Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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war hin­ter den mes­sing­nen Git­ter­ver­schlä­gen zu se­hen, die in Ar­mes­hö­he auf un­ge­stri­che­nem Holz an­ge­bracht wa­ren und einen Raum mit schwarz ge­wor­de­nen Ti­schen und Pul­ten ab­schlos­sen. In die­sen lee­ren Bu­re­aus be­fan­den sich eine Men­ge von Tin­ten­fäs­sern, in de­nen die Tin­te ein­ge­trock­net war, und von Fe­dern, die wie von Ben­geln in Form von Son­nen­strah­len zer­schlis­sen aus­sa­hen. Au­ßer­dem la­gen Map­pen, Pa­pie­re und Druck­sa­chen, zwei­fel­los alle un­be­rührt, her­um. Der Fuß­bo­den glich dem des Sprech­zim­mers ei­ner Pen­si­on, so ab­ge­nutzt, schmut­zig und feucht war er. Das zwei­te Zim­mer, des­sen Tür die Auf­schrift »Kas­se« trug, stimm­te mit dem düs­te­ren Aus­se­hen des ers­ten Bu­re­aus über­ein. In ei­ner Ecke be­fand sich ein großer Ver­schlag von Ei­chen­holz, der mit kup­fer­far­be­nen Stri­chen ge­git­tert war, mit ei­nem be­weg­li­chen Schie­ber ver­se­hen und einen rie­si­gen ei­ser­nen Kas­ten ent­hal­tend, der of­fen­bar den Rat­ten als Tum­mel­platz diente. Die­ser Ver­schlag, des­sen Tür of­fen stand, ent­hielt noch einen Se­kre­tär von phan­tas­ti­scher Form und einen elen­den durch­lö­cher­ten, grü­nen Schreib­ses­sel mit zer­ris­se­nem Be­zug, aus dem das Pols­ter­haar wie die Perücke des Chefs in zer­zaus­ten Kork­zie­her­lo­cken her­aus­sah. Die­ses Zim­mer, frü­her an­schei­nend der Sa­lon der Woh­nung, be­vor es zum Bu­reau um­ge­wan­delt wor­den war, be­saß als Haupt­schmuck einen run­den, mit ei­ner grü­nen Tisch­de­cke ver­se­he­nen Tisch, um den alte Stüh­le in Maro­quin­le­der mit ver­blaß­ten Nä­geln stan­den. Der ziem­lich ele­gan­te Ka­min wies nichts von den schwar­zen Fle­cken, die das Feu­er macht, auf, sei­ne Plat­te war un­be­nutzt, sein Spie­gel war übel von Flie­gen be­schmutzt und paß­te zu der Uhr aus Ma­ha­go­ni­holz, die auf dem Aus­ver­kauf ir­gend­ei­nes al­ten No­tars er­stan­den war und eben­so trü­be stimm­te, wie die bei­den Leuch­ter ohne Ker­zen und der kleb­ri­ge Staub. Die maus­graue Ta­pe­te mit ei­ner rosa Bor­te ließ durch ihr ver­räu­cher­tes Aus­se­hen dar­auf schlie­ßen, daß hier die Luft durch Rau­cher ver­dor­ben wur­de. Al­les sah ge­nau so aus wie die ge­wöhn­li­chen Räu­me, die von den Zei­tun­gen »Re­dak­ti­ons­zim­mer« ge­nannt wer­den. Bi­rot­teau, der nicht un­höf­lich sein woll­te, klopf­te drei­mal leicht an die dem Ein­gang ge­gen­über­lie­gen­de Tür.

      »He­rein!« rief Cla­paron, des­sen Stim­me von weit her er­klang, weil der Ban­kier sich in dem Zim­mer, in das der Par­füm­händ­ler ein­ge­tre­ten war und in dem ein hel­les Feu­er brann­te, nicht be­fand. Die­ses Zim­mer diente ihm in der Tat als Pri­vat­zim­mer. Zwi­schen dem pomp­haf­ten Empfang Kel­lers und der merk­wür­di­gen Nach­läs­sig­keit die­ses an­geb­li­chen großen Man­nes der In­dus­trie war ein Un­ter­schied wie zwi­schen Ver­sail­les und dem Wig­wam ei­nes Hu­ro­nen­häupt­lings. Der Par­füm­händ­ler hat­te die Bank­welt in ih­rer Herr­lich­keit ge­se­hen, jetzt soll­te er sie in ih­rer Er­bärm­lich­keit ken­nen­ler­nen. In ei­ner hin­ter dem Zim­mer be­find­li­chen Ni­sche, des­sen ge­sam­tes einst­mals ziem­lich ele­gan­tes Mo­bi­li­ar ab­ge­nutzt, schmut­zig, fet­tig, rui­niert, in Un­ord­nung und zer­bro­chen war in­fol­ge der Ge­wohn­hei­ten ei­nes lie­der­li­chen Le­bens, lag Cla­paron, der sich beim An­blick Bi­rot­te­aus in sei­nen schmie­ri­gen Schlaf­rock hüll­te, sei­ne Pfei­fe weg­leg­te und die Vor­hän­ge des Bet­tes mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit zu­zog, die bei dem un­schul­di­gen Par­füm­händ­ler über sei­ne Sitt­lich­keit Zwei­fel er­we­cken muß­te.

      »Set­zen Sie sich doch, Herr Bi­rot­teau«, sag­te die­ses Spott­bild ei­nes Ban­kiers.

      Cla­paron, ohne Perücke, mit ei­nem schief­sit­zen­den Tuch um den Kopf, er­schi­en Bi­rot­teau um so ab­schre­cken­der, als der Schlaf­rock, wenn er sich öff­ne­te, eine Art von wei­ßer ge­strick­ter Un­ter­ja­cke se­hen ließ, die durch über­mä­ßig lan­ges Tra­gen braun ge­wor­den war.

      »Wol­len Sie mit mir früh­stücken?« sag­te Cla­paron, der sich an den Ball des Par­füm­händ­lers er­in­ner­te und sich gleich­zei­tig re­van­chie­ren und mit die­ser Ein­la­dung Bi­rot­teau aus­wei­chen woll­te.

      In der Tat be­fand sich auf ei­nem run­den Ti­sche, der in Eile von sei­nen Pa­pie­ren be­freit wor­den war, eine hüb­sche Zu­sam­men­stel­lung von Pas­te­te, Aus­tern, Weiß­wein und den üb­li­chen in Cham­pa­gner ge­koch­ten Nie­ren, de­ren Sau­ce ge­ron­nen war. Das Stein­koh­len­feu­er be­leuch­te­te eine Ome­let­te mit Trüf­feln.

      Zwei Ge­de­cke, mit ih­ren von dem Sou­per des ver­gan­ge­nen Abends fle­cki­gen Ser­vi­et­ten, hät­ten schließ­lich auch der reins­ten Un­schuld die Au­gen ge­öff­net.

      »Es soll­te je­mand zu mir kom­men, aber die­ser Je­mand hat sich ge­drückt«, sag­te der schlaue Rei­sen­de so laut, daß es eine in sei­nem Bett ver­steck­te Per­son hö­ren muß­te.

      »Herr Cla­paron,« sag­te Bi­rot­teau, »ich bin aus­schließ­lich in Ge­schäfts­an­ge­le­gen­hei­ten hier und wer­de Sie nicht lan­ge auf­hal­ten.«

      »Ich bin über­las­tet,« er­wi­der­te Cla­paron und zeig­te auf sein Zy­lin­der­bu­reau und die mit Pa­pie­ren über­häuf­ten Ti­sche, »man läßt mir nicht einen frei­en Au­gen­blick, um zu mir zu kom­men. Ich neh­me ei­gent­lich nur am Sonn­abend Be­such an, aber für Sie, ver­ehr­ter Herr, bin ich im­mer zu spre­chen! Mir bleibt gar kei­ne Zeit mehr für die Lie­be und den Bum­mel, ich ver­lie­re die fei­ne Nase für die Ge­schäf­te; die ver­langt eine wohl­ver­teil­te Muße. Ich kom­me nicht mehr dazu, un­tä­tig auf den Bou­le­vards zu fla­nie­ren. Ach, die Ge­schäf­te lang­wei­len mich, ich will nichts mehr von Ge­schäf­ten hö­ren; Geld habe ich ge­nug, aber Ver­gnü­gen kann man nie ge­nug ha­ben. Wahr­haf­tig, ich rei­se fort, ich muß Ita­li­en se­hen! Ach, das ge­lieb­te Ita­li­en, auch in sei­nem Nie­der­gang noch schön, die­ses an­be­tungs­wür­di­ge Land, wo ich si­cher­lich eine mol­li­ge und doch ma­je­stä­ti­sche Ita­li­e­ne­rin fin­den wer­de! Ich habe die Ita­li­e­ne­rin­nen im­mer ge­liebt! Ha­ben Sie nie eine Ita­li­e­ne­rin ge­habt? Nein? Nun, dann be­glei­ten Sie mich nach Ita­li­en. Wir wer­den Ve­ne­dig se­hen, den eins­ti­gen Sitz der Do­gen, das recht üb­ler Wei­se in die schlau­en Hän­de Ös­ter­reichs ge­ra­ten ist, das von Kunst kei­ne Ah­nung hat! Also las­sen wir die Ge­schäf­te bei­sei­te, die Kanä­le, die An­lei­hen und die Re­gie­run­gen. Ich bin ein gu­ter Kerl, wenn ich die Ta­schen voll Geld habe. Also rei­sen wir, Don­ner noch mal!«

      »Ein ein­zi­ges Wort, Herr Cla­paron, und ich gehe«, sag­te Bi­rot­teau. »Sie ha­ben mei­ne Wech­sel an Herrn Bi­dault wei­ter­ge­ge­ben.«

      »Sie wol­len sa­gen Gi­gon­net, den gu­ten klei­nen Gi­gon­net, einen ku­lan­ten Mann, so ku­lant wie … wie eine Schlei­fe.«

      »Ja­wohl,« fuhr Cäsar fort, »ich woll­te … und hier­bei rech­ne ich auf Ihre Ehren­haf­tig­keit und Ihr Zart­ge­fühl …«

      Cla­paron ver­neig­te sich.

      »Ich woll­te um Pro­lon­ga­ti­on bit­ten.«

      »Un­mög­lich,« ant­wor­te­te der Ban­kier kurz, »ich bin nicht al­lein bei die­sem Ge­schäft be­tei­ligt. Wir bil­den einen Rat, eine rich­ti­ge Kam­mer, in der man sich aber ver­stän­digt, wie Speck­stücke im Ofen. Oh, ver­dammt, wie wird da be­ra­ten! Die Ter­rains an der Ma­de­lei­ne be­deu­ten ja nichts, wir ar­bei­ten noch an­ders­wo. Ach, mein Bes­ter, wenn wir uns nicht auch bei den Champs-Elysées,


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