Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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wer­den blaß.‹ – ›Ich will eine Gunst von Ih­nen er­bit­ten und wage es nicht.‹ Sie er­mu­tig­te mich mit ei­ner Hand­be­we­gung, und ich bat um die Zu­sam­men­kunft. – ›Gern‹, ant­wor­te­te sie. ›A­ber warum wol­len Sie nicht gleich jetzt zu mir spre­chen?‹ – ›Ich will Sie nicht täu­schen und muß Ih­nen sa­gen, was Ihr Ver­spre­chen bein­hal­tet: ich möch­te die­sen Abend mit Ih­nen ver­brin­gen, als wä­ren wir Ge­schwis­ter. Fürch­ten Sie nichts; ich weiß, was Sie nicht lei­den mö­gen; Sie ha­ben mich gut ge­nug ken­nen­ge­lernt, um si­cher zu sein, daß ich nichts von Ih­nen will, was Ih­nen miß­fal­len könn­te; über­dies, wer über die ge­bo­te­ne Schran­ke hin­aus­will, be­nimmt sich an­ders. Sie ha­ben mir Freund­schaft be­zeigt, Sie sind gut und vol­ler Nach­sicht. Nun, Sie sol­len wis­sen: mor­gen muß ich Ih­nen Le­be­wohl sa­gen. Neh­men Sie Ihr Wort nicht zu­rück!‰ rief ich, da ich sah, daß sie spre­chen woll­te, und ich enteil­te. Im Mai vo­ri­gen Jah­res, an ei­nem Abend ge­gen acht Uhr, saß ich al­lein mit Fœ­do­ra in ih­rem go­ti­schen Bou­doir. Ich zit­ter­te nicht, ich war si­cher, glück­lich zu wer­den. Die Frau, die ich lieb­te, soll­te mein wer­den, oder ich wür­de in die Arme des To­des flie­hen. Ich hat­te über mei­ne fei­ge Lie­be das Ur­teil ge­spro­chen. Ein Mann ist sehr stark, wenn er sich sei­ne Schwä­che ein­ge­steht. In ei­nem Kleid aus blau­em Kasch­mir lag die Com­tes­se aus­ge­streckt auf ei­nem Di­wan; ihre Füße ruh­ten auf ei­nem Kis­sen. Ein ori­en­ta­li­sches Ba­rett, ein Kopf­schmuck, wie ihn die Ma­ler den al­ten He­brä­ern ver­lei­hen, hat­te ih­rer ver­füh­re­ri­schen Er­schei­nung noch den pi­kan­ten Reiz des Fremd­ar­ti­gen hin­zu­ge­fügt. Auf ih­ren Zü­gen lag ein flüch­ti­ger Zau­ber, der zu be­wei­sen schi­en, daß wir in ei­nem je­den Au­gen­blick neue und ein­zig­ar­ti­ge We­sen sind ohne die min­des­te Ähn­lich­keit mit dem Ich der Zu­kunft und dem Ich der Ver­gan­gen­heit. Ich hat­te sie nie so strah­lend schön ge­se­hen. – ›Wis­sen Sie‹, sag­te sie lä­chelnd, ›daß Sie mei­ne Neu­gier er­regt ha­ben?‹ – ›Ich wer­de Sie nicht ent­täu­schen‹, er­wi­der­te ich kalt. Ich setz­te mich ne­ben sie und er­griff ihre Hand. Sie ließ sie mir. ›Sie ha­ben eine sehr schö­ne Stim­me!‹ – ›Sie ha­ben mich nie sin­gen hö­ren!‹ rief sie mit ei­ner er­staun­ten Be­we­gung. – ›Ich wer­de Ih­nen das Ge­gen­teil be­wei­sen, wenn es nö­tig sein wird. Soll­te denn Ihr ent­zücken­der Ge­sang ein Ge­heim­nis sein? Be­ru­hi­gen Sie sich, ich will es Ih­nen nicht ent­rei­ßen.‹ Wir plau­der­ten un­ge­fähr eine Stun­de ver­trau­lich mit­ein­an­der. Nahm ich auch den Ton, das Auf­tre­ten und die Ges­ten ei­nes Man­nes an, dem Fœ­do­ra nichts ver­wei­gern konn­te, wahr­te ich da­bei doch den gan­zen Re­spekt ei­nes Lie­ben­den. Durch die­ses Spiel er­lang­te ich die Gunst, ihr die Hand küs­sen zu dür­fen; sie zog mit ei­ner al­ler­liebs­ten Be­we­gung den Hand­schuh aus, und ich wieg­te mich so wol­lüs­tig in dem Wahn, an den ich mit Ge­walt glau­ben woll­te, daß sich mei­ne gan­ze See­le in die­sen Kuß er­goß. Fœ­do­ra ließ sich mit un­glaub­li­cher Nach­gie­big­keit schmei­cheln und lieb­ko­sen. Aber hal­te mich nicht für al­bern: einen Schritt über die­se brü­der­li­che Zärt­lich­keit hin­aus, und ich hät­te die Kral­len der Kat­ze zu spü­ren be­kom­men. Zehn Mi­nu­ten etwa blie­ben wir in tie­fes Schwei­gen ver­sun­ken. Ich über­ließ mich der Be­wun­de­rung; ich lieh ihr Rei­ze, die sie nicht hat­te. In die­sem Au­gen­blick ge­hör­te sie mir, mir al­lein. Ich be­saß die­ses ent­zücken­de Ge­schöpf, wie es er­laubt war, sie zu be­sit­zen: in der An­schau­ung und im Geis­te; ich hüll­te sie in mei­ne Sehn­sucht, hielt sie, drück­te sie an mich, mei­ne Phan­ta­sie ver­mähl­te sich mit ihr. So über­wand ich die Com­tes­se kraft ei­ner ma­gne­ti­schen Fas­zi­na­ti­on. Ich habe es des­halb im­mer be­dau­ert, daß ich mir die­se Frau nicht völ­lig un­ter­warf; aber in die­sem Au­gen­blick be­gehr­te ich nicht ih­ren Leib, ich woll­te eine See­le ha­ben, ich dürs­te­te nach ei­nem Le­ben, nach je­nem idea­len und voll­kom­me­nen Glück, nach dem schö­nen Traum, an den wir nicht lan­ge glau­ben.


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