Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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zu­frie­den sein; aber du mußt auch mein Herz lie­ben; es lebt so­viel Lie­be für dich dar­in! Du weißt es noch nicht? Mein Va­ter ist zu­rück­ge­kom­men. Ich bin eine rei­che Er­bin. Mei­ne Mut­ter und er über­las­sen es mir, über mein Le­ben frei zu be­stim­men; ich bin frei, ver­stehst du?«

      Ra­pha­el war wie im Tau­mel; er hielt Pau­li­nes Hän­de und küß­te sie so glü­hend, so gie­rig un­ge­stüm, ja fast ge­walt­sam. Pau­li­ne mach­te ihre Hän­de frei, leg­te sie auf Ra­phaels Schul­tern und zog ihn an sich; sie um­fin­gen, um­arm­ten und küß­ten sich mit der hei­li­gen, köst­li­chen Glut, die kei­nen an­de­ren Ge­dan­ken kennt und die man in ei­nem ein­zi­gen Kuß emp­fängt, im ers­ten Kuß, wenn zwei See­len Be­sitz von­ein­an­der er­grei­fen.

      »Ach!« rief Pau­li­ne und sank in den Stuhl zu­rück. »Ich will dich nie mehr ver­las­sen. Ich weiß nicht, wo­her ich so­viel Kühn­heit neh­me!« setz­te sie er­rö­tend hin­zu.

      »Kühn­heit, mei­ne Pau­li­ne? Oh, fürch­te nichts, das ist die Lie­be, die wah­re Lie­be, so tief, so ewig wie die mei­ne. Ist es nicht so?«

      »Oh! sprich, sprich!« rief sie; »dein Mund war so lan­ge stumm für mich!«

      »Du lieb­test mich also?«

      »O Gott! ob ich dich lieb­te! Wie oft habe ich ge­weint, hier, wenn ich dein Zim­mer auf­räum­te, wie oft habe ich dein und mein Elend be­klagt. Ich hät­te mich dem Teu­fel ver­schrie­ben, um dir einen Kum­mer zu er­spa­ren! Heu­te ›mein Ra­phael‹ sa­gen zu dür­fen. Ja, du bist mein; mein die­ser schö­ne Kopf, mein dein Herz! O ja, dein Herz vor al­lem, ein un­er­gründ­li­cher Schatz! Nun, wo hielt ich vor­hin inne?« fuhr sie nach ei­ner kur­z­en Pau­se fort. »Ja, siehst du, wir ha­ben drei, vier, fünf Mil­lio­nen, glau­be ich. Wenn ich arm wäre, wür­de ich mir viel­leicht wün­schen, dei­nen Na­men zu tra­gen, dei­ne Frau ge­nannt zu wer­den; jetzt aber möch­te ich dir die gan­ze Welt op­fern, möch­te ich noch im­mer dei­ne Magd sein und im­mer und ewig blei­ben. Siehst du, Ra­pha­el, wenn ich dir heu­te mein Herz, mei­ne Per­son, mein Ver­mö­gen dar­brin­ge, gebe ich dir nicht mehr als da­mals, als ich hier hin­ein« – sie zeig­te auf die Tischla­de – »ein ge­wis­ses 100-Sous-Stück schob. Oh! wie hat mir da­mals dei­ne Freu­de weh ge­tan!«

      »Wa­rum bist du reich?« rief Ra­pha­el. »Wa­rum bist du nicht ei­tel? Ich kann nichts für dich tun!«

      Er rang die Hän­de vor Glück, vor Verzweif­lung, vor Lie­be.

      »Wenn du die Mar­qui­se de Va­len­tin sein wirst, ich ken­ne dich, himm­li­sches Herz, wer­den die­ser Ti­tel und mein Ver­mö­gen dir nicht so­viel wert sein …«

      »Wie ein ein­zi­ges Haar von dir!« rief sie.

      »Auch ich habe Mil­lio­nen; aber was ist jetzt für uns der Reich­tum? Ach, ich habe mein Le­ben, das kann ich dir bie­ten, nimm es!«

      »Oh, dei­ne Lie­be, Ra­pha­el, dei­ne Lie­be wiegt die Welt auf. Wie, dein Den­ken ge­hört mir? So bin ich die Glück­lichs­te al­ler Glück­li­chen!«

      »Man wird uns hö­ren«, sag­te Ra­pha­el.

      »Ach, es ist kein Mensch da«, gab sie über­mü­tig zu­rück.

      »Dann komm!« rief Va­len­tin und brei­te­te die Arme aus.

      Sie sprang auf sei­ne Knie und um­schlang Ra­phaels Hals.

      »Küs­sen Sie mich«, sprach sie, »um des Kum­mers wil­len, den ich um Ihret­wil­len er­litt, um die Schmer­zen zu til­gen, die Ihre Freu­den mir zu­ge­fügt ha­ben, um all der Näch­te wil­len, die ich wach saß, um mei­ne Licht­schir­me zu be­ma­len …«

      »Dei­ne Schir­me?«

      »Da wir reich sind, mein Schatz, kann ich dir al­les sa­gen. Ar­mer Jun­ge! wie leicht ist es doch, geist­vol­le Män­ner zu täu­schen! Konn­test du für drei Fran­cs Wasch­geld im Mo­nat zwei­mal in der Wo­che wei­ße Wes­ten und sau­be­re Hem­den ha­ben? Trankst du nicht dop­pelt so viel Milch, als dir für dein Geld zu­kam? Ich führ­te dich in al­lem an: mit dem Feu­er, dem Öl und auch mit dem Geld! Liebs­ter Ra­pha­el, nimm mich nicht zur Frau, ich bin eine zu raf­fi­nier­te Per­son.« Sie lach­te.

      »Aber wie hast du das nur ge­macht?«

      »Ich ar­bei­te­te bis zwei Uhr mor­gens und gab mei­ner Mut­ter die Hälf­te des Er­lö­ses für mei­ne Licht­schir­me und dir die an­de­re Hälf­te.«

      Sie sa­hen sich an. Bei­de wa­ren vor Glück und Lie­be wie be­täubt.

      »Oh!« rief Ra­pha­el, »wir müs­sen si­cher die­ses Glück ein­mal mit ei­nem furcht­ba­ren Schmerz be­zah­len.«

      »Bist du ver­hei­ra­tet?« rief Pau­li­ne angst­voll; »oh, ich will dich kei­ner Frau über­las­sen.«

      »Ich bin frei, mein Lie­bes.«

      »Frei!« wie­der­hol­te sie; »frei und mein!«

      Sie sank auf die Knie, fal­te­te die Hän­de und sah Ra­pha­el mit in­brüns­ti­ger Glut an.

      »Ich fürch­te toll zu wer­den. Wie schön du bist!« fuhr sie fort und strich mit der Hand über das blon­de Haar ih­res Ge­lieb­ten. »Ist sie dumm, dei­ne Com­tes­se Fœ­do­ra! Wie freu­te ich mich ges­tern abend, als all die­se Men­schen mir hul­dig­ten! Sie ist nie so be­grüßt wor­den, sie nicht! Denk doch, Lie­ber, als mein Rücken ges­tern dei­nen Arm be­rühr­te, hör­te ich eine in­ne­re Stim­me, die mir zu­rief: »Er ist da!« Ich habe mich um­ge­dreht und sah dich. Oh, ich flüch­te­te, denn ich fühl­te das Ver­lan­gen, dir vor al­ler Welt um den Hals zu fal­len.«

      »Wie glück­lich du bist, daß du spre­chen kannst!« rief Ra­pha­el. »Mir ist das Herz zu­ge­schnürt. Ich möch­te wei­nen und kann nicht. Zieh dei­ne Hand nicht zu­rück. Mir ist, als ob ich mein Le­ben lang dich nur im­mer an­se­hen müß­te, zu­frie­den und glück­lich.«

      »Oh, sag das noch ein­mal, Ge­lieb­ter!«

      »Ach, was sind Wor­te!« ver­setz­te Va­len­tin, und sei­ne hei­ßen Trä­nen fie­len auf Pau­li­nes Hän­de. »Spä­ter will ich ver­su­chen, dir von mei­ner Lie­be zu spre­chen; jetzt kann ich sie nur füh­len …«

      »Oh!« rief sie, »die­se schö­ne See­le, die­ser große Geist, die­ses Herz, das ich so gut ken­ne, das ge­hört al­les mir, wie ich dir ge­hö­re?«

      »Für im­mer, du hol­des Ge­schöpf«, sag­te Ra­pha­el be­wegt; »du wirst mei­ne Frau sein, mein gu­ter En­gel. Dei­ne Ge­gen­wart hat im­mer mei­ne Sor­gen ver­scheucht und mei­ne See­le er­quickt; in die­sem Au­gen­blick hat mich dein himm­li­sches Lä­cheln gleich­sam ge­rei­nigt. Mir ist, als be­gin­ne ich ein neu­es Le­ben. Die grau­sa­me Ver­gan­gen­heit und mei­ne trau­ri­gen Tor­hei­ten schei­nen mir nur noch böse Träu­me zu sein. Ich bin rein, wenn ich bei dir bin. Ich spü­re den Hauch des Glücks. O bleib im­mer bei mir!« Er drück­te sie in­nig an sein schnell po­chen­des Herz.

      »Nun mag der Tod kom­men, wann er will«, rief Pau­li­ne ver­zückt, »ich habe ge­lebt!«

      Glück­lich, wer ihre Won­nen er­rät, er hat sie emp­fun­den!

      »Mein Ra­pha­el«, sag­te Pau­li­ne nach Stun­den des Schwei­gens, »ich woll­te, kein Mensch käme je mehr in un­se­re lie­be Man­sar­de.«

      »Da muß die Tür ver­mau­ert und das Dach­fens­ter ver­git­tert wer­den; wir müs­sen das Haus kau­fen«, ver­setz­te der Mar­quis.

      »Das


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