Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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zu wär­men, einen Fuß auf die Bron­ze­stan­ge des Ka­min­schirms, zog ihre Hand­schu­he aus, leg­te die Arm­bän­der ab und streif­te eine gol­de­ne Ket­te, an der ihre mit kost­ba­ren Stei­nen be­setz­te Riech­do­se hing, über den Kopf. Ich emp­fand un­säg­li­ches Ver­gnü­gen, ihre Be­we­gun­gen zu ver­fol­gen, de­ren ge­schmei­di­ge An­mut an eine Kat­ze er­in­ner­te, die sich in der Son­ne putzt. Sie be­sah sich im Spie­gel und sag­te laut und miß­ver­gnügt: ›Ich sah heu­te abend nicht gut aus, mein Teint welkt er­schre­ckend schnell. Ich soll­te mich viel­leicht frü­her schla­fen le­gen, die­sem lie­der­li­chen Le­ben ein Ende set­zen. Aber was fällt denn Jus­ti­ne ein?‹ Sie klin­gel­te noch ein­mal; die Zofe kam her­bei­ge­eilt. Wo war ihr Zim­mer? Ich weiß nicht. Sie war über eine ge­hei­me Trep­pe ge­kom­men. Ich war neu­gie­rig, sie zu be­trach­ten. Mei­ne Dich­ter­phan­ta­sie hat­te die­se un­sicht­ba­re Die­ne­rin, eine große, hübsch ge­bau­te Brü­net­te, oft­mals in schlim­mem Ver­dacht ge­habt. – ›Ma­da­me ha­ben ge­klin­gelt?‹ – ›Zwei­mal‹, ant­wor­te­te Fœ­do­ra; ›du bist wohl auf ein­mal taub?‹ – ›Ich be­rei­te­te die Man­del­milch für Ma­da­me.‹ Jus­ti­ne knie­te sich nie­der, lös­te die kreuz­wei­se ge­schlun­ge­nen Schnür­bän­der und zog dann ih­rer Her­rin die Schu­he aus, die sich in­des in ei­nem Lehn­stuhl am Ka­min re­kel­te, gähn­te und sich den Kopf kratz­te. Al­les in die­sen Be­we­gun­gen war durch­aus na­tür­lich, und kein Zei­chen ver­riet mir die ge­hei­men Schmer­zen oder die Lei­den­schaf­ten, die ich ver­mu­tet hat­te. – ›Ge­org ist ver­lieb­t‹, sag­te sie, ›ich muß ihn ent­las­sen. Hat nicht er heu­te abend noch die Vor­hän­ge her­ab­ge­las­sen? Was fällt ihm ein?‹ Als ich das hör­te, ström­te mir al­les Blut zum Her­zen; aber es war wei­ter kei­ne Rede mehr von den Vor­hän­gen. ›Das Le­ben ist sehr schal‹, fuhr die Com­tes­se fort. ›Au! gib acht, daß du mich nicht wie­der kratzt wie ges­tern. Hier, sieh mal her‹, sag­te sie und zeig­te ihr ein klei­nes Knie, das wie At­las schim­mer­te, ›da hab ich noch den Stem­pel dei­ner Un­ge­schick­lich­keit.‹ Sie fuhr mit ih­ren nack­ten Fü­ßen in die mit Schwa­nen­pelz ge­füt­ter­ten Samt­pan­tof­fel und zog ihr Kleid aus, wäh­rend Jus­ti­ne einen Kamm nahm, um ihr die Haa­re zu ord­nen. – ›Sie müs­sen hei­ra­ten, Ma­da­me, und Kin­der be­kom­men.‹

      ›Kin­der! Das fehl­te mir ge­ra­de noch!‹ rief sie. ›Ei­nen Mann! Wo ist der Mann, dem ich mich … War ich gut fri­siert heu­te abend?‹ – ›Nicht sehr gut.‹ – ›Du bist dumm.‹ – ›Nichts steht Ih­nen schlech­ter, als wenn Sie Ihr Haar zu sehr kräu­seln‹, er­wi­der­te Jus­ti­ne. ›Gro­ße, lan­ge Lo­cken klei­den Sie viel bes­ser.‹ – ›Wirk­lich?‹ – ›Ge­wiß, Ma­da­me, fein­ge­kräu­sel­tes Haar steht nur Blon­di­nen.‹ ›Mich ver­hei­ra­ten? Nein, nein! Die Ehe ist ein Scha­cher, für den ich nicht ge­schaf­fen bin.‹ Was für eine schreck­li­che Sze­ne für einen Lie­ben­den! Die­se ein­sa­me Frau, ohne El­tern, ohne Freun­de, eine Atheis­tin der Lie­be, die an kei­ne Emp­fin­dung glaub­te und, so schwach auch in ihr das je­dem mensch­li­chen We­sen ei­ge­ne Be­dürf­nis, sein Herz zu er­gie­ßen, sein moch­te, um es zu be­frie­di­gen, war sie ge­zwun­gen, mit ih­rer Zofe zu plau­dern, ein paar tro­ckene Re­dens­ar­ten oder Nich­tig­kei­ten zu sa­gen! Sie tat mir leid. Jus­ti­ne schnür­te sie auf. Ich be­trach­te­te sie neu­gie­rig, als der letz­te Schlei­er weg­ge­nom­men wur­de. Sie hat­te einen jung­fräu­li­chen Bu­sen, der mich blen­de­te; beim Schein der Ker­ze schim­mer­te ihr wei­ßer und ro­si­ger Kör­per durch das Hemd durch wie eine Sil­b­er­sta­tue un­ter ei­ner Ga­zehül­le. Nein, kei­ner­lei Un­voll­kom­men­heit muß­te sie die ver­stoh­le­nen Bli­cke der Lie­be fürch­ten las­sen. Ach, ein schö­ner Kör­per siegt im­mer über die hel­den­haf­tes­ten Ent­schlüs­se. Die Her­rin saß stumm und nach­denk­lich vor dem Feu­er, wäh­rend die Zofe die Ker­ze der Ala­bas­ter­lam­pe, die vor dem Bett hing, an­zün­de­te. Jus­ti­ne hol­te eine Wärm­fla­sche, mach­te das Bett zu­recht und half ih­rer Her­rin, sich schla­fen zu le­gen; dann hat­te sie noch al­ler­lei klei­ne Diens­te zu ver­rich­ten, die von der tie­fen Ver­eh­rung zeug­ten, die Fœ­do­ra für sich sel­ber heg­te, und ging schließ­lich. Die Com­tes­se warf sich ein paar­mal hin und her; sie war auf­ge­regt, sie seufz­te; von ih­ren Lip­pen drang ein leich­tes Geräusch, das ihre Un­ge­duld ver­riet; sie streck­te die Hand nach dem Tisch aus, nahm ein Fläsch­chen und goß ei­ni­ge Trop­fen ei­nes brau­nen Saf­tes in ihre Milch, ehe sie trank; end­lich nach et­li­chen qual­vol­len Seuf­zern rief sie: ›Mein Gott!‹ Die­ser Aus­ruf und vor al­lem der Ton, der dar­in lag, fie­len mir schwer aufs Herz. Un­ver­se­hens lag sie ganz reg­los. Ich be­kam Angst; aber bald ver­nahm ich den gleich­mä­ßi­gen und tie­fen Atem der Schla­fen­den; ich schlug die rau­schen­de Sei­de der Vor­hän­ge zu­rück, ver­ließ mei­nen un­be­que­men Pos­ten und stell­te mich an das Fu­ßen­de ih­res Bet­tes. Ich be­trach­te­te sie mit ei­nem un­be­schreib­li­chen Ge­fühl. Sie war ent­zückend, wie sie so dalag. Sie hat­te den Kopf wie ein Kind auf den Arm ge­legt; ihr ru­hi­ges, schö­nes Ant­litz, in Spit­zen gehüllt, hat­te einen sol­chen Lieb­reiz, daß ich hin­ge­ris­sen war. Ich hat­te mir zu­viel zu­ge­traut und hat­te nicht be­dacht, wel­che Mar­ter ich aus­zu­ste­hen hat­te: ihr so nahe und zu­gleich so fern zu sein! Ich muß­te alle Qua­len er­lei­den, die ich mir selbst ge­schaf­fen hat­te. ›Mein Gott!‹ die­ses Bruch­stück ei­nes un­be­kann­ten Ge­dan­kens, das ich nun als ein­zi­ge Er­leuch­tung mit mir neh­men soll­te, hat­te mit ei­nem Schla­ge mei­ne Mei­nung über Fœ­do­ra ge­än­dert. Die­ses Wort konn­te un­be­deu­tend oder tief, in­halt­los oder vol­ler Wirk­lich­keit sein, konn­te sich auf Glück oder auf Kum­mer, auf kör­per­li­ches oder see­li­sches Leid be­zie­hen. War es ein Fluch oder ein Ge­bet, Erin­ne­rung oder Zu­kunft, Reue oder Furcht? Ein gan­zes Le­ben lag in die­sem Wort, ein Le­ben in Ar­mut oder Reich­tum; es konn­te so­gar ein Ver­bre­chen be­deu­ten! Das Rät­sel, das in die­sem schö­nen Frau­en­bild ver­bor­gen lag, war wie­der­er­stan­den; Fœ­do­ra konn­te auf so vie­le Ar­ten er­klärt wer­den, daß sie un­er­klär­lich wur­de. Die Züge ih­res Atems, die schwach oder stark, schwer oder leicht von ih­ren Lip­pen ka­men, form­ten eine Art Spra­che, an die ich Ge­dan­ken und Ge­füh­le knüpf­te. Ich träum­te mit ihr und hoff­te, in ihre Ge­heim­nis­se ein­zu­drin­gen, in­dem ich mich in ih­ren Schlaf schlich, ich schwank­te zwi­schen tau­send wi­der­sprüch­li­chen Ent­schlüs­sen, zwi­schen tau­send ver­schie­de­nen Ur­tei­len. Wenn ich die­ses schö­ne Ge­sicht in sei­ner Rein­heit und Ruhe sah, konn­te ich die­ser Frau un­mög­lich ein Herz ab­spre­chen. Ich be­schloß, noch einen Ver­such zu un­ter­neh­men. Ich woll­te ihr von mei­nem Le­ben, mei­ner Lie­be, all mei­nen Op­fern er­zäh­len; viel­leicht, daß ich Mit­ge­fühl in ihr er­we­cken, ihr eine Trä­ne ent­lo­cken konn­te, ihr, die nie­mals wein­te. Ich war da­bei, all mei­ne Hoff­nun­gen auf die­se letz­te Pro­be zu set­zen, da kün­de­te mir der Lärm von der Stra­ße, daß der Tag an­brach. Ei­nen Au­gen­blick lang stell­te ich mir vor, wie Fœ­do­ra in mei­nen Ar­men er­wach­te. Ich konn­te mich sach­te ne­ben sie le­gen, mich an sie schmie­gen und sie um­ar­men. Die­se Vor­stel­lung quäl­te mich so fürch­ter­lich, daß ich, um ihr zu ent­rin­nen, in den Sa­lon flüch­te­te, un­ge­ach­tet der Geräusche, die ich her­vor­rief; zum Glück ge­lang­te ich an eine Ta­pe­ten­tür, die zu ei­ner klei­nen Trep­pe führ­te. Wie ver­mu­tet, steck­te der Schlüs­sel im Schloß; ich riß die Tür auf, eil­te be­herzt in den Hof hin­un­ter und sprang, ohne mich dar­um zu küm­mern, ob mich je­mand sah, in drei Sät­zen auf die Stra­ße. Zwei Tage spä­ter soll­te ein Schrift­stel­ler bei der Com­tes­se ein Lust­spiel


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