Klima, Sprache und Moral. Eine philosophische Kritik. Johannes Müller-Salo

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Klima, Sprache und Moral. Eine philosophische Kritik - Johannes Müller-Salo


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werden sollte.

      Zu den zentralen dichten Begriffen des Klimadiskurses gehören neben dem Begriff der Natur die Begriffe des natürlichen Erbes, der Zukunft und der Schöpfung. Daneben begegnen in der Debatte Begriffe, die insofern keine dichten Begriffe im engeren Sinne sind, als sie nicht primär deskriptive und evaluative Komponenten miteinander verknüpfen. Auch sie verweisen jedoch auf Wertungen und Normen, die nicht konkret herausgestellt und erläutert werden. In diese Kategorie von Begriffen gehören beispielsweise der Begriff des Klimanotstands, der Begriff der von den Kindern nur geliehenen Welt, der Begriff der Heimat, der Begriff der Verantwortung und der Begriff der durch den Klimawandel gefährdeten Gleichheit.

      Wer sich darüber klarwerden möchte, welche Normen und Wertungen klimapolitischen Forderungen in der öffentlichen Debatte zugrunde gelegt werden, der muss die dichten und vielschichtigen Begriffe des Klimadiskurses zergliedern und kritisch hinterfragen.

      Eine solche Analyse ist überfällig: Sie ist nicht nur theoretisch aufschlussreich, sondern für die politische Debatte selbst von grundlegender Bedeutung. Eine effiziente und nachhaltige Klimaschutzpolitik wird nämlich nur dort gelingen, wo demokratische Mehrheiten von ihrer Notwendigkeit überzeugt werden können. Dabei kommt es auf die Tatsachen ebenso an wie auf die gewählte Begrifflichkeit. Denn Verfechter des Klimaschutzes unterlaufen ihr Anliegen, wenn sie mit Begriffen arbeiten, denen wenig plausible normative oder evaluative Vorstellungen zugrunde liegen.

      Systematisch können in der begrifflichen Analyse Fragen nach dem Inhalt, der Plausibilität und der motivationalen Stärke voneinander unterschieden werden. Der genaue Inhalt der hier interessierenden Begriffe erschließt sich dabei keinesfalls von selbst. Welche normativen Leitvorstellungen und Wertmaßstäbe liegen einem Begriff zugrunde? Wie wird das moralische Problem des Klimawandels bestimmt, wenn er etwa als Gefahr für die Zukunft oder als Gefahr für das natürliche Erbe verstanden wird? Wer wird vorrangig in der Pflicht gesehen, den Klimawandel aufzuhalten? Die Klärung solch inhaltlicher Fragen bildet seinerseits die Voraussetzung für die kritische Bewertung der Plausibilität eines Begriffs: Überzeugen die in den Begriff eingelagerten Wertungen? Halten die den Begriff konstituierenden normativen Erwägungen einer kritischen Prüfung stand?

      Schließlich ist nach der motivationalen Stärke eines Begriffs zu fragen. Dies mag zunächst überraschend erscheinen, beurteilen wir doch in vielen Kontexten Begriffe nach ihrem Gehalt und nach dessen Plausibilität. Begriffe sollen doch vor allem dazu beitragen, Sachlagen angemessen erfassen zu können, unabhängig davon, ob das Resultat zu bestimmten Handlungen anspornt oder nicht. Doch aus zwei Gründen ist es mit Blick auf die Klimadebatte sinnvoll, Begriffe bzw. die in Begriffe eingelagerten Vorstellungen und Wertungen auf ihr Motivationspotenzial hin zu untersuchen.

      1. Motivationsprobleme gehören zu den wichtigsten Problemen effizienter Klimapolitik. Wie können Menschen dazu motiviert werden, ihren Lebensstil im Interesse anderer, ihnen im Regelfall völlig unbekannter Menschen grundlegend zu ändern? In vom Mehrheitswillen abhängigen demokratischen Systemen ist diese Frage entscheidend.

      2. Die folgenden begrifflichen Analysen werden zu einem bedenkenswerten Ergebnis kommen: Die Begriffe, die etwa inhaltlich plausibel erscheinen oder die überzeugend auf allgemeine Normen Bezug nehmen, sind nicht unbedingt mit Vorstellungen verknüpft, denen ein starkes Motivationspotenzial zuzusprechen ist. Das letzte Kapitel geht der Frage nach, was mit Blick auf das Motivationsproblem aus diesem Befund zu lernen ist.

      Die Philosophie und der Klimawandel

      Probleme des Klimawandels und der Klimapolitik sind in der Philosophie bislang vor allem in der Wissenschaftsphilosophie und der angewandten Ethik diskutiert worden. Die Wissenschaftsphilosophie beschäftigt sich mit den Kriterien und Standards guter wissenschaftlicher Praxis und fragt mit Blick auf die Klimawissenschaften unter anderem nach dem Status und der Funktionsweise von Modellen und Simulationen sowie nach dem angemessenen Umgang mit Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten.

      Gegenstand der angewandten Ethik sind moralische Probleme und ethische Normen gesellschaftlicher Teilbereiche wie der Medizin oder der Technik. Seit den 1970er Jahren werden in der Umweltethik Normen des menschlichen Umgangs mit nicht-menschlichen Lebewesen und Prinzipien des Natur- und Landschaftsschutzes diskutiert. In den letzten Jahren hat sich neben und im Austausch mit der Umweltethik die Klimaethik als eigenständige angewandte Ethik etabliert, die nach dem richtigen Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgeproblemen fragt.

      Die philosophische Klimaethik prüft für die Klimapolitik einschlägige Prinzipien, wie etwa Prinzipien gerechter Verteilung oder Prinzipien der Haftung für die Folgen eigenen Handelns, und zeigt auf, wie diese moraltheoretisch begründet werden können. Von diesen ausgehend sucht sie zu klären, welchen Akteuren in der Klimapolitik welche Verantwortlichkeiten grundsätzlich zugeschrieben werden können. In der Klimaethik werden somit diejenigen Normen und Werte explizit formuliert und diskutiert, die nach der hier gestellten Diagnose in der gesellschaftlichen Klimadebatte häufig nur implizit und durch die Vermittlung komplexer und dichter Begriffe präsent und wirksam sind. Entsprechend wird der aktuelle Diskussionsstand der philosophischen Klimaethik in den folgenden Überlegungen, in denen die begriffliche Analyse der öffentlichen Debatte im Mittelpunkt steht, nur eine untergeordnete Rolle spielen.

      Man kann der Philosophie im Themenfeld des Klimawandels jedoch noch eine dritte Aufgabe zuweisen: Schließlich gehört die Analyse komplexer Begriffe zum Kerngeschäft der Philosophie. Nicht wenige Philosophierende betrachten es als ihre wichtigste Aufgabe, einen Beitrag zum Verständnis zentraler und vielschichtiger Begriffe unserer Alltagssprache zu leisten, indem sie deren Bedeutungsdimensionen, Bezüge und Konnotationen herausarbeiten. Ludwig Wittgenstein (1881–1951), der wie kaum ein anderer das Verständnis von philosophischer Begriffsanalyse geprägt hat, betrachtete die Philosophie entsprechend als »Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache«.1

      Die folgenden Analysen klimapolitischer Begriffe sind diesem methodischen Ansatz der begrifflichen Untersuchung der Alltagssprache verpflichtet. Entsprechend ist auch die hier geübte Kritik zu verstehen: Sie ist keine Kritik am Anliegen des Klimaschutzes und seinen energischen Verteidigern. Sie ist eine Kritik an der für die Formulierung des Anliegens verwendeten Sprache im Interesse des Anliegens selbst. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass die Sprache der Aufklärung bedarf, wenn sie ihr Ziel erreichen und im demokratischen Diskurs überzeugen soll.

      Begriffliche Vielfalt: Papst Franziskus und Greta Thunberg

      Wie unterschiedlich die Begriffe und ihre normativen wie evaluativen Grundlagen sind, in welche die mit dem Klimawandel einhergehenden moralischen Herausforderungen gefasst werden können, kann ein erster Vergleich aufzeigen. Wenige Texte haben die öffentlichen und politischen Klimadebatten in den letzten Jahren so stark beeinflusst wie die von Papst Franziskus (* 1936) im Mai 2015 gegebene Umweltenzyklika Laudato si’ und die Reden der schwedischen Schülerin und Initiatorin der Fridays-for-Future-Proteste, Greta Thunberg (* 2003), aus den Jahren 2018 und 2019.

      Der normative Leitbegriff in Thunbergs Reden ist der Begriff der Zukunft. Durch ihr rücksichtsloses Verhalten stehlen die Bewohner der reichen Länder zukünftigen Generationen natürliche Ressourcen.2 Ihr Appell an die Gegenwart: »Die Zukunft aller Generationen ruht auf euren Schultern. […] Also bitte behandelt die Klimakrise als die akute Krise, die sie ist, und gebt uns eine Zukunft. Unser Leben liegt in euren Händen.«3 Thunberg adressiert Fragen internationaler Gerechtigkeit, insofern sie auf die Verantwortung der reichen Nationen verweist, ihren Anteil an CO2-Emissionen zu senken, um den Entwicklungsländern eine Chance zu geben, »ihren Lebensstandard zu erhöhen, indem sie einen Teil der Infrastruktur aufbauen, die wir schon haben«4.

      Papst Franziskus stellt seine Überlegungen unter den Leitbegriff der »Sorge für das gemeinsame Haus«, wie es bereits im Untertitel der Enzyklika heißt. Damit ist das zentrale Thema von Laudato si’ bereits benannt: Aus der Sicht von Franziskus stellt der Klimawandel einen zentralen, jedoch nur einen weiteren Aspekt globaler Ungerechtigkeit und der Missachtung von Menschen durch Menschen dar. Die Mahnung, globale Umwelt- und globale Armutsprobleme zusammenzudenken, sie als zwei Seiten derselben Herausforderung zu betrachten,


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