Die Tochter des Granden. Karl May

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Die Tochter des Granden - Karl May


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      »Señor Carlos, Sie haben mich noch immer nicht vergessen?« – »Vergessen?« erwiderte er. »Verlangen Sie von mir alles, aber verlangen Sie nicht, daß ich Sie jemals vergessen soll. Sie sind mein Denken und Empfinden, mein Leben und Leiden, und Sie vergessen, das heißt nichts anderes als sterben.« – »Und dennoch muß es sein. Heute aber dürfen wir uns noch sehen, und so will ich Ihnen danken, daß Sie gekommen sind.« – »Oh, Señorita, ich glaube, ich wäre gekommen, und wenn ich auf dem Sterbebett gelegen hätte«, antwortete Sternau in tiefster Bewegung. – »Fast möchte ich Ihnen das glauben, denn auch ich habe erfahren, wie allmächtig die Liebe ist. Aber lassen Sie uns von dem sprechen, was mich veranlaßte, Sie hierher zu rufen.« – »Ihre Zeilen waren unbestimmt. Sie ließen mich vermuten, daß der Graf sich in einer Gefahr befindet. Ich habe dann in Manresa gehört, daß er eine Operation erleiden soll.« – »Allerdings, aber es gibt noch andere Gründe, die mir Besorgnis einflößen, Gründe, die ich nur gegen Sie erwähnen kann, da ich zu Ihnen ein so unendliches Vertrauen besitze. Ich weiß nicht, sondern ich ahne nur, daß der Graf sich auch noch in einer anderen Gefahr befindet, als diejenige ist, die seine Krankheit befürchten läßt; aber nun ich Sie hier bei uns weiß, bin ich ruhig. Es ist mir, als sei mit Ihrem Erscheinen jede Gefahr gewichen.«

      Bei diesem Bekenntnis leuchtete sein Auge auf, er streckte ihr beide Hände entgegen und fragte mit bebender Stimme:

      »So groß ist Ihr Vertrauen, Rosetta? Oh, dann ist es ja sicher, daß Sie mich noch lieben.«

      Sie legte die Hände in die seinigen und antwortete:

      »Ja, ich liebe Sie, Carlos, ich liebe Sie noch so innig, wie ich Sie bei unserem Scheiden liebte, und ich werde Sie so innig weiter lieben, bis ich einst diese Erde verlasse. Ich bin Ihnen bisher ein Rätsel gewesen, aber morgen werden Sie imstande sein, dieses Rätsel zu lösen, und dann werden Sie begreifen, daß die Trennung unser einziges Schicksal ist.« – »Warum erst morgen? Warum nicht jetzt?« hauchte er. – »Weil meinem Mund das Wort schwer wird, das Sie morgen erfahren sollen. Carlos, grollen wir dem Schicksal nicht, sondern suchen wir unser Glück in der reinen Freude darüber, daß unsere Herzen einander gehören, obgleich uns die Verhältnisse trennen. Lassen Sie uns ohne Leidenschaft sprechen und zu dem Thema übergehen, das mich zu Ihnen führt.«

      Ohne Leidenschaft! Welch ein Verlangen für ihn, auf den die mächtigsten Gefühle einstürmten! Aber er zwang sich, ruhig zu sein, und führte sie zum Sessel.

      »Sie sollen hören, was ich von Ihnen wünsche«, begann sie. »Sie wissen, daß der Graf unheilbar blind ist. Zu diesem Leiden ist ein neues und höchst schmerzhaftes getreten; er leidet an einer sehr ausgebildeten Steinkrankheit, und die Ärzte, die wir zu Rate zogen, behaupteten, daß nur die Operation sein Leben retten könne. Er hat sich für diese Operation entschieden und seinen Sohn, den Grafen Alfonzo, aus Mexiko kommen lassen, um ihn noch einmal zu sehen und damit der Erbe anwesend sei, wenn der Schnitt mißglücken sollte. Oh, das klingt so kalt und geschäftsmäßig, während es mir das Herz zerreißt! Ihr Männer spielt mit dem Tod und nennt dies Mut; mir aber schaudert vor einem solchen herzlosen Mut. Condesa liebt den Vater; er war ihr einziger Freund bisher, und sie war seine Hand, die ihn, den Erblindeten, durch das Leben leitete. Sie betet Tag und Nacht zu Gott, daß er gerettet werde, denn sie fühlte eine fürchterliche Angst, daß man den falschen Weg eingeschlagen habe. Die Ärzte sind finstere, kaltherzige Männer, denen sie kein Vertrauen schenkt. Der Notar und Schwester Clarissa, die den Grafen fast keinen Augenblick verlassen, gleichen unheilvollen Dämonen, die nach des Kranken Blut lechzen, und Graf Alfonzo, der Sohn – ach, wie unglücklich, wie sehr unglücklich ist die Condesa!«

      Rosetta legte das bleiche Gesicht in die Hände und weinte. Es war nicht jenes laute Weinen, welches das Herz von seiner Last erlöst, sondern jenes stille, das keinen Laut, sondern nur Tränen und immer wieder Tränen hat. Sternau konnte dies nicht länger ansehen, er kniete vor ihr nieder, zog ihr die Hände von den überströmenden Augen und bat mit flehender Stimme:

      »Weinen Sie nicht, Señorita. Blicken Sie auf mich: ich bin ein Riese, aber wenn ich weinen sehe, so muß ich vor Schmerz vergehen. Erleichtern Sie Ihr Herz, indem Sie mir alles mitteilen.« –

      »Ich werde es tun«, antwortete sie, indem sie sich faßte und ihre Tränen trocknete. Dann fuhr sie fort: »Die Condesa war ein sehr kleines Mädchen, als sie den fortgehenden Bruder zum letzten Mal sah. Es vergingen fast sechzehn Jahre, und nun freute sie sich aus vollstem Herzen über seine Wiederkehr. Er kam, und sie eilte ihm entgegen, um an seine Brust zu fliegen; aber nur einen einzigen Schritt, dann blieb sie halten und vermochte es nicht, ihm ihre Arme entgegenzustrecken. Der vor ihr stand, den durfte sie nicht berühren, sie wußte nicht warum; aber eine innere Scheu sagte es ihr. Das war nicht das Auge oder die Stimme eines Bruders, sein Angesicht war hart, und seine Worte klangen herzlos. Und dann, als sie ihn von Tag zu Tag beobachtete, gewahrte sie die Blicke, die er auf seinen Vater warf. Ein jeder dieser Blicke sagte: Ich laure nur auf deinen Tod! Da wurde ihr Angst, sie ahnte ein Geheimnis, und in dieser Todesangst schrieb sie – bat sie mich, an Sie zu schreiben, damit Sie kommen und helfen möchten.« – »Was ich tun kann, soll geschehen«, versicherte Sternau. »Die Operation wird morgen stattfinden?« – »Ja. Man will sie auf keinen Fall länger hinausschieben.« – »Wann?« – »Ich hörte, daß sie um elf Uhr vorgenommen werden soll.« – »Werde ich vorher den Grafen sehen und sprechen dürfen?« – »Ja, wenn Sie sich bei der Condesa melden.« – »Wann wird sie mich empfangen?« – »Kommen Sie um neun Uhr! – Haben Sie bereits einmal den Stein operiert?«

      Sternau lächelte ein wenig.

      »Sehr oft, Señorita. Ich glaube sogar, daß man mich für eine Kapazität auf diesem Feld hält.« – »Ist die Operation sehr gefährlich?« – »Um dies sagen zu können, muß man den Fall untersucht haben. Warten wir, bis dies geschehen ist!« – »Ja, warten wir! Ich habe zu Ihnen ein unerschütterliches Vertrauen. Nur Sie allein werden Rettung bringen, wenn Rettung möglich ist.«

      Sie erhob sich. Da fragte er traurig:

      »Sie wollen gehen, Señorita?« – »Ja; ich werde sonst vermißt. Also um neun Uhr kommen Sie?« – »Ich komme! Darf ich Sie nicht begleiten, Señorita?«

      Rosetta besann sich errötend und antwortete:

      »Es ist dunkel, und man wird uns nicht sehen. Ja, kommen Sie bis zum Schloß mit!«

      Sie verließen das Häuschen, und er reichte ihr den Arm. So hoch und stark er war, so war er doch kaum um einen halben Fuß größer als sie, und wer sie jetzt so nebeneinander dahin schreiten sah, der hätte sie jedenfalls für ein ganz auserlesenes Paar gehalten.

      Sie legten ihren Weg unter tiefstem Schweigen zurück, aber desto lauter war die Stimme ihrer Herzen. Er fühlte ihren Arm auf dem seinigen, aber er hätte es nicht gewagt, ihn fester an sich zu ziehen. Es war ihm, als wandle ein überirdisches, unendlich höheres Wesen neben ihm her, ein Wesen, zu dem er anbetend emporschauen müsse. Und als sie endlich vor dem Parktor standen, um Abschied zu nehmen, da zuckte es ihm zwar heiß und verlangend durch die Seele, aber seine Arme blieben gesenkt, und als sie ihm die Hand entgegenstreckte, da zog er diese nur für eine ganz, ganz kurze Zeit an seine Brust, und wagte es nicht, sie mit seinen Lippen zu berühren.

      »Gute Nacht, Carlos«, sagte sie.»Ruhen Sie aus von Ihrer Reise!« – »Ausruhen?« fragte er. »Meine Seele ist ruhelos, bis sie die Ruhe des Grabes finden wird. Gute Nacht, Señorita!«

      Er wollte gehen, sie aber faßte ihn abermals bei der Hand, trat nahe, ganz nahe an ihn heran und lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter. Dann fühlte er ihren Busen an seinem Herzen sich heben und senken und hörte ihre leise gesprochene Bitte:

      »Mein Carlos, vergib mir, und sei nicht unglücklich!«

      Da umfaßte er sie mit den Händen, zog sie innig an sich und flüsterte:

      »Wie kann ich glücklich sein, wenn du mir nicht aufgehen darfst, mein Licht, mein Stern, meine Sonne!« – »Nur unsere Körper werden getrennt sein, unsere Seelen aber haben sich gefunden und werden einander nie verlieren, was auch kommen möge! Gott sei mit dir!«

      Darauf


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