Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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eine den Ge­set­zen der Na­tur so wi­der­spre­chen­de Ent­schei­dung er­ör­tern kann. Im Ver­gleich zu an­de­ren Ver­tre­te­rin­nen Ihres Ge­schlechts sind Sie ein Phä­no­men. Nun denn, su­chen wir ein­mal ge­mein­sam un­vor­ein­ge­nom­men die Ur­sa­che die­ser psy­cho­lo­gi­schen Anoma­lie. Lebt in Ih­nen, wie in vie­len Frau­en, die auf sich stolz und in ihre Voll­kom­men­heit ver­liebt sind, ein Ge­fühl von raf­fi­nier­tem Ego­is­mus, das Ihren Ab­scheu er­regt bei dem Ge­dan­ken, ei­nem Man­ne an­zu­ge­hö­ren, sich Ihres Wil­lens zu ent­äu­ßern und ei­ner kon­ven­tio­nel­len Über­le­gen­heit, die Sie ver­letzt, un­ter­wor­fen zu wer­den? Mir wür­den Sie tau­send­mal schö­ner er­schei­nen! Oder wur­den Sie von ei­ner ers­ten Lie­be schnö­de ent­täuscht? Vi­el­leicht läßt Sie der Wert, den Sie der Ele­ganz Ih­rer Tail­le, Ih­rer ent­zücken­den Büs­te bei­le­gen, die Verun­stal­tun­gen der Mut­ter­schaft be­fürch­ten: wäre dies am Ende ei­ner Ih­rer stärks­ten ge­hei­men Grün­de, daß Sie es ab­leh­nen, zu sehr ge­liebt zu wer­den? Oder ha­ben Sie Un­voll­kom­men­hei­ten zu ver­ber­gen, die Sie ge­gen Ihren Wil­len tu­gend­haft ma­chen? Wer­den Sie nicht böse, ich er­ör­te­re nur das Pro­blem, ich stu­die­re, ich bin tau­send Mei­len von der Lei­den­schaft ent­fernt. Die Na­tur, die Blin­de zur Welt kom­men läßt, kann eben­so­gut Frau­en her­vor­brin­gen, die in der Lie­be stumm, taub und blind sind. Wahr­haf­tig, Sie sind ein kost­ba­res Ob­jekt für die me­di­zi­ni­sche For­schung! Sie wis­sen gar nicht, was Sie wert sind. Ihr Ekel vor den Män­nern mag im üb­ri­gen höchst be­rech­tigt sein; ich pflich­te Ih­nen bei, sie er­schei­nen mir alle sehr häß­lich und un­an­ge­nehm. Sie ha­ben recht«, schloß ich, da ich fühl­te, daß mir das Herz schwoll.

      »Sie müs­sen uns ver­ach­ten. Es gibt kei­nen Mann, der Ih­rer wür­dig wäre!« Ich wer­de dir nicht alle sar­kas­ti­schen Re­den wie­der­ho­len, die ich ihr la­chend her­be­te­te. In­des­sen, das ät­zends­te Wort, die bei­ßends­te Iro­nie ent­lock­ten ihr we­der eine Be­we­gung noch eine Ge­bär­de des Un­wil­lens. Sie hör­te mir mit ih­rem ge­wohn­ten Lä­cheln auf den Lip­pen und in den Au­gen zu, die­sem Lä­cheln, das sie an­leg­te wie ein Klei­dungs­stück und das für ihre Freun­de, ihre flüch­ti­gen Be­kann­ten und Frem­de stets und stän­dig das glei­che war. – »Ist es nicht sehr gut­mü­tig von mir, mich von Ih­nen hier se­zie­ren zu las­sen?« sag­te sie, einen Au­gen­blick nut­zend, in dem ich sie schwei­gend an­sah. »Sie se­hen«, fuhr sie la­chend fort, »ich habe kei­ne dum­men Emp­find­lich­kei­ten in der Freund­schaft. Vie­le Frau­en wür­den Ihre Un­ver­schämt­heit stra­fen, in­dem sie Ih­nen die Tür wie­sen.« – »Sie kön­nen mich aus Ihrem Haus ver­ban­nen, ohne Re­chen­schaft für Ihre Stren­ge zu ge­ben.« Wäh­rend ich dies sag­te, fühl­te ich mich nahe dar­an, sie um­zu­brin­gen, wenn sie mir den Ab­schied ge­ben wür­de. – »Sie sind ver­rückt!« rief sie mit ei­nem Lä­cheln. – »Ha­ben Sie je­mals dar­an ge­dacht«, fing ich wie­der an, »wel­che Wir­kung eine hef­ti­ge Lie­be ha­ben könn­te? Oft hat ein Mann aus Verzweif­lung sei­ne Ge­lieb­te um­ge­bracht.« – »Bes­ser tot als un­glück­lich« er­wi­der­te sie kalt; »ein der­art lei­den­schaft­li­cher Mann wird ei­nes Ta­ges sei­ne Frau bet­tel­arm im Stich las­sen, nach­dem er ihr Ver­mö­gen durch­ge­bracht hat.« Die­se Arith­me­tik mach­te mich sprach­los. Ein Ab­grund tat sich zwi­schen mir und die­ser Frau auf. Wir wür­den uns nie­mals ver­ste­hen kön­nen. »Adieu« sag­te ich kühl. – »Adieu!« ant­wor­te­te sie mit ei­nem freund­schaft­li­chen Ni­cken. »Auf mor­gen!« Ich sah sie mit ei­nem Blick an, der ihr die gan­ze Lie­be, der ich ent­sag­te, vor sie hin schleu­der­te. Sie stand da und zeig­te mir ihr ba­na­les Lä­cheln, das ab­scheu­li­che Lä­cheln ei­ner Mar­mor­sta­tue, das Lie­be aus­zu­drücken scheint und emp­fin­dungs­los ist. Kannst du dir vor­stel­len, mein Lie­ber, wel­che Qua­len in mir wü­te­ten, als ich in Schnee und Re­gen über die eis­glat­ten Quais eine Mei­le Wegs nach Hau­se ging, nach­dem ich al­les ver­lo­ren hat­te? Oh! zu wis­sen, daß sie an mein Elend nicht ein­mal dach­te und mich reich wähn­te wie sich und in ei­nem weich ge­pols­ter­ten Wa­gen sit­zend! – Wie vie­le Trüm­mer, wie vie­le Ent­täu­schun­gen! Nicht um Geld han­del­te es sich mehr, son­dern um alle Gü­ter mei­ner See­le. Ich schritt aufs Ge­ra­te­wohl da­hin, in­dem ich die Re­den die­ser selt­sa­men Un­ter­hal­tung hin und her dreh­te und mich so sehr in mei­nen Aus­le­gun­gen ver­wi­ckel­te, daß ich schließ­lich an der wört­li­chen Be­deu­tung der Wor­te und Be­grif­fe zwei­fel­te. Und ich lieb­te noch im­mer, lieb­te die­se kal­te Frau, de­ren Herz in je­dem Au­gen­blick neu er­obert wer­den woll­te, die an je­dem Tage die Ver­spre­chun­gen des vo­ri­gen Ta­ges aus­lösch­te und sich am nächs­ten Tag wie eine neue Ge­lieb­te zeig­te. Als ich an den Por­ta­len des In­sti­tuts vor­bei­kam, be­fiel mich ein fie­bri­ges Schau­ern. Es fiel mir ein, daß ich noch nichts ge­ges­sen hat­te. Ich be­saß kei­nen Hel­ler. Um mein Un­glück voll­zu­ma­chen, brach­te der Re­gen mei­nen Hut aus der Fas­son. Wie soll­te ich je­mals ohne einen brauch­ba­ren Hut vor eine ele­gan­te Frau hin­tre­ten und mich in ei­nem Sa­lon prä­sen­tie­ren! Längst ver­fluch­te ich die dum­me al­ber­ne Mode, die uns ver­dammt, durch be­stän­di­ges In-der-Hand-Hal­ten des Hu­tes das Hut­fut­ter den Bli­cken preis­zu­ge­ben; doch war es mir bis­her durch äu­ßers­te Sorg­falt ge­lun­gen, den mei­nen in ei­nem er­träg­li­chen Zu­stand zu er­hal­ten. Ohne daß er auf­fal­lend neu oder ab­ge­nutzt alt, sehr sei­dig oder ganz ohne al­len Glanz ge­we­sen wäre, konn­te er für den Hut ei­nes sorg­fäl­tig ge­klei­de­ten Men­schen gel­ten; aber sei­ne künst­li­che Exis­tenz lang­te nun bei ih­rer letz­ten Pe­ri­ode an; er war ver­bo­gen, zer­beult, fer­tig, ein wah­rer Lum­pen, wür­di­ger Re­prä­sen­tant sei­nes Herrn. We­gen feh­len­der 30 Sous ging ich mei­ner müh­sa­men Ele­ganz ver­lus­tig. Oh! Wie vie­le Op­fer hat­te ich Fœ­do­ra seit drei Mo­na­ten ge­bracht, von de­nen sie nichts wuß­te! Oft gab ich das Geld für eine Wo­che Brot da­hin, um sie einen Au­gen­blick zu se­hen. Mei­ne Ar­beit lie­gen­las­sen und hun­gern, das war nichts! – aber durch die Stra­ßen von Pa­ris ei­len, ohne sich be­sprit­zen zu las­sen, ren­nen, um nicht in den Re­gen zu kom­men, in eben­so ta­del­lo­ser Klei­dung vor ihr zu er­schei­nen wie die Stut­zer, die sie um­ga­ben –, ja, die­se Auf­ga­be barg für einen ver­lieb­ten und zer­streu­ten Poe­ten un­zäh­li­ge Schwie­rig­kei­ten! Mein Glück, mei­ne Lie­be hing von ei­nem Sprit­zer­chen Stra­ßen­schmutz auf mei­ner ein­zi­gen wei­ßen Wes­te ab! Da­rauf ver­zich­ten zu müs­sen, sie zu se­hen, wenn ich schmut­zig oder naß wur­de! Nicht fünf Sous zu be­sit­zen, um von ei­nem Stie­fel­put­zer die Kotsprit­zer auf mei­nen Stie­feln ent­fer­nen zu las­sen! Und trotz al­ler die­ser klei­nen un­be­kann­ten Mar­tern, die für einen reiz­ba­ren Men­schen un­ge­heu­er wa­ren, war mei­ne Lei­den­schaft ge­wach­sen. Die Un­glück­li­chen müs­sen Op­fer brin­gen, über die sie mit den Frau­en, die in ei­ner Sphä­re des Lu­xus und der Ele­ganz le­ben, nicht spre­chen dür­fen; jene se­hen die Welt durch ein Pris­ma, das Men­schen und Din­ge ver­gol­det. Op­ti­mis­tisch aus Ego­is­mus, grau­sam aus gu­tem Ton, schen­ken sich die­se Frau­en das Nach­den­ken um des Ge­nie­ßens wil­len und spre­chen sich von ih­rer Gleich­gül­tig­keit ge­gen das Un­glück da­mit frei, daß sie vom Ver­gnü­gen zu sehr in An­spruch ge­nom­men sind. Für sie ist ein Hel­ler eine Mil­li­on, die Mil­li­on scheint ih­nen ein Hel­ler. Wenn die Lie­be ihre Sa­che mit großen Op­fern ver­fech­ten muß, so muß sie die­se auch zart­füh­lend mit ei­nem Schlei­er ver­hül­len, sie im Still­schwei­gen be­gra­ben. Den rei­chen Män­nern aber kom­men, wenn sie sich auf­op­fern und ihr Ver­mö­gen und ihr Le­ben


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