Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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in ei­nem ganz an­de­ren, ganz neu­en Licht. Die Ord­nung der Din­ge, die ich frü­her als Un­glück be­trach­te­te, hat viel­leicht die schö­nen Fä­hig­kei­ten ge­zei­tigt, auf die ich spä­ter so stolz war. Wa­ren es nicht die phi­lo­so­phi­sche Neu­gier, das rast­lo­se Ar­bei­ten, die Lie­be zum Le­ben, die von mei­nem sie­ben­ten Jah­re an bis zu mei­nem Ein­tritt in die Ge­sell­schaft mein Le­ben be­stän­dig er­füll­ten, wel­che mich je­ner Leich­tig­keit fä­hig ge­macht ha­ben, mit der ich, wenn man euch glau­ben darf, mei­ne Ide­en aus­zu­drücken und auf dem wei­ten Feld mensch­li­chen Wis­sens vor­an­zu­schrei­ten ver­mag? Wa­ren es nicht die Ver­las­sen­heit, zu der ich ver­ur­teilt war, die Ge­wohn­heit, mei­ne Ge­füh­le zu un­ter­drücken und ein­sam in mei­nem Her­zen zu le­ben, die mir die Gabe ver­lie­hen, zu ver­glei­chen und in tie­fes Nach­den­ken zu ver­sin­ken? Hat sich mein Emp­fin­dungs­ver­mö­gen nicht ge­ra­de da­durch, daß es sich nicht im Diens­te mon­dä­ner Rei­ze ver­lor, wel­che die schöns­te See­le er­nied­ri­gen und sie her­un­ter­brin­gen, bis nur mehr Plun­der von ihr bleibt, im stil­len sam­meln kön­nen, um das vollen­de­te Werk­zeug ei­nes Wil­lens zu wer­den, hö­her als dem der Lei­den­schaft? Da die Frau­en mich ver­kann­ten, habe ich sie – ich er­in­ne­re mich wohl – mit dem schar­fen Blick der ver­schmäh­ten Lie­be aufs Korn ge­nom­men. Jetzt sehe ich wohl ein, daß mein auf­rich­ti­ger Cha­rak­ter ih­nen miß­fal­len muß­te! Ob die Frau­en nicht ein biß­chen Heu­che­lei wol­len? Muß­ten sie nicht bei ei­nem wie mir, der zur sel­ben Stun­de mal Mann, mal Kind, mal Flat­ter­geist, mal Den­ker, ohne Vor­ur­tei­le und vol­ler Aber­glau­ben und zu al­le­dem oft Weib wie sie ist – muß­ten sie da nicht Nai­vi­tät für Zy­nis­mus und so­gar die Lau­ter­keit der Ge­dan­ken für Fri­vo­li­tät hal­ten? Wis­sen­schaft be­deu­te­te ih­nen Lan­ge­wei­le, weib­li­ches Schmach­ten Schwä­che. Die über­schweng­li­che Be­weg­lich­keit mei­ner Phan­ta­sie, das Un­glück der Dich­ter, mach­te mich in ih­ren Au­gen un­be­strit­ten zu ei­nem, der zur Lie­be un­fä­hig, des­sen Sinn un­be­stän­dig, der bar je­der Ener­gie ist. Schwieg ich, hielt man mich für blöd, streng­te ich mich an, ih­nen zu ge­fal­len, er­schreck­te ich sie wahr­schein­lich, und so ha­ben die Frau­en mich ver­dammt. Ich habe das Ur­teil der Welt in Trä­nen und Kum­mer hin­ge­nom­men. Die­se Qual trug Früch­te. Ich woll­te mich an der Ge­sell­schaft rä­chen, woll­te die See­le al­ler Frau­en be­sit­zen, in­dem ich mir die Köp­fe un­ter­warf, woll­te al­ler Au­gen auf mich ge­rich­tet se­hen, wenn ein Die­ner an der Tür ir­gend­ei­nes Sa­lons mei­nen Na­men mel­de­te. Ich be­schloß, ein großer Mann zu wer­den. Schon als Kind hat­te ich an mei­ne Stirn ge­klopft und wie An­dré de Ché­nier6 zu mir ge­sagt: Da­hin­ter steckt et­was! Ich spür­te, es leb­te in mir ein Ge­dan­ke, der nach Aus­druck rang, ein Sys­tem, das auf­ge­stellt, das kund­ge­tan wer­den woll­te. Ach, mein lie­ber Émi­le, heu­te, da ich kaum sechs­und­zwan­zig Jah­re alt und ge­wiß bin, un­be­kannt in den Tod zu ge­hen, ohne daß ich je die Frau um­fan­gen habe, die zu be­sit­zen ich träum­te; laß mich dir all mei­ne Tor­hei­ten er­zäh­len! Ha­ben wir nicht alle mehr oder we­ni­ger un­se­re Wün­sche für Wirk­lich­kei­ten ge­hal­ten? Wahr­haf­tig, ich möch­te kei­nen Jüng­ling zum Freund, der sich nicht in sei­nen Träu­men Krän­ze ge­floch­ten, ein Posta­ment er­baut oder will­fäh­ri­ge Ge­lieb­te be­ses­sen hät­te. Ich war oft Ge­ne­ral, Kai­ser; ich war By­ron und dann wie­der nichts. Und nach­dem ich mich spie­le­risch über alle mensch­li­chen Din­ge er­ho­ben hat­te, muß­te ich ge­wah­ren, daß alle Ber­ge und alle Schwie­rig­kei­ten noch zu über­win­den blie­ben. Die maß­lo­se Ei­gen­lie­be, die in mir gär­te, der un­be­irr­ba­re Glau­be an ein Schick­sal, der den Men­schen völ­lig durch­drin­gen kann, wenn er durch die Berüh­rung mit Ge­schäf­ten sei­ne See­le nicht so leicht zer­fet­zen läßt wie das Schaf sei­ne Wol­le im Dorn­ge­büsch, durch das es streift, das al­les hat mich ge­ret­tet. Ich woll­te mich mit Ruhm be­de­cken und in al­ler Stil­le für die Ge­lieb­te ar­bei­ten, die ich ei­nes Ta­ges zu er­rin­gen hoff­te. Alle Frau­en ver­schmol­zen sich mir zu ei­ner ein­zi­gen, und die­ses Ide­al­ge­schöpf glaub­te ich in der erst­bes­ten zu fin­den, die mir un­ter die Au­gen kam. Da ich aber in je­der von ih­nen eine Kö­ni­gin er­blick­te, muß­ten sie mir ar­mem, ge­pei­nig­tem, schüch­ter­nen Tropf eben ent­ge­gen­kom­men, wie Kö­ni­gin­nen ih­ren Lieb­ha­bern ein ers­tes ver­hei­ßungs­vol­les Zei­chen ge­ben müs­sen.

      Ach, je­ner einen, die Mit­ge­fühl mit mir emp­fun­den, hät­te ich ne­ben der Lie­be ein so dank­er­füll­tes Herz dar­ge­bracht, daß ich sie ihr gan­zes Le­ben lang an­ge­be­tet hät­te. Spä­ter lehr­ten mich mei­ne Beo­b­ach­tun­gen grau­sa­me Wahr­hei­ten. Sol­cher­art, lie­ber Émi­le, lief ich Ge­fahr, ewig al­lein zu blei­ben. Ir­gend­ei­ner Geis­tes­nei­gung fol­gend, se­hen die Frau­en an ei­nem Mann von Ta­lent nur sei­ne Feh­ler und an ei­nem Dumm­kopf nur sei­ne gu­ten Ei­gen­schaf­ten; sie emp­fin­den große Sym­pa­thie für die Vor­zü­ge ei­nes Hohl­kopfs, weil sie ih­ren ei­ge­nen Feh­lern un­auf­hör­lich schmei­cheln, wäh­rend der be­deu­ten­de Mann ih­nen nicht so viel Be­frie­di­gung ge­währt, daß da­durch sei­ne Un­voll­kom­men­heit auf­ge­wo­gen wäre. Das Ta­lent ist ein Wech­sel­fie­ber, und kei­ne Frau hat Lust, nur des­sen Miß­hel­lig­kei­ten zu tei­len; alle er­war­ten sie von ih­ren Lieb­ha­bern, daß die­se ih­rer Ei­tel­keit hul­di­gen. Was lie­ben sie in uns? Le­dig­lich sich sel­ber noch ein­mal! Hüllt sich aber ein ar­mer stol­zer, mit schöp­fe­ri­scher Kraft be­gab­ter Künst­ler nicht in einen ver­let­zen­den Ego­is­mus? Ihn um­gibt ein ei­gen­ar­ti­ger Wir­bel von Ide­en, in den er al­les, selbst sei­ne Ge­lieb­te hin­ein­zieht, die de­ren Be­we­gung fol­gen muß. Kann eine um­wor­be­ne, um­schmei­chel­te Frau an die Lie­be ei­nes sol­chen Man­nes glau­ben? Kann sie eine sol­che Lie­be su­chen? Ein sol­cher Lieb­ha­ber hat nicht die Muße, sich vor ei­nem Di­wan all den äf­fi­schen Sen­ti­men­ta­li­tä­ten zu über­las­sen, auf die die Frau­en so großen Wert le­gen und die ge­ra­de die falschen und herz­lo­sen Män­ner bei­spiel­los be­herr­schen. Er hat für sei­ne Ar­beit nicht Zeit ge­nug, wie soll­te er sie da­mit ver­geu­den, sich zu er­nied­ri­gen und den Ge­cken zu spie­len? Ich war be­reit, mein Le­ben auf ein­mal hin­zu­ge­ben, nie aber stück­wei­se weg­zu­wer­fen. Au­ßer­dem liegt in dem dienst­eif­ri­gen Ge­ba­ren ei­nes Wech­sel­mak­lers, der für so eine blas­se Zier­pup­pe den Lauf­bur­schen spielt, et­was der­art Er­bärm­li­ches, daß es dem Künst­ler ein Greu­el ist. Die ab­strak­te Lie­be ge­nügt ei­nem ar­men großen Mann nicht, er ver­langt alle Hin­ga­be. Die see­len­lo­sen Ge­schöp­fe, die ihr Le­ben da­mit ver­brin­gen, Kasch­mir­schals zu pro­bie­ren oder Klei­der­stän­der der Mode zu spie­len, sind kei­ner Hin­ga­be fä­hig, für sie ist die Lie­be al­lein das Ver­gnü­gen zu be­feh­len, nicht das, zu ge­hor­chen. Die wah­re Gat­tin, die es mit See­le und Leib und ih­rem gan­zen We­sen ist, folgt je­nem wil­lig, in dem ihr Le­ben, ihre Kraft, ihr Ruhm und ihr Glück be­schlos­sen liegt. Gro­ße Män­ner brau­chen ori­en­ta­li­sche Frau­en, die kei­nen an­de­ren Ge­dan­ken ken­nen, als de­ren Be­dürf­nis­se zu er­kun­den; denn ihr Un­glück ist das Miß­ver­hält­nis zwi­schen ih­ren Wün­schen und ih­ren Mit­teln. Und ich, der ich mich für ein Ge­nie hielt, muß­te aus­ge­rech­net sol­che Mo­de­däm­chen lie­ben! Ich heg­te Ge­dan­ken, die al­len über­lie­fer­ten wi­der­spra­chen; war fes­ten Wil­lens, den Him­mel ohne Lei­ter zu stür­men; ich be­saß Schät­ze, die kei­nen Kurs­wert hat­ten; ich war mit Kennt­nis­sen voll­ge­stopft, die mein Ge­dächt­nis be­las­te­ten, weil sie noch


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