Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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und zit­te­re da­bei nicht im ge­rings­ten. Der Koch wür­de 1000 Ta­ler Lei­b­ren­te ver­lie­ren, die ihn nach dem Tod von Mon­sieur er­war­ten, wenn das Früh­stück nicht un­wei­ger­lich je­den Mor­gen Punkt zehn Uhr und das Di­ner Punkt fünf Uhr auf dem Ti­sche stän­den. Der Spei­se­plan ist für das gan­ze Jahr fest­ge­legt, Tag für Tag. Mon­sieur le Mar­quis bleibt nichts zu wün­schen üb­rig. Er hat Erd­bee­ren, wenn es Erd­bee­ren gibt, und die ers­te Ma­kre­le, die in Pa­ris an­kommt, ißt er. Das Menü ist ge­druckt, er weiß am Mor­gen aus­wen­dig, was er zum Di­ner be­kommt. Fer­ner klei­det er sich zur näm­li­chen Stun­de mit den näm­li­chen Klei­dern, der näm­li­chen Wä­sche, die ich im­mer – ver­ste­hen Sie? – auf den näm­li­chen Ses­sel lege. Ich habe auch da­für zu sor­gen, daß er im­mer das­sel­be Tuch hat, not­falls, wenn bei­spiels­wei­se sein Rock schä­big wird, muß ich einen neu­en da­für hin­le­gen und darf kein Wort dar­über ver­lie­ren. Ist es schö­nes Wet­ter, so gehe ich hin­ein und sage zu mei­nem Herrn: »Sie soll­ten aus­fah­ren, Mon­sieur le Mar­quis!« Er ant­wor­tet ja oder nein. Will er aber spa­zie­ren­fah­ren, so war­tet er nicht auf sei­ne Pfer­de, sie sind im­mer an­ge­spannt; der Kut­scher sitzt un­wei­ger­lich mit der Peit­sche in der Hand, wie Sie ihn da se­hen. Abends nach dem Di­ner fährt der Mon­sieur ein­mal in die Oper und ein an­der­mal zu den Ital … aber nein, bei den Ita­li­e­nern3 war er noch nicht, ich habe mir erst ges­tern eine Loge ver­schaf­fen kön­nen. Um elf Uhr pünkt­lich kommt er nach Hau­se und legt sich schla­fen. Wäh­rend der Zwi­schen­zei­ten am Tag, wo er nichts zu tun hat, liest er; er liest im­mer­zu, se­hen Sie! Das ist so sei­ne fixe Idee! Ich habe Be­fehl, vor ihm das »Jour­nal de la Li­brai­rie« zu le­sen und die neu­en Bü­cher zu be­sor­gen, da­mit er sie am Tage des Er­schei­nens auf sei­nem Ka­min lie­gen hat. Wei­ter­hin bin ich ge­hal­ten, stünd­lich zu ihm hin­ein­zu­ge­hen, um nach dem Feu­er, nach al­lem zu schau­en und dar­auf zu ach­ten, daß nichts fehlt. Er hat mir ein klei­nes Buch zum Aus­wen­dig­ler­nen ge­ge­ben, Mon­sieur, wo alle mei­ne Pf­lich­ten drin­ste­hen, ein klei­ner Ka­te­chis­mus! Im Som­mer muß ich mit großen Eis­blö­cken die Tem­pe­ra­tur im­mer gleich­mä­ßig kühl hal­ten und je­der­zeit über­all fri­sche Blu­men auf­stel­len. Er ist reich! Er hat 1000 Fran­cs täg­lich zu ver­zeh­ren, er kann sei­nen Lau­nen nach­ge­hen. Lan­ge ge­nug hat der arme Jun­ge so­gar das Not­wen­digs­te ent­behrt. Er quält nie­man­den, er ist gut wie das täg­li­che Brot, nie sagt er ein ein­zi­ges Wort, und Sie se­hen: völ­li­ges Schwei­gen im Haus und im Gar­ten! Kurz, mein Herr braucht kei­nen ein­zi­gen Wunsch zu äu­ßern, al­les läuft am Schnür­chen und ex­akt! Er hat auch ganz recht: wenn man die Die­ner­schaft nicht kurz­hält, geht al­les drun­ter und drü­ber. Ich sage ihm al­les, was er tun muß, und er hört auf mich. Sie kön­nen sich kaum vor­stel­len, wie weit er das ge­trie­ben hat. Sei­ne Ge­mä­cher sind in ei­ner … ei­ner … na, wie denn nun? … in ei­ner Flucht, will ich sa­gen. Aber macht er nun, sa­gen wir ein­mal, die Tür sei­nes Schlaf­zim­mers oder sei­nes Stu­dier­zim­mers auf, … krach! öff­nen sich alle Tü­ren von selbst durch einen Mecha­nis­mus. Se­hen Sie, so kann er in sei­nem Haus von ei­nem Zim­mer zum an­de­ren ge­hen und braucht kei­ne ein­zi­ge Tür zu öff­nen. Das ist be­quem und prak­tisch und sehr an­ge­nehm für uns! Aber das hat uns einen Bat­zen Geld ge­kos­tet, das kön­nen Sie glau­ben! Und, Mon­sieur Por­ri­quet, schließ­lich und end­lich hat er zu mir ge­sagt: ›Jo­na­thas, du wirst für mich sor­gen wie für ein Wi­ckel­kind.‹ Ein Wi­ckel­kind, so hat er ge­sagt, wie für ein Wi­ckel­kind hat er ge­sagt. ›Du wirst für mich an mei­ne Be­dürf­nis­se den­ken …‹ Ich bin der Herr, ver­ste­hen Sie? Er ist so­zu­sa­gen der Die­ner. Wa­rum? Ja, sa­gen wir ein­mal, das weiß nie­mand in der Welt als er und der lie­be Gott. Das ist un­wei­ger­lich.«

      »Er ar­bei­tet an ei­ner Dich­tung«, rief der alte Pro­fes­sor.

      »Sie glau­ben, er schreibt ein Ge­dicht, Mon­sieur? Das muß ja eine schö­ne Pla­cke­rei sein, was? Aber se­hen Sie, ich glaub das nicht. Er sagt mir oft, er wol­le durch­aus ver­ge­tie­ren, ja, sa­gen wir ein­mal, ganz ve­ge­ta­tie­risch wol­le er le­ben. Ja, erst ges­tern, Mon­sieur Por­ri­quet, be­sah er sich eine Tul­pe, so beim An­klei­den, wis­sen Sie, und da sag­te er: »So ist mein Le­ben. Ich ver­ge­tie­re, gu­ter Jo­na­thas!« Nun wahr­haf­tig, es gibt an­de­re, die be­haup­ten, er sei ein Mo­no­ma­ne. Das ist un­wei­ger­lich!«

      »Das al­les be­weist mir«, ver­setz­te der Pro­fes­sor mit schul­meis­ter­li­cher Wür­de, die dem al­ten Kam­mer­die­ner tie­fen Re­spekt ein­flö­ßte, »daß Ihr Herr sich mit ei­nem großen Werk be­schäf­tigt. Er ist in tie­fe Me­di­ta­tio­nen ver­sun­ken und will durch die Be­dürf­nis­se des ge­mei­nen Le­bens nicht da­von ab­ge­lenkt wer­den. Ein geist­vol­ler Mensch ver­gißt in sei­ner Ge­dan­ken­ar­beit al­les. Ei­nes Ta­ges ver­brach­te der be­rühm­te New­ton …«

      »Ah! New­ton, schön …«, sag­te Jo­na­thas; »den ken­ne ich nicht.«

      »New­ton, ein großer Ma­the­ma­ti­ker«, fuhr Por­ri­quet fort, »blieb 24 Stun­den un­be­weg­lich sit­zen, die Ell­bo­gen auf einen Tisch ge­stützt; als er aus sei­nem Sin­nen er­wach­te, glaub­te er, es sei noch der vo­ri­ge Abend, als hät­te er ge­schla­fen. Ich will den lie­ben Jun­gen se­hen, ich kann ihm nütz­lich sein.«

      »Halt!« rief Jo­na­thas. »Und wenn Sie der Kö­nig von Frank­reich wä­ren, der alte na­tür­lich, wür­den Sie nur hin­ein­ge­lan­gen, wenn Sie die Tü­ren spreng­ten und über mich hin­weg­schrit­ten. Aber, Mon­sieur Por­ri­quet, ich lauf hin und sag ihm, daß Sie da sind, und fra­ge ihn etwa so: ›Soll man ihn her­auf­kom­men las­sen?‹ Dann kann er ja oder nein ant­wor­ten. Nie­mals sage ich zu ihm: ›Wün­schen Sie? Wol­len Sie? Möch­ten Sie?‹ Sol­cher­lei Wor­te sind aus un­se­rem Ge­spräch ge­stri­chen. Ein­mal ist mir solch eins ent­wischt, und da frag­te er mich gleich in vol­lem Zorn: ›Willst du mich tö­ten?‹


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