Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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das Schiff noch ret­ten kön­ne. Doch wenn ein Strang so vie­le Fä­den hat, gibt es leicht Kno­ten. Ras­ti­gnac zit­ter­te für Del­phi­nes Ver­mö­gen; er setz­te ver­trags­mä­ßig eine Gü­ter­tren­nung zwi­schen den Ehe­leu­ten fest und nahm sich sel­ber vor, sei­ne Rech­nung mit der Baro­nin durch Ver­drei­fa­chung ih­res Ver­mö­gens ins rei­ne zu brin­gen. Da Eu­gen für sich sel­ber nichts ver­lang­te, be­wog ihn Nu­cin­gen dazu, im Fal­le ei­nes vol­len Er­fol­ges, fünf­und­zwan­zig An­teil­schei­ne der Blei­gru­ben, de­ren je­der auf tau­send Fran­ken lau­te­te, an­zu­neh­men. Um ihn nicht zu be­lei­di­gen, sag­te Ras­ti­gnac zu. Ei­nen Tag, ehe un­ser Freund Mal­vi­na an­ge­ra­ten, sich zu ver­hei­ra­ten, war er von Nu­cin­gen für sei­ne Zwe­cke zu­ge­rich­tet wor­den. Beim Ge­dan­ken an die hun­dert glück­li­chen Fa­mi­li­en, die da ah­nungs­los ihre Tage leb­ten, die Go­de­fro­id von Beau­den­ord, die d’Ald­rig­ger, die d’Ai­gle­mont usw., wur­de Ras­ti­gnac von ei­nem Schau­er er­grif­fen, wie er wohl einen jun­gen Ge­ne­ral be­fal­len mag, der vor ei­ner ent­schei­den­den Schlacht zum ers­ten­mal ein Heer vor Au­gen sieht. Die arme klei­ne Isau­re und Go­de­fro­id in ih­rem Lie­bes­s­piel – wa­ren sie nicht wie Acis und Gala­thea un­ter dem Fels­block, den der plum­pe Po­ly­phem auf sie her­ab­schleu­dern wür­de? …«

      »So ein Kerl, der Bi­xiou,« sag­te Blon­det, »er hat bei­na­he Ta­lent.«

      »So, fa­se­le ich also nicht mehr?« sag­te Bi­xiou und blick­te sein Au­di­to­ri­um tri­um­phie­rend an. »Seit zwei Mo­na­ten«, fuhr er nach die­ser Un­ter­bre­chung fort, »über­ließ sich Go­de­fro­id all den klei­nen Freu­den ei­nes bal­di­gen Ehe­man­nes. Sol­che Leu­te sind wie Vö­gel im Lenz, die kom­men und ge­hen, Stroh­hal­me sam­meln, sie im Schna­bel fort­tra­gen und ihr Nest, die Heim­stät­te ih­rer Eier, flech­ten. Der Zu­künf­ti­ge Isau­res hat­te in der Rue de la Plan­che für tau­send Ta­ler ein klei­nes Haus ge­mie­tet, ein ge­müt­li­ches klei­nes Haus, das er alle Tage auf­such­te, um den Ar­bei­tern zu­zu­schau­en und die Far­ben des An­strichs an­zu­ge­ben. Er such­te hier das ein­zig Gute, was aus Eng­land kommt, die wah­re Be­hag­lich­keit, hei­misch zu ma­chen. Es gab einen Hei­z­ap­pa­rat, der dem gan­zen Hau­se eine gleich­mä­ßi­ge Tem­pe­ra­tur mit­teil­te, vor­nehm hüb­sche Mö­bel ohne auf­dring­li­che Ele­ganz, wohl­tu­end fri­sche und zar­te Far­ben, an al­len Fens­tern dop­pel­te Vor­hän­ge, Sil­ber­zeug und neu­es Fuhr­werk. Er hat­te den Stall, die Sat­tel­kam­mer, die Re­mi­sen bau­en las­sen, wo Toby, Joby, Pad­dy wie ein los­ge­las­se­nes Fül­len her­um­sprang und glück­lich schi­en, zu wis­sen, daß es von nun ab im Hau­se Frau­en und so­gar eine ›La­dy‹ ge­ben soll­te. Wie herz­er­freu­end ist der Ei­fer so ei­nes Haus­stands­be­grün­ders, der Uhren und Kunst­ge­gen­stän­de ein­kauft, mit den Ta­schen voll Stoff­pro­ben bei sei­ner Zu­künf­ti­gen er­scheint, sie be­treffs der Schlaf­zim­mer­ein­rich­tung um Rat fragt; der, wenn er kommt und geht, aus Lie­be kommt und geht – wie herz­er­freu­end, sage ich, ist so ein Mann für sei­ne Mit­menschen, vor al­lem für die Lie­fe­ran­ten. Und da der Welt nichts bes­ser ge­fällt, als die Hei­rat ei­nes hüb­schen jun­gen Man­nes von sie­ben­und­zwan­zig Jah­ren mit ei­nem rei­zen­den jun­gen Mäd­chen von zwan­zig, be­schloß Go­de­fro­id, dem das Braut­ge­schenk Kopf­zer­bre­chen mach­te, Ras­ti­gnac nebst Frau von Nu­cin­gen zum Früh­stück zu la­den, um sie in die­ser wich­ti­gen An­ge­le­gen­heit um Rat zu bit­ten. Er hat­te die groß­ar­ti­ge Idee, auch sei­nen Vet­ter d’Ai­gle­mont und Ge­mah­lin so­wie Frau von Séri­zy zu la­den. Die Da­men von Welt ha­ben es gern, ge­le­gent­lich ein­mal bei ei­nem Jung­ge­sel­len vor­zu­spre­chen – zu früh­stücken.«

      »Ja, auch die großen Mäd­chen ge­hen gern ein­mal hin­ter die Schu­le,« sag­te Blon­det. »Es galt also, Rue de la Plan­che, das klei­ne Heim der zu­künf­ti­gen Gat­ten in Au­gen­schein zu neh­men,« fuhr Bi­xiou fort. »Die Frau­en lie­ben sol­che klei­nen Be­su­che, wie die Men­schen­fres­ser fri­sches Fleisch; sie er­göt­zen sich an die­ser jun­gen Freu­de, die noch nicht am Ge­nus­se welk­te. Die Ta­fel war in dem klei­nen Sa­lon ge­deckt, der für die­se Be­er­di­gung des Jung­ge­sel­len­tums ge­schmückt war wie ein Pferd für einen Prunk­zug. Das Früh­stück war in ei­ner Aus­wahl be­stellt, die alle die net­ten klei­nen Din­ge auf­wies, wel­che die Frau­en des Vor­mit­tags zu bei­ßen und zu knab­bern lie­ben. ›Und warum ganz al­lein?‹ frag­te Go­de­fro­id, als er Ras­ti­gnac be­grüß­te. ›Frau von Nu­cin­gen hat Kum­mer, ich wer­de dir al­les er­zäh­len,‹ er­wi­der­te Ras­ti­gnac, der ver­drieß­lich drein­blick­te. ›Habt ihr Streit?‹ rief Go­de­fro­id. ›Nein,‹ sag­te Ras­ti­gnac. Als um vier Uhr die Da­men ins Bois de Bou­lo­gne enteilt wa­ren, blieb Ras­ti­gnac im Sa­lon sit­zen und blick­te me­lan­cho­lisch durchs Fens­ter auf Toby, Joby, Pad­dy, der stolz vor dem am Til­bu­ry an­ge­schirr­ten Pfer­de stand und mit ge­kreuz­ten Ar­men tief­sin­nig dreinsah wie Na­po­le­on; er konn­te das Pferd nur ver­mit­telst sei­ner schril­len Stim­me im Zau­me hal­ten; das Pferd aber fürch­te­te Joby, Toby. ›Nun, was ist dir, mein Lie­ber?‹ sag­te Go­de­fro­id zu Ras­ti­gnac. ›Du bist ver­stimmt, un­ru­hig; dei­ne Hei­ter­keit ist ge­macht. Ja, dein Glück ist nur halb, und das nagt dir am Her­zen! Es ist auch wirk­lich trau­rig, mit dem Wei­be, das man liebt, we­der staat­lich noch kirch­lich ge­traut zu sein.‹ ›Hast du den Mut, mein Jun­ge, an­zu­hö­ren, was ich dir zu sa­gen habe, und wirst du ver­ste­hen, wie sehr man ei­nem an­dern zu­ge­tan sein muß, um die In­dis­kre­ti­on zu be­ge­hen, de­ren ich mich jetzt schul­dig ma­chen will?‹ sag­te Ras­ti­gnac mit ei­nem Tone, der wie ein Peit­schen­schlag er­schreck­te. ›Was?‹ sag­te Go­de­fro­id er­blei­chend. ›Ich war trau­rig über dei­ne Freu­de, und ich habe nicht den Mut, nun ich alle die­se Vor­be­rei­tun­gen, die­ses blü­hen­de Glück sehe, mein Ge­heim­nis zu be­wah­ren.‹ ›So sage schnell, in drei Wor­ten, um was es sich han­delt.‹ ›Schwö­re mir bei dei­ner Ehre, daß du stumm sein willst wie das Grab!‹ ›Wie das Grab.‹ ›Daß, selbst wenn ein dir Na­he­ste­hen­der mit die­ser Sa­che zu tun hät­te, du sie ihm nicht ver­ra­ten willst!‹ ›Nicht ver­ra­ten will.‹ ›Nun also: Nu­cin­gen ist heu­te nacht nach Brüs­sel ab­ge­reist; wenn man nicht li­qui­die­ren kann, muß man zu­sam­men­pa­cken. Del­phi­ne hat heu­te mor­gen so­gleich Gü­ter­tren­nung be­an­tragt. Du kannst dein Ver­mö­gen noch ret­ten.‹ ›Wie?‹ frag­te Go­de­fro­id, der fühl­te, wie ihm das Blut in den Adern er­starr­te. ›Schrei­be ganz ein­fach dem Baron einen um vier­zehn Tage zu­rück­da­tier­ten Brief, in dem du ihm den Auf­trag gibst, alle dei­ne Gel­der in Ak­ti­en an­zu­le­gen‹ – und er nann­te ihm die Fir­ma Cla­paron. ›Du hast vier­zehn Tage, einen – ja viel­leicht drei Mo­na­te, um sie über Wert zu ver­kau­fen, sie wer­den noch stei­gen.‹ ›A­ber d’Ai­gle­mont, der mit uns früh­stück­te, d’Ai­gle­mont, der bei Nu­cin­gen eine Mil­li­on hat!‹ ›Hö­re, ich weiß nicht, ob ge­nug die­ser Ak­ti­en vor­han­den sind, um ihn zu de­cken, und da ich ja nicht sein Freund bin, kann ich das Ge­heim­nis Nu­cin­gens nicht preis­ge­ben, du darfst ihm nichts da­von sa­gen. Wenn du ein Wort sagst, bist du mir für die Fol­gen ver­ant­wort­lich.‹ Go­de­fro­id blieb zehn Mi­nu­ten voll­stän­dig un­be­weg­lich. ›Nimmst du an, ja oder nein?‹ sag­te Ras­ti­gnac un­barm­her­zig, Go­de­fro­id nahm Tin­te und Fe­der und schrieb und un­ter­zeich­ne­te den Brief, den Ras­ti­gnac ihm dik­tier­te. ›Mein ar­mer Vet­ter!‹ rief er aus. ›Je­der sor­ge für sich,‹ sag­te Ras­ti­gnac, als er Go­de­fro­id ver­ließ.

      »Hört


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