Die Tochter des Granden. Karl May

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Die Tochter des Granden - Karl May


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Gott, er ist nicht unverschämt, sondern nur wahnsinnig! Ich werde ihn den Dienern übergeben, damit sie ihn in das Irrenhaus bringen.«

      Schnell trat er zum Glockenzug und klingelte.

      »Das wirst du nicht tun!« rief die Gräfin, seine Hand erfassend.

      Aber schon erschallte der laute Klang des Signals durch den Korridor, und da das ungewöhnliche Ereignis die Dienerschaft bereits vorher bis an die Tür des Vorzimmers herbeigezogen hatte, so stand diese jetzt sofort und zahlreich zur Verfügung.

      »Schafft den Menschen fort!« gebot der Graf. »Er ist verrückt.«

      Statt aller Antwort drehte sich Sternau nach den Domestiken um und schritt auf dieselben zu. Sie konnten nicht einmal dem bloßen Eindruck seiner Gestalt und seiner Augen widerstehen, sie wichen vor ihm zurück bis hinaus auf den Korridor, worauf er hinter ihnen die Tür verschloß, den Schlüssel zu sich steckte und lächelnd zu den Gegnern zurückkehrte.

      »Graf, Ihre Leute versagen Ihnen den Gehorsam«, bemerkte er sehr gleichmütig. »Verlangen Sie es nicht anders von einem Fremden, den Sie ohne Grund zu beleidigen trachten, obgleich er nur in Ihrem eigenen Interesse an dieser Stelle steht und stets gewohnt gewesen ist, selbst von den höchsten Herrschaften mit Achtung behandelt zu werden.« – »Ich frage Sie, ob Sie mir gehorchen werden«, rief der Angeredete jetzt außer sich. »Geben Sie augenblicklich den Schlüssel heraus.« – »Gemach, er gehört einstweilen mir, denn ich bin gegenwärtig Herr der Situation.« – »Mensch, ich ohrfeige dich!« schrie Alfonzo da wütend.

      Dabei sprang er auf den Arzt zu und hob die Hand zum Schlag, stieß aber sofort einen gräßlichen Schrei des Schmerzes aus, denn Sternau hatte diese Hand ergriffen und mit einer so fürchterlichen Kraft zusammengepreßt, daß die Knochen prasselten und das Blut hervorspritzte.

      Auf diesen Schrei öffnete sich langsam die Stubentür, und es erschien eine Gestalt, die ganz wohl geeignet war, der Situation einen anderen Stempel aufzudrücken und Achtung und Mitleid zu erregen.

      3. Kapitel.

      Der Eintretende war blind, das sah man auf den ersten Blick, aber seine lichtlosen Augen schienen dennoch das Vermögen zu besitzen, die Umgebung zu beherrschen. Seine lange, jetzt durch Leiden abgemagerte Gestalt war in ein weißes Tuch gehüllt, das wie ein Grabgewand von den Schultern bis auf den Boden herniederwallte. Sein edel gezeichnetes Angesicht war totenbleich, und seine an den Schläfen ergrauten Haare hingen wie gefesselte Schlangen in dichten Strähnen bis in den Nacken hernieder.

      Es war, als sei ein Geist aus der Gruft gestiegen, um den ruhestörenden Streit der Sterblichen zu bannen.

      Dieser Mann war der Graf Emanuel de Rodriganda-Sevilla. Die Chloroformierung war noch nicht vollendet gewesen.

      Er hatte das Bewußtsein wiedererlangt und den Streit vernommen, darum war er, sich fest in das Tuch hüllend, vom Operationstisch herabgeglitten und hier eingetreten.

      »Was gibt es da? Wer redet hier? Warum beginnt man nicht mit dem Werk?« fragte er, indem er seine toten Augen im Halbkreis herumgehen ließ. Rosa eilte auf ihn zu und schlang in überströmender Zärtlichkeit die Arme um ihn.

      »Mein Vater, mein teurer, lieber Vater!« rief sie. »Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß man noch nicht begonnen hat. Nun darf man dich nicht töten.« – »Töten? Wer wollte es denn tun, mein Kind?« – »Oh, du wärest gestorben, sicher und gewiß, ich weiß es, ich ahne es, ich fühle es.« – »Die kindliche Liebe und die Angst sprechen aus dir, meine liebe Tochter. Du hättest uns nicht stören sollen.« – »Recht so, Vater!« fiel hier der junge Graf ein. »Sie hat uns unterbrochen und zwar in welch unglaublich auffälliger Weise! Ich will dir nur sagen, daß sie sogar die Tür hat einbrechen lassen! Sage selbst, ob dies einer Gräfin Rodriganda würdig ist.« – »Hast du dies wirklich getan, mein liebes Kind?« fragte der Graf mit einem milden, ungläubigen Lächeln. – »Ja, ich habe es allerdings getan, Papa«, antwortete sie.

      Und dann fuhr sie in edler Aufrichtigkeit fort:

      »Dein Zustand erfordert die allerhöchste Vorsicht, und dein teures Leben ist mir viel zu kostbar, als daß ich diese Vorsicht verabsäumen sollte. Du darfst nur von solchen Männern behandelt werden, zu denen ich Vertrauen habe, ich bemerkte aber, daß man sich übereilt und dein Leben nicht mit der nötigen Sorgfalt behandelt. Ich starb fast vor Angst und Sorge. Ich schrieb nach Paris und erbat mir von Professor Letourbier einen Operateur, dem ich dich anvertrauen kann, und nun derselbe heute gekommen ist, wollte man ihn nicht zu dir lassen. Wirst du dich nun noch wundern, daß ich den Eintritt erzwungen habe?«

      Er neigte lächelnd das müde Haupt und sagte:

      »Meine Ärzte besitzen mein vollständiges Vertrauen, und wenn man dir die Stunde der Operation verheimlichte, so geschah dies nur, um dir und mir jede schädliche Aufregung zu ersparen. Wo befindet sich der Pariser Arzt?« – »Er steht hier. Es ist Doktor Carlos Sternau aus Magunzi – Mainz – in Deutschland.« – »Hier, in diesem Zimmer?« – »Ja«, antwortete Sternau jetzt selbst. »Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, daß ich dem Ruf Ihres Kindes Folge leistete. Wenn es sich um das Leben eines Menschen, eines teuren Vaters handelt, so kann nie genug geschehen.«

      Diese Worte wurden mit einer festen Stimme gesprochen, deren Ton den Blinden sympathisch zu berühren schien.

      »Haben Sie bereits einmal einer ähnlichen Operation beigewohnt, Señor?« fragte er. – »Ja.«

      Dies war ein einziges, sehr einfaches Wort, aber der Graf erhob den Kopf und sagte:

      »Señor, Sie haben einen sehr vielsagenden Ton. Sie sprachen da nur eine Silbe, aber ich höre aus derselben, daß Sie bereits sehr vielen Operationen beigewohnt und diese sogar vielleicht geleitet haben ...« – »Erlaucht haben recht gehört. Ich bin Oberarzt beim Professor Letourbier.« – »Ah, da mußte man Vertrauen zu Ihnen haben und durfte Sie nicht zurückweisen! Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Señor! Wollen Sie meinen Zustand einer Prüfung unterwerfen?« – »Ich wünsche sehr, es tun zu dürfen, Erlaucht.« – »So treten Sie mit mir ein. Die Herren Ärzte werden uns begleiten, die anderen aber ersuche ich, zurückzubleiben.« – »Halt!« rief da Alfonzo. »Vater, ich teile dir mit, daß ich diesem Mann die Tür gewiesen habe. Willst du meinen Befehl dementieren?« – »Mein Sohn, du hast diesen Señor beleidigt, und ich bin ihm Genugtuung schuldig.« – »Er hat mir sogar die Hand verwundet.«

      Da fiel Rosa ein:

      »Alfonzo schlug nach Señor Sternau, und dieser hielt ihm nur die Hand fest, das ist alles!«

      Der Graf erschrak förmlich, mit trauriger Miene erwiderte er:

      »Ist es möglich, daß ein Graf Rodriganda einen Menschen schlägt, einen Gast seiner Schwester! Das mag Sitte bei den Vaqueros – Kuhhirten – von Mexiko oder Texas sein, nicht aber in der Familie eines Granden von Spanien. Mein Sohn, du hast mich sehr betrübt!«

      Mit diesen Worten kehrte er in das andere Zimmer zurück. Sternau folgte ihm nebst den drei Ärzten.

      Alfonzo, der zurückbleiben mußte, raunte währenddessen mit knirschenden Zähnen seiner Schwester entgegen:

      »Das werde ich dir nicht vergessen! Diesen Kuhhirten sollst du mir bezahlen müssen!«

      Er wollte nun die Gemächer seines Vaters verlassen, mußte aber bleiben, da Sternau vergessen hatte, die Schlüssel wieder abzugeben. So trat er an eins der Fenster; Rosa aber nahm in einem der Fauteuils Platz, ohne den Bruder weiter eines Blickes zu würdigen.

      Das Zimmer, in das sich der Graf begeben hatte, zeigte alle Vorbereitungen, die zu der Operation nötig gewesen waren. Über eine lange Tafel war eine Matratze gebreitet, die dem Grafen hatte als Lager dienen sollen; daneben lagen allerlei Instrumente, und auf dem Boden standen Gefäße, um die Folgen des Schnittes aufzunehmen. Der Graf wandte sich an Sternau:

      »Señor, seit mir das Licht meiner Augen geraubt wurde, pflege ich den Menschen nach dem Ton seiner Stimme


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