Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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Pau­li­ne …«

      »O ja, ich bin dei­ne Pau­li­ne. Nun?«

      »Wo wohnst du ei­gent­lich?«

      »In der Rue Saint-La­za­re. Und du?«

      »Rue de Va­ren­nes.«

      »Wie weit wir von­ein­an­der sind, bis …« Sie hielt inne und sah ih­ren Ge­lieb­ten ko­kett und schel­misch an.

      »Aber«, ver­setz­te Ra­pha­el, »wir wer­den höchs­tens noch vier­zehn Tage ge­trennt sein.«

      »Wahr­haf­tig! In vier­zehn Ta­gen sind wir Mann und Frau!« Sie sprang um­her wie ein klei­nes Kind. »Oh!« fuhr sie dann fort, »ich bin ein ent­ar­te­tes Kind, ich den­ke nicht mehr an Va­ter und Mut­ter, noch sonst­was auf der Welt! Du weißt nicht, Liebs­ter, daß mein Va­ter sehr krank ist. Er ist sehr lei­dend aus In­di­en zu­rück­ge­kehrt. In Le Ha­vre, wo wir ihn ab­ge­holt ha­ben, lag er auf den Tod dar­nie­der. Mein Gott«, sie sah auf die Uhr, »es ist schon drei Uhr. Ich muß bei ihm sein, wenn er um vier Uhr auf­wacht. Ich bin Her­rin im Haus: mei­ne Mut­ter tut, was ich will, und mein Va­ter be­tet mich an; aber ich will ihre Güte nicht miß­brau­chen, das wäre nicht recht! Der arme Va­ter, er war es, der mich ges­tern in die Ita­lie­ni­sche Oper ge­schickt hat. Du be­suchst ihn mor­gen, nicht wahr?«

      »Wol­len Ma­da­me la Mar­qui­se de Va­len­tin mir die Ehre er­wei­sen, mei­nen Arm zu neh­men?«

      »Ach, ich will den Schlüs­sel zu die­ser Kam­mer mit­neh­men«, sag­te sie. »Ist sie nicht ein Palast, die­se hol­de Kam­mer?«

      »Pau­li­ne, noch einen Kuß!«

      »Tau­send! Mein Gott«, sag­te sie und sah Ra­pha­el ins Auge, »so soll es im­mer blei­ben. Ich glau­be zu träu­men.«

      Sie stie­gen lang­sam die Trep­pe hin­ab; dann gin­gen sie ein­träch­tig ne­ben­ein­an­der, in glei­chem Schritt, in glei­cher Glück­se­lig­keit er­be­bend, eng an­ein­an­der­ge­schmiegt wie zwei Tau­ben, bis zur Place de la Sor­bonne, wo Pau­li­nes Wa­gen war­te­te.

      »Ich will mit zu dir fah­ren. Ich will dein Zim­mer, dein Ka­bi­nett se­hen und mich an den Tisch set­zen, an dem du ar­bei­test. Dann wird es sein wie frü­her«, setz­te sie er­rö­tend hin­zu. – »Jo­seph«, be­fahl sie ei­nem Die­ner, »ich fah­re in die Rue de Va­ren­nes, ehe ich nach Hau­se zu­rück­keh­re. Es ist Vier­tel vier, und um vier muß ich zu Hau­se sein, Ge­or­ges soll die Pfer­de an­trei­ben.«

      In we­ni­gen Au­gen­bli­cken wa­ren die bei­den Lie­ben­den in Va­len­tins Palast.

      »Oh, wie gut, daß ich das al­les ge­se­hen habe!« rief Pau­li­ne und knüll­te die Sei­de von Ra­phaels Bett­vor­hän­gen in ih­rer Hand. »Wenn ich ein­schla­fe, wer­de ich in Ge­dan­ken hier sein. Ich wer­de dei­nen lie­ben Kopf auf die­sem Kis­sen vor mir se­hen. Sage mir, Ra­pha­el, es hat dich nie­mand bei der Ein­rich­tung dei­nes Hau­ses be­ra­ten?«

      »Nie­mand.«

      »Ganz si­cher? Hat ge­wiß kei­ne Frau …«

      »Pau­li­ne!«

      »Oh, ich bin furcht­bar ei­fer­süch­tig! Du hast einen gu­ten Ge­schmack. Ich will mor­gen eben­so ein Bett ha­ben wie dei­nes.«

      Ra­pha­el war trun­ken vor Glück, er um­arm­te Pau­li­ne.

      »Oh, mein Va­ter, mein Va­ter!« rief sie.

      »Ich will dich nach Hau­se be­glei­ten; ich will so sel­ten wie mög­lich ohne dich sein.«

      »Wie du lie­ben kannst! Ich wag­te es dir nicht vor­zu­schla­gen …«

      »Bist du denn nicht mein Le­ben?«

      »Gro­ßer Gott!« rief er aus. »Alle mei­ne Wün­sche, alle! Arme Pau­li­ne!«

      Er nahm einen Zir­kel und maß, wie­viel Le­ben ihm der Vor­mit­tag ge­kos­tet hat­te.

      »Mir blei­ben kaum noch zwei Mo­na­te!« stöhn­te er.

      Kal­ter Schweiß brach aus sei­nen Po­ren; dann gab er plötz­lich ei­nem un­aus­sprech­li­chen Wu­t­an­fall nach, er­griff das Cha­grin­le­der und rief: »Was bin ich für ein Narr!« Er eil­te hin­aus, lief durch die Gär­ten und warf das Le­der in einen tie­fen Brun­nen. »Und nun kom­me, was mag!« rief er. »Zum Teu­fel mit all die­sem Un­sinn!«

      Ra­pha­el über­ließ sich also dem Lie­bes­glück und leb­te Herz an Herz mit Pau­li­ne. Ihre Hoch­zeit, durch Schwie­rig­kei­ten ver­zö­gert, die zu er­zäh­len sich nicht lohnt, soll­te in den ers­ten Ta­gen des März ge­fei­ert wer­den. Sie hat­ten sich ge­prüft, zwei­fel­ten nicht an­ein­an­der, und da das Glück ih­nen die gan­ze Tie­fe ih­rer Nei­gung ent­hüllt hat­te, wa­ren nie zwei Her­zen, zwei Na­tu­ren so völ­lig eins, wie sie es durch ihre Lie­be wa­ren. Je ver­trau­ter sie ein­an­der wur­den, de­sto mehr lieb­ten sie sich, bei­de in glei­cher Rein­heit und glei­cher Zart­heit, glei­cher Wol­lust, der sü­ßes­ten Wol­lust, der Wol­lust der En­gel; kei­ne Wol­ke trüb­te ih­ren Him­mel; die Wün­sche des einen wa­ren das Ge­setz des an­de­ren. Da sie alle bei­de reich wa­ren, gab es für sie kei­ne Lau­nen; die sie nicht be­frie­di­gen konn­ten, und da­her hat­ten sie über­haupt kei­ne Lau­nen. Ein er­le­se­ner Ge­schmack, Ge­fühl für das Schö­ne, wah­re Poe­sie leb­ten in der See­le der Braut; sie ver­ach­te­te den teu­ren Flit­ter­putz der Frau­en, und ein Lä­cheln ih­res Ge­lieb­ten schi­en ihr schö­ner als alle Per­len von Or­muz; Mus­se­lin und Blu­men wa­ren ihr reichs­ter Schmuck. Pau­li­ne und Ra­pha­el flo­hen über­dies die Welt, die Ein­sam­keit war für sie so hold, so freu­den­voll! Die Mü­ßig­gän­ger sa­hen das schö­ne, heim­li­che Paar je­den Abend in der Ita­lie­ni­schen oder der Gro­ßen Oper. Wenn auch an­fangs al­ler­lei üb­ler Klatsch in den Sa­lons ver­brei­tet wur­de, ließ der Strom der Er­eig­nis­se, der Pa­ris durch­flu­te­te, zwei harm­lo­se Lie­bes­leu­te bald in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten; schließ­lich war es für die Prü­den eine Art Ent­schul­di­gung, daß ihre Hoch­zeit an­ge­kün­digt war, und da ihre Die­ner­schaft zu­fäl­lig ver­schwie­gen war, straf­te sie kei­ne zu schar­fe Bos­heit für ihr Glück.


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