Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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habe nie von ihr spre­chen hö­ren …‹

      ›Du bist ein Kaf­fer, er­wi­der­te Ras­ti­gnac la­chend. ›Du kennst Fœ­do­ra nicht? Eine gute Par­tie mit etwa 80 000 Li­vres Ren­te, die kei­nen will oder die kei­ner will. Eine rät­sel­haf­te Frau, eine Pa­ri­se­rin, die zur Hälf­te Rus­sin, oder eine Rus­sin, die zur Hälf­te Pa­ri­se­rin ist! Eine Frau, bei der alle ro­man­ti­schen Pro­duk­tio­nen ver­legt wer­den, die nicht öf­fent­lich er­schei­nen, die schöns­te, gra­zi­öses­te Frau von Pa­ris! Du bist nicht ein­mal ein Kaf­fer, du bist das Zwi­schen­glied zwi­schen Kaf­fer und Vieh. Also adieu, auf mor­gen …‹

      Er dreh­te sich auf dem Ab­satz her­um und ging, ohne mei­ne Ant­wort ab­zu­war­ten, da er es nicht für mög­lich hielt, daß ein ver­nunft­be­gab­ter Mensch es ab­leh­nen kön­ne, Fœ­do­ra vor­ge­stellt zu wer­den. Wie soll man das Be­stri­cken­de ei­nes Na­mens er­klä­ren! FŒDORA ver­folg­te mich wie ein bö­ser Ge­dan­ke, mit dem man sich ab­zu­fin­den sucht. Eine Stim­me sag­te mir: ›Du wirst zu Fœ­do­ra ge­hen!‹

      Ich konn­te ge­gen die­se Stim­me an­ge­hen, so­viel ich woll­te, und ihr zu­ru­fen, daß sie lüge; sie mach­te all mei­ne Ein­wän­de zu­nich­te mit dem Na­men: Fœ­do­ra. Aber war die­ser Name, die­se Frau nicht das Sym­bol all mei­ner Sehn­sucht und der In­halt mei­nes Le­bens? Der Name er­weck­te die künst­li­che Poe­sie der großen Welt, ließ die Fes­te des ari­sto­kra­ti­schen Pa­ris und den Flit­ter­tand der Ei­tel­keit vor mir er­glän­zen. Die Frau er­stand vor mir mit al­len Rät­seln der Lei­den­schaft, die mir den Kopf ver­dreht hat­ten. Vi­el­leicht wa­ren es we­der die Frau noch der Name, son­dern alle mei­ne Las­ter, die in mei­ner See­le auf­er­stan­den, um mich aufs neue zu ver­su­chen. War die Com­tes­se Fœ­do­ra, die reich und ohne Lieb­ha­ber, den Ver­füh­run­gen von Pa­ris wi­der­stand, nicht die In­kar­na­ti­on mei­ner Hoff­nun­gen, mei­ner Vi­sio­nen? Ich schuf mir eine sol­che Frau, lieh ihr in mei­nen Ge­dan­ken Ge­stalt, träum­te von ihr. In der Nacht schlief ich nicht, ich wur­de ihr Ge­lieb­ter; in ein paar Stun­den preß­te ich ein gan­zes Le­ben, ein Le­ben der Lie­be, und ge­noß sei­ne tie­fen, zeh­ren­den Won­nen. Am nächs­ten Mor­gen, da ich die Qual, den Abend zu er­war­ten, nicht zu er­tra­gen ver­moch­te, lieh ich mir einen Ro­man aus und ver­brach­te den Tag mit Le­sen, in­dem ich es mir auf die­se Wei­se un­mög­lich mach­te, zu den­ken und die Zeit zu mes­sen. Wäh­rend ich las, klang der Name Fœ­do­ra in mir wie ein Ton aus der Fer­ne, nicht stö­rend, aber hör­bar. Glück­li­cher­wei­se be­saß ich noch einen recht an­stän­di­gen Frack und eine wei­ße Wes­te; von mei­nem gan­zen Ver­mö­gen blie­ben mir noch un­ge­fähr 30 Fran­cs, die ich über­all in mei­nen Sa­chen und mei­nen Schub­la­den ver­streut hat­te, um zwi­schen ei­nem 100-Sous-Stück und den Ein­ge­bun­gen mei­nes Ver­lan­gens die dor­nen­vol­le Sper­re ei­ner Durch­stö­be­rung und Um­se­ge­lung mei­nes Zim­mers zu er­rich­ten. Vor dem An­klei­den durch­wühl­te ich einen Ozean von Pa­pier nach mei­nem Schatz. Bei der Höhe mei­nes Bar­be­stan­des wirst du dir vor­stel­len kön­nen, wel­che Reich­tü­mer mei­ne Hand­schu­he und ein Wa­gen ver­schlan­gen; das Brot für einen gan­zen Mo­nat ging drauf. Es fehlt uns eben lei­der nie an Geld für un­se­re Lau­nen. Wir mark­ten nur um den Preis für nütz­li­che oder not­wen­di­ge Din­ge. Wir wer­fen das Gold leich­ten Her­zens an Tän­ze­rin­nen weg und feil­schen mit ei­nem Ar­bei­ter, des­sen hun­gern­de Fa­mi­lie auf die Be­zah­lung ei­ner Rech­nung war­tet. Wie vie­le Leu­te tra­gen einen Rock für 100 Fran­cs, einen Dia­man­ten im Knauf ih­res Spa­zier­stocks und ge­hen für 25 Sous es­sen! Es scheint, daß wir die Freu­den der Ei­tel­keit nie teu­er ge­nug be­zah­len. Ras­ti­gnac er­schi­en pünkt­lich am ver­ein­bar­ten Treff­punkt, lä­chel­te über mei­ne Me­ta­mor­pho­se und be­spöt­tel­te mich des­we­gen; doch auf dem Wege zur Com­tes­se gab er mir noch al­ler­lei gut­ge­mein­te Ratschlä­ge, wie ich mich ihr ge­gen­über zu be­neh­men hät­te; er schil­der­te sie mir gei­zig, ei­tel und miß­trau­isch; aber gei­zig mit Prunk, ei­tel mit Sch­licht­heit, miß­trau­isch mit Wohl­wol­len.

      Die­se Ne­cke­rei­en lie­ßen mich glau­ben, daß Ras­ti­gnac sich einen Scherz ma­chen und mei­ne Neu­gier­de an­sta­cheln woll­te, so daß, als wir vor ei­nem blu­men­ge­schmück­ten Säu­len­hof an­lang­ten, mei­ne im­pro­vi­sier­te Lei­den­schaft ih­ren Hö­he­punkt er­reicht hat­te. Als wir eine brei­te, mit Tep­pi­chen be­leg­te Trep­pe hin­auf­stie­gen, wo ich den aus­ge­such­tes­ten eng­li­schen Kom­fort be­merk­te, poch­te mein Herz; ich wur­de rot, ver­leug­ne­te mei­ne Ab­stam­mung, mei­ne Ge­füh­le, mei­nen Stolz, ich war ein lä­cher­li­cher Bour­geois. Gott ja, ich kam nach drei Jah­ren der Ar­mut aus ei­ner Dach­stu­be und ver­stand noch nicht, jene er­wor­be­nen Schät­ze über die Nich­tig­kei­ten des Le­bens zu stel­len, je­nes un­ge­heu­re geis­ti­ge Ka­pi­tal, das uns in dem Mo­ment reich macht, da uns die Macht in die Hän­de fällt, ohne daß sie uns zu Bo­den drückt, weil uns das Stu­di­um von vorn­her­ein auf die po­li­ti­schen Kämp­fe vor­be­rei­tet hat. Ich er­blick­te eine Frau von etwa zwei­und­zwan­zig Jah­ren, von mitt­ler­er Grö­ße, weiß ge­klei­det, von ei­nem Kreis von Her­ren um­ringt, in der Hand hielt sie einen Fä­cher aus Fe­dern. Als sie Ras­ti­gnac ein­tre­ten sah, er­hob sie sich, kam uns ent­ge­gen, lä­chel­te an­mu­tig und mach­te mir mit me­lo­di­scher Stim­me ein zwei­fel­los vor­be­rei­te­tes Kom­pli­ment. Un­ser Freund hat­te mich als einen Mann von Ta­lent an­ge­kün­digt, und sei­ne Ge­wandt­heit und gas­co­g­ni­sche Be­red­sam­keit be­rei­te­ten mir einen schmei­chel­haf­ten Empfang. Ich wur­de der Ge­gen­stand be­son­de­rer Auf­merk­sam­keit, die mich in Ver­le­gen­heit setz­te; doch glück­li­cher­wei­se hat­te Ras­ti­gnac von mei­ner Be­schei­den­heit ge­spro­chen. Ich traf dort Ge­lehr­te, Li­te­ra­ten, ehe­ma­li­ge Mi­nis­ter, Pairs von Frank­reich. Die Un­ter­hal­tung nahm kurz nach mei­ner An­kunft wie­der ih­ren Lauf, und da ich fühl­te, daß ich einen Ruf zu wah­ren hat­te, nahm ich mich zu­sam­men. Wenn ich an­ge­spro­chen wur­de, war ich be­müht, ohne mei­ne


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