wußte er. Es waren die äußeren Umstände, die zu kleinen Sticheleien reizten.
Dan blieb an Backbord stehen. Das bißchen spärliche Helligkeit, das von der Hecklaterne bis zu ihm strahlte, reichte aus, die anderen erkennen zu lassen, daß er angespannt beobachtete. Mühelos glich er das Stampfen und Rollen des Schiffes aus – ein möglicherweise angepeiltes Objekt hätte er anderenfalls auch sofort wieder aus den Augen verloren.
„Was ist?“ raunte Sam Roskill nach einer Weile. „Siehst du was?“
„Herzlich wenig.“
„Dann ist es ja gut.“
„Ganz und gar nicht. Eine unserer ‚Goldenen Hennen‘ versucht vermutlich abzuhauen. Ich sah noch das letzte Aufflackern der Hecklaterne, seitdem liegt das Schiff in Finsternis.“
„Das kann mehrere Ursachen haben. Eine davon allerdings, daß die Mannschaft nach Spanien zurück will.“
Dan beobachtete wieder.
Die Nacht hatte eine Galeone verschluckt. Der Position nach zu schließen, handelte es sich um die „Nuestra Señora de lagrimas.“
Dan O’Flynn wartete geduldig. Vorschnell Alarm zu schlagen, lag ihm nicht. Als nach einer Zeitspanne, die er für ausreichend hielt, eine Deckswache die möglicherweise defekte Laterne austauschen zu lassen, kein neues Licht aufflammte, schnalzte er leise mit der Zunge.
„Also doch?“ fragte Sam Roskill von der Pinne her. „Ich hätte nicht geglaubt, daß jemand die Flucht versuchen würde.“
Eine weitere Laterne erlosch. Aber nur für die Dauer eines flüchtigen Lidschlags. Im nächsten Moment strahlte sie so hell wie zuvor. Selbst Dan, der Mann mit den schärfsten Augen der Crew, war versucht anzunehmen, daß er sich getäuscht hatte. Das nahezu unablässige Starren in die Dunkelheit hinaus verführte sehr leicht dazu, daß man Lichtpunkte sah, wo keine waren, manchmal sogar leuchtende Kreise oder flackernde, sich wie Seeschlangen windende Linien, oder daß Objekte, die eben noch klar und deutlich zu erkennen waren, gleich darauf scheinbar spurlos verschwanden.
Die Laterne verblaßte zum zweitenmal. Sie wurde von etwas verdeckt, was vor ihr vorüberzog.
Dan verwünschte die Tatsache, daß jedes Schiff des Konvois aus Sicherheitsgründen nur mit einem einzigen Licht segelte. Trotzdem war er jetzt überzeugt davon, daß die „Nuestra Señora de lagrimas“ im Begriff war, zu halsen. Die Galeone hatte soeben mit dem Heck durch den Wind gedreht und dabei flüchtig die hinter ihr stehende „Patricia“ verdeckt.
„Die Nacht wird nicht so ruhig, wie du befürchtet hast“, rief Dan Sam Roskill zu, bevor er leichtfüßig zur Kuhl huschte und von dort zu den achteren Kammern.
Hasard war sofort hellwach, als Dan O’Flynn ans Schott klopfte. Vermutlich hatte er noch nicht fest geschlafen oder sich noch mit Problemen beschäftigt, die in Kürze anstanden.
„Die ‚Nuestra Señora‘“, wiederholte er, während er sich eilig ankleidete. „Kapitän Chinchilla ist zwar nur ein Dickkopf wie mancher andere auch, aber ich fürchte, er könnte eine gewisse Vorreiterrolle übernehmen. Anders als bei der ‚Nobleza‘ dürfte ausschlaggebend sein, daß Spanien inzwischen hinter uns liegt. Falls er abhaut, werden die anderen es ebenfalls versuchen, und dann haben wir das Kraut fett.“ Er blickte Dan forschend an. Ein leichter Zug von Belustigung vermischte sich mit der eben noch in seinem Gesicht erkennbaren Besorgnis. „Geh und wecke die Crew. Aber die Männer sollen ohne Licht an Deck erscheinen. Wir schlagen Chinchilla mit seinen eigenen Waffen.“
Die Galeone hatte mit Sicherheit noch keinen so großen Vorsprung herausgesegelt, als daß sie nicht innerhalb kurzer Zeit hätten aufschließen können. Erst nach seinem Kommando „klar zum Wenden!“ ließ Hasard die Laterne löschen. In völliger Dunkelheit drehte der Dreimaster mit dem Bug durch den Wind und lief dann nahezu exakt auf Südkurs. Die Arwenacks beherrschten das Manöver noch besser als die Spanier, bei ihnen war nicht einen Moment lang Zögern zu erkennen.
„Klar Deck überall!“
Das Tauwerk wurde belegt und aufgeschossen. Mit Steuerbordhalsen und vorlichem Wind folgte die Schebecke der längst von der Nacht verschluckten Galeone.
Dan O’Flynns Platz war jetzt auf der Back, dicht neben dem Fockmast. Unablässig blickte er durchs Spektiv und suchte die Dunkelheit nach einer Spur der Verfolgten ab.
Es gab keine klare Trennlinie zwischen Himmel und Meer. Wasser und Wolken verschmolzen miteinander zu einer Einheit, nur aufwirbelnde Gischtschwaden oder verfließende Schaumkronen zeigen manchmal einen sehr nahen Horizont. Der Atlantik hatte sich noch längst nicht beruhigt.
Stärker als zuvor krängte die Schebecke. Manche Wellen waren so hoch, daß sie schäumend vor dem Bug aufstiegen und sich tosend über die Back auf die Kuhl ergossen. Dan O’Flynn achtete kaum darauf, daß er sehr schnell durchnäßt war und der Wind sich eisig durch seine Kleidung fraß.
Unvermittelt stand Hasard neben ihm.
„Geh nach achtern, Dan, und wärme dich auf.“
„Nicht jetzt.“ Old Donegals Sohn blies etliche Wassertropfen von der vorderen Linse des Spektivs und widmete seine Aufmerksamkeit erneut der undurchdringlich scheinenden Schwärze der Nacht. „Ich denke, wir müssen die Spanier bald sehen.“
Hasard zog Dan an der Schulter zu sich herum.
„Was ich sagte, war ein Befehl.“
„Aye, Sir!“ murmelte Dan wenig erbaut.
Hasard blickte ihm kurz hinterher, dann übernahm er den Beobachtungsposten. Es war alles andere als angenehm, auf der Back den hochsteigenden Brechern und dem schneidenden Wind zu trotzen und dabei das unregelmäßige Stampfen und Schlingern des Schiffes so auszugleichen, daß das Spektiv möglichst ruhig auf einen Punkt gerichtet blieb. Zudem trieb ungewöhnlich viel Tang in der aufgewühlten See, der an Deck zurückblieb und die Planken schnell glitschig werden ließ.
Einmal glaubte Hasard, einen Schatten aus der Dunkelheit auftauchen zu sehen. Nicht mehr als höchstens zwanzig Yards entfernt. Doch als er sich darauf konzentrierte, liefen die ohnehin