Erkämpftes Glück, Band 3. Karl May

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Erkämpftes Glück, Band 3 - Karl May


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worden. Gerard eilte um das Gebäude herum, um den vorderen Eingang zu gewinnen. Dort hatte man bereits Lichter angebrannt. Ein Vaquero kam ihm entgegen.

      »Ah, Señor Gerard«, sagte er, »man sucht Euch, man hat Euch vermißt.« – »Wo sind sie?« – »Überall. Man läuft hin und her und weiß nicht, was die Schüsse bedeuten.« – »Wie ruft man die Leute am schnellsten zusammen?« – »An der Tür des Speisesaales hängt eine Glocke. Läutet sie, so werden alle sich dort einstellen!«

      Gerard befolgte den Rat und sah einen Bewohner der Hazienda nach dem anderen dort im Saal erscheinen. Die meisten waren mit Lichtern versehen. Auch Resedilla kam. Als sie Gerard erblickte, eilte sie mit einem Freudenruf auf ihn zu:

      »Gott sei Dank, daß ich dich sehe! Ich hatte große Angst um dich!« – »Warum?« fragte er sie liebevoll. – »Wir hörten die Schüsse, wir suchten, ich kam in dein Zimmer und fand dein Gewehr. Die Läufe waren leer, und du warst fort. Bist du es, der geschossen hat?« – »Ja.« – »Warum?« – »Sogleich. Warte, bis alle beisammen sind!«

      Dies dauerte nicht lange, und dann erzählte Gerard das Ereignis.

      »Was für ein Raum liegt unter meinem Zimmer?« fragte er den Haziendero. – »Die Küche«, antwortete dieser. – »Wohnen alle Eure Vaqueros im Haus?« – »O nein. Die meisten kampieren des Nachts bei den Herden.« – »Bleibt eine Magd des Nachts in der Küche?« – »Nein«, antwortete Marie Hermoyes. »Die Küche ist leer und verschlossen. Ich habe den Schlüssel bei mir.« – »War das Fenster geöffnet?« – »Ja, damit die Hitze abziehen könne.« – »Glaubt Ihr, daß irgendein Vaquero des Nachts einsteigen werde, um sich irgend etwas zu holen?« – »Nein. Unsere Vaqueros haben alles, was sie wünschen. Sie brauchen nicht zu stehlen, und ich kenne keinen, den ich für fähig halte, es zu tun.« – »Ich frage nur, um ganz sicher zu gehen und nichts aus dem Auge zu lassen. Es gilt zunächst, zu sehen, ob die Küche noch verschlossen ist.«

      Man begab sich in das Parterre, und da ergab sich, daß die Tür nicht geöffnet worden war. Marie Hermoyes wollte öffnen und eintreten, aber Gerard hielt sie zurück.

      »Halt!« sagte er. »Wir müssen vorsichtig sein. Wartet hier, Señora Maria. Wir werden erst nach dem Hof gehen, um zu sehen, was dort zu bemerken ist.«

      Es wurden Laternen angebrannt. Da durch das Küchenfenster zuweilen Wasser auf den Hof geschüttet wurde, so war unter demselben die Erde erweicht. Als Gerard hinleuchtete, fand er die ganz deutlichen Tapsen eines Mannes, der hier aus und eingestiegen war.

      »Es stimmt«, sagte er. »Dieser Mensch ist nicht durch die Tür in die Küche gekommen. Er ist kein Vaquero, denn ein solcher trägt anderes Schuhwerk. Der Mann, von dem diese Spur stammt, hat einen kleinen Fuß und trägt feine Stiefel. Ich werde mir nachher diese Spur auf Papier zeichnen. Man kann nicht wissen, wozu ein solches Modell nützlich ist. Jetzt aber wollen wir in die Küche gehen.«

      An der Küchentür angekommen, ließ Gerard öffnen, gebot aber, daß alle an der Tür bleiben sollten. Es galt zu erfahren, was der Mann hier gewollt hatte.

      Er trat ein, den anderen voran, und untersuchte jeden Zollbreit des steinernen Bodens, ohne ein Wort zu sagen. Dann leuchtete er in allen Winkeln und auf den Tischen umher und gebot endlich Marie Hermoyes, nachzusehen, ob irgend etwas entwendet sei.

      Sie fand alles in der größten Ordnung und sagte:

      »Ich begreife nicht, was der Mensch hier gewollt hat. Wir werden das wohl auch nicht erfahren.« – »Oh«, meinte Gerard, »ich hoffe, daß wir es binnen zwei Minuten wissen. Wer ist zuletzt in der Küche gewesen, Señora?« – »Ich.« – »Habt Ihr da vielleicht ein kleines Fläschchen in der Hand gehabt?« – »Nein.« – »Hm. Ist Euch nicht ein Fläschchen bekannt, auf das dieser Stöpsel passen würde?«

      Gerard bückte sich nieder und hob einen kleinen Kork empor, der in der unmittelbarsten Nähe des großen Wasserkessels am Boden lag. Marie wollte ihn in die Hand nehmen, um ihn genauer betrachten zu können, er aber sagte:

      »Halt! Vorsicht! Man kann in solchen Dingen nie zu vorsichtig sein. Ihr könnt den Stöpsel so auch sehen.« – »Wir haben gar kein derartiges Fläschchen«, entschied Marie. – »Hm!« brummte Gerard nachdenklich vor sich hin, indem er den Kork noch einmal in das Auge faßte. »Dieser Stöpsel ist noch feucht, und der Teil, der durch den Hals des Fläschchens zusammengedrückt wurde, ist trotzdem noch nicht im geringsten aufgeschwollen. Ich wette meinen Kopf, daß dieser Kork noch vor einer halben Stunde in dem Fläschchen gesteckt hat. Der Fremde hat ihn verloren und gar nicht gesucht oder in der Finsternis nicht gefunden.«

      »Was sollte er mit dem Fläschchen gemacht haben? Höchst sonderbar«, meinte Arbellez. – »Auch das werden wir hoffentlich erfahren«, antwortete der Jäger im zuversichtlichsten Ton.

      Er trat an das Fenster und betrachtete dasselbe.

      »Hier ist er eingestiegen«, erklärte er. »Sein Stiefel war mit nasser Erde beschmutzt, wovon ein Teil hier hängenblieb. Ein anderer Teil liegt hier.«

      Er leuchtete dabei am Wasserkessel nieder, wo allerdings ein ziemlicher Brocken niedergetretener, nasser Erde lag.

      »Was folgt daraus, daß die Erde hier am Kessel liegt, Señor Arbellez?« fragte er. – »Daß der Mann am Kessel gestanden hat«, antwortete der Haziendero. – »Richtig. Auch der Kork lag hier; er hat also hier das Fläschchen geöffnet. Aber wozu? Könnt Ihr Euch das vielleicht denken?« – »Oh, nicht im geringsten.« – »Nun, es sind hier nur zwei Fälle möglich. Erstens, ein fremder Mensch steigt mit einem winzigen, leeren Fläschchen in eine fremde Küche nächtlich ein, um sich am Kessel dasselbe mit Wasser zu füllen. Was sagt Ihr dazu?« – »Das wird niemand einfallen. Draußen fließt Wasser genug.« – »Gut und sehr richtig! Zweitens, ein fremder Kerl steigt während der Nacht heimlich mit einem vollen Fläschchen in eine fremde Küche ein, um dasselbe in den Kessel zu leeren oder auszuschütten! Was sagt Ihr dazu?« – »Bei Gott, das ist das wahrscheinlichere«, antwortete Arbellez. – »Oh, das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern wohl sicher.« – »Aber was mag er in dem Fläschchen gehabt haben?« – »Vielleicht erfahren wir es.« – »Und wozu hat er es in den Kessel ausgeschüttet?« – »Auch das werden wir sehen. Aber kann er etwa einen guten Zweck verfolgt haben?« – »Gewiß nicht.« – »Nun, ich habe das Wasser des Kessels bereits genau betrachtet. Señora Marie, ist etwas Fettiges gestern gekocht worden?« – »Nein«, antwortete die Gefragte. »In diesem Kessel wird nie eine Speise gekocht, er dient nur zur Erwärmung des Wassers, das wir anderweit brauchen. Und gestern ist er gar mit Sand ausgescheuert worden. Dann haben wir ihn mit gutem Quellwasser gefüllt. Das Wasser muß rein sein.« – »Kann es nicht ein wenig fettig sein?« – »Unmöglich.« – »Nun, an einigen Stellen des Randes haben sich Gruppen von winzigen, wasserhellen Fettaugen angesammelt. Die Señores Doktoren mögen näher treten, um sich dies zu betrachten.«

      Wilmann und Berthold waren zugegen. Sie traten daraufhin zum Kessel und unterwarfen die Fettaugen einer genauen Betrachtung.

      Sie schüttelten die Köpfe, tauschten leise ihre Ansicht aus, und dann fragte Berthold:

      »Ist nicht ein wertloser Hund oder eine Katze zu haben?« – »Alle Teufel! Gift?« rief Arbellez, der sogleich begriff, um was es sich handelte. »Holt die alte taube Hündin und zwei Kaninchen herbei.«

      Die verlangten Tiere wurden zur Stelle geschafft. Die beiden Ärzte ließen die Fettaugen des Wassers durch ein Stück Brot aufsaugen und gaben dies den Tieren zu fressen. Bereits nach zwei Minuten starben die beiden Kaninchen, ohne ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, und nach abermals zwei Minuten fiel auch der Hund ganz plötzlich um, gerade so, als ob er umgeworfen worden sei. Er streckte die alten Glieder und war tot, ohne den leisesten Laut des Schmerzes von sich gegeben zu haben.

      »Gift! Wirklich Gift!« rief es rundum. – »Ja«, meinte Doktor Berthold. »Aber dieses Gift ist mir unbekannt.« – »Mir auch«, fügte sein Kollege bei. – »Aber ich kenne es«, antwortete Gerard. »Es ist das Öl der fürchterlichen Pflanze, die von den Diggerindianern Klama-bale genannt wird, das


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