Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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den Er­trag ih­rer Ar­beit in die ge­mein­sa­me Spar­büch­se, denn sie teil­ten Bi­rot­te­aus edle Grund­sät­ze. Bei­de ent­sag­ten ih­rer Stel­lung, um eine nied­ri­ge­re an­zu­neh­men. Sol­che Op­fer, mei­ne Her­ren Rich­ter, ver­die­nen laut ge­rühmt zu wer­den, denn sie sind am schwers­ten von al­len zu brin­gen. Fol­gen­de Auf­ga­be hat­te sich Bi­rot­teau ge­stellt.«

      Der Ge­ne­ral­staats­an­walt ver­las nun die Kon­kur­sta­bel­le und be­nann­te die noch ge­schul­de­ten Be­trä­ge und die Na­men der Gläu­bi­ger.

      »Ein je­der die­ser Schuld­be­trä­ge ist be­zahlt wor­den und zwar mit Zin­sen, mei­ne Her­ren Rich­ter, und nicht etwa ge­gen ein­fa­che Quit­tun­gen, die eine stren­ge Nach­prü­fung er­for­dern, son­dern ge­gen au­then­ti­sche Quit­tun­gen, die der ge­wis­sen­haf­tes­ten rich­ter­li­chen Prü­fung stand­hal­ten, und die amt­lich in der ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen Form als rich­tig be­fun­den wor­den sind. Sie wer­den Bi­rot­teau nicht sei­ne Ehre, aber die Rech­te, de­ren er sich be­raubt sah, wie­der zu­spre­chen und Sie wer­den da­mit ein ge­rech­tes Ur­teil fäl­len. Ein sol­cher Fall un­ter­liegt so sel­ten Ih­rer Prü­fung, daß wir nicht un­ter­las­sen kön­nen, dem An­trag­stel­ler aus­zu­spre­chen, wie freu­dig wir ein sol­ches Ver­hal­ten be­grü­ßen, das schon durch al­ler­höchs­te Gunst er­mu­tigt wor­den ist.« Dann stell­te er sei­ne for­mel­len An­trä­ge im üb­li­chen Ge­richts­s­til.

      Der Ge­richts­hof faß­te sei­nen Be­schluß, ohne sich zur Be­ra­tung zu­rück­zu­zie­hen, und der Prä­si­dent er­hob sich, um das Ur­teil zu ver­kün­den. »Der Ge­richts­hof«, sag­te er zum Schlus­se, »hat mich be­auf­tragt, Bi­rot­teau sei­ne Ge­nug­tu­ung dar­über aus­zu­spre­chen, daß er ein sol­ches Ur­teil fäl­len konn­te. Ge­richts­die­ner, die nächs­te Sa­che.«

      Bi­rot­teau, den die Re­de­wen­dun­gen des be­rühm­ten Ge­ne­ral­staats­an­walts wie mit ei­nem Ehren­klei­de um­hüllt hat­ten, war vor Freu­de wie zer­bro­chen, als er den fei­er­li­chen Ur­teilss­pruch aus dem Mun­de des ers­ten Prä­si­den­ten des höchs­ten fran­zö­si­schen Ge­richts­ho­fes ver­nahm, der zeig­te, daß auch die un­er­schüt­ter­li­che Recht­spre­chung ein mensch­li­ches Emp­fin­den kann­te. Er ver­moch­te sei­nen Platz an den Schran­ken nicht zu ver­las­sen, er stand wie an­ge­na­gelt da und starr­te be­we­gungs­los die Rich­ter an, als sei­en es En­gel, die ihm die Tore zu der mensch­li­chen Ge­sell­schaft wie­der ge­öff­net hat­ten; der On­kel nahm ihn beim Arm und zog ihn mit sich fort in die Vor­hal­le. Jetzt steck­te sich Cäsar, der der Wei­sung Lud­wigs XVIII. nicht Fol­ge ge­leis­tet hat­te, me­cha­nisch das Band der Ehren­le­gi­on ins Knopf­loch und wur­de so­gleich von sei­nen Freun­den um­ringt und im Tri­umph in den Wa­gen ge­tra­gen.

      »Wo­hin wollt ihr mich denn brin­gen, lie­be Freun­de?« sag­te er zu Jo­seph Le­bas, Pil­ler­ault und Ra­gon.

      »Nach Hau­se.«

      »Nein, es ist drei Uhr, ich will von mei­nen Rech­ten wie­der Ge­brauch ma­chen und zur Bör­se ge­hen.«

      »Zur Bör­se«, rief Pil­ler­ault dem Kut­scher zu und gab Le­bas einen deut­li­chen Wink, denn er hat­te bei dem Re­ha­bi­li­tier­ten be­un­ru­hi­gen­de Sym­pto­me wahr­ge­nom­men und fürch­te­te, daß er von Sin­nen kom­men könn­te.

      Der ehe­ma­li­ge Par­füm­händ­ler be­trat nun den Bör­sen­saal am Arme sei­nes On­kels und Le­bas’, der bei­den an­ge­se­he­nen Kauf­leu­te. Sei­ne Re­ha­bi­li­tie­rung war schon be­kannt ge­wor­den. Die ers­te Per­son, die die drei Kauf­leu­te, de­nen Ra­gon folg­te, be­merk­te, war du Til­let.

      »Ah, mein ver­ehr­ter Prin­zi­pal, ich bin ent­zückt, zu se­hen, daß Sie sich her­aus­ge­zo­gen ha­ben. Und ich habe wohl durch die Be­reit­wil­lig­keit, mit der ich mich von dem klei­nen Po­pi­not habe rup­fen las­sen, zu die­sem er­freu­li­chen Ende Ih­rer Sor­gen bei­ge­tra­gen. Ich freue mich über die­se glück­li­che Lö­sung eben­so, als ob sie mich selbst be­trä­fe.«

      »Das kann auch nicht gut an­ders sein,« sag­te Pil­ler­ault, »Ih­nen wäre so et­was nie pas­siert.«

      »Wie soll ich das ver­ste­hen, Herr Pil­ler­ault?« frag­te du Til­let.

      »Im gu­ten Sin­ne«, sag­te Le­bas und lä­chel­te über die ver­gel­ten­de Bos­heit Pil­ler­aults, der, ohne et­was Nä­he­res zu wis­sen, die­sen Men­schen für einen Bö­se­wicht hielt.

      Jetzt be­merk­te Ma­ti­fat Cäsar. So­gleich um­ring­ten die nam­haf­tes­ten Kauf­leu­te den frü­he­ren Par­füm­händ­ler und die Bör­se brach­te ihm eine Ova­ti­on dar; er emp­fing die schmei­chel­haf­tes­ten Glück­wün­sche und Hän­de­drücke, die viel Neid er­reg­ten und auch bei man­chem Ge­wis­sens­bis­se er­weck­ten, denn von hun­dert An­we­sen­den hat­ten mehr als fünf­zig schon ein­mal li­qui­diert. Gi­gon­net und Gob­seck, die sich in ei­ner Ecke un­ter­hiel­ten, be­trach­te­ten den tu­gend­haf­ten Par­füm­händ­ler mit Au­gen, wie Phy­si­ker den ers­ten elek­tri­schen Zit­ter­aal, der ih­nen ge­bracht wur­de, be­trach­tet ha­ben müs­sen. Die­ser Fisch, der mit Elek­tri­zi­tät wie eine Ley­de­ner Fla­sche ge­la­den ist, wird als die merk­wür­digs­te Er­schei­nung des Tier­reichs an­ge­se­hen. Nach­dem er den Weih­rauch sei­nes Tri­um­phes ge­nü­gend aus­ge­kos­tet hat­te, stieg Cäsar wie­der in den Wa­gen, um in sein Haus zu­rück­zu­keh­ren, wo der Ehe­ver­trag sei­ner ge­lieb­ten Cäsa­ri­ne und des ge­treu­en Po­pi­not un­ter­zeich­net wer­den soll­te. Ein ner­vö­ses La­chen, das ihn be­fal­len hat­te, be­un­ru­hig­te sei­ne drei al­ten Freun­de. Es ist ein Feh­ler der Ju­gend, zu glau­ben, je­der­mann er­freue sich der­sel­ben Kraft wie sie, ein Feh­ler, der aber aus ih­ren Vor­zü­gen ent­springt; statt Men­schen und Din­ge durch eine schar­fe Bril­le zu se­hen, sieht sie sie, un­ter dem Re­flex ih­rer ei­ge­nen Glut, ro­sig ge­färbt, und möch­te ihre über­schäu­men­de Le­bens­lust auch den al­ten Leu­ten mit­tei­len. Wie Cäsar und Kon­stan­ze, so hat­te auch Po­pi­not das präch­ti­ge Bild des von Bi­rot­teau ge­ge­be­nen Bal­les in sei­nem Ge­dächt­nis be­wahrt. Wäh­rend ih­rer drei Prü­fungs­jah­re hat­ten Kon­stan­ze und Cäsar, ohne es sich zu ge­ste­hen, Col­li­nets Or­che­s­ter­mu­sik oft in den Ohren ge­habt, sie hat­ten die glän­zen­de Ge­sell­schaft wie­der vor sich ge­se­hen und das so grau­sam be­straf­te freu­di­ge Ge­fühl emp­fun­den, eben­so wie Adam und Eva zu­wei­len an die ver­bo­te­ne Frucht zu­rück­den­ken muß­ten, die ih­rer gan­zen Nach­kom­men­schaft den Tod und das Le­ben ge­bracht hat, denn die Neu­er­schaf­fung von En­geln scheint ein gött­li­ches Ge­heim­nis zu sein. Aber Po­pi­not konn­te an die­ses Fest ohne Ge­wis­sens­bis­se und mit Ent­zücken zu­rück­den­ken; Cäsa­ri­ne hat­te sich da­mals in all ih­rem Glan­ze ihm, dem ar­men Jun­gen, zu­ge­sagt. An die­sem Abend hat­te er die Ge­wiß­heit er­langt, um sei­ner selbst wil­len ge­liebt zu wer­den! Als er da­her die von Grin­dot ein­ge­rich­te­te Woh­nung für Cöles­tin er­wor­ben hat­te mit der Be­din­gung, daß al­les dar­in un­be­rührt blei­ben müs­se, als er auch die ge­rings­te Klei­nig­keit, die Cäsar und Kon­stan­ze ge­hört hat­te, wie ein Hei­lig­tum auf­be­wahr­te, hat­te er im­mer da­von ge­träumt, auch sei­nen Ball zu ge­ben, ein Hoch­zeits­ball­fest. Er hat­te die­ses Fest mit Lie­be vor­be­rei­tet, aber da­bei sei­nen Prin­zi­pal nur in den not­wen­di­gen, nicht in sei­nen un­sin­ni­gen Aus­ga­ben nach­ge­ahmt; die un­sin­ni­gen


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