Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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mit sei­nen durch das Al­ter fremd­ar­tig an­mu­ten­den For­men einen pa­tri­ar­cha­li­schen Ein­druck. Im Sa­lon, der mit al­tem Da­mast aus­ge­schla­gen und mit Vor­hän­gen aus imi­tier­tem Bro­kat ver­se­hen war, stan­den alt­mo­di­sche Sitz­ge­le­gen­hei­ten, klei­ne Se­kre­tä­re und ein präch­ti­ges Bild Po­pi­nots, des Schöf­fen von San­cer­re, des Va­ters der Frau Ra­gon, von La­tour ge­malt. Der gute Mann war vor­treff­lich wie­der­ge­ge­ben und strahl­te wie ein Par­ve­nü, der sich in sei­nem Glan­ze sonnt. Zu Hau­se leg­te sich Frau Ra­gon noch einen klei­nen eng­li­schen Hund bei, einen King Charles, der sich vor­züg­lich auf ei­nem klei­nen har­ten Sofa im Ro­ko­ko­stil aus­nahm, das si­cher­lich nie­mals die Rol­le von Cré­bil­lons Sofa ge­spielt hat­te. Au­ßer ih­ren sons­ti­gen Vor­zü­gen zeich­ne­ten sich die Ra­g­ons noch durch die Pfle­ge al­ter Wei­ne, die ihre vol­le Blu­me er­reicht hat­ten, und durch den Be­sitz et­li­cher Li­kö­re der Frau An­foux aus, wel­che Leu­te, die ge­nü­gend ver­bohrt wa­ren, um die schö­ne Frau Ra­gon (hoff­nungs­los, wie man sag­te) zu lie­ben, ihr von den In­seln mit­ge­bracht hat­ten. Ihre klei­nen Di­ners wur­den da­her sehr ge­schätzt! Eine alte Kö­chin, Jea­net­te, diente dem al­ten Ehe­paar mit blin­der Hin­ge­bung; sie wür­de Früch­te ge­stoh­len ha­ben, da­mit sie ihr Ein­ge­mach­tes nicht zu ver­mis­sen brauch­ten! Statt ihre Er­spar­nis­se auf die Spar­kas­se zu brin­gen, spiel­te sie da­mit vor­sich­tig in der Lot­te­rie, in der Hoff­nung, für ihre Herr­schaft ei­nes Ta­ges das große Los zu ge­win­nen. Wenn die Herr­schaft Sonn­tags Gäs­te hat­te, war sie, trotz ih­rer sech­zig Jah­re, gleich­zei­tig in der Kü­che, um die Ge­rich­te zu über­wa­chen, und bei Tisch, um sie zu ser­vie­ren, und ent­wi­ckel­te da­bei eine Be­hen­dig­keit, daß sie, nach dem all­zu oft wie­der­hol­ten Auss­pruch des gu­ten Ra­gon, Fräu­lein Con­tat in ih­rer Rol­le als Su­san­ne in Fi­ga­ros Hoch­zeit noch ei­ni­ge Punk­te vor­ge­ben konn­te.

      Die Gäs­te wa­ren der Rich­ter Po­pi­not, der On­kel Pil­ler­ault, An­selm, die drei Bi­rot­te­aus, die drei Ma­ti­fats und der Abbé Loraux. Frau Ma­ti­fat, die neu­lich zum Tanz im Tur­ban er­schie­nen war, trug ein blau­es Sam­met­kleid, di­cke baum­wol­le­ne St­rümp­fe, zie­gen­le­der­ne Schu­he, Hand­schu­he von Gems­le­der, mit grü­nem Plüsch ein­ge­faßt, und einen rosa ge­füt­ter­ten Hut mit Bä­ren­pelz gar­niert. Um fünf Uhr wa­ren alle zehn Per­so­nen an­we­send. Die al­ten Ra­g­ons ba­ten ihre Gäs­te im­mer, pünkt­lich zu sein. Wenn man das ehr­wür­di­ge Ehe­paar ein­lud, wur­de um die glei­che Zeit ge­speist; der Ma­gen von Sieb­zig­jäh­ri­gen ge­wöhnt sich nicht mehr an die neu­en in Mode ge­kom­me­nen Spei­se­zei­ten. Cäsa­ri­ne wuß­te, daß Frau Ra­gon sie ne­ben An­selm set­zen wür­de; alle Frau­en, selbst die Betschwes­tern und die dum­men, ver­ste­hen sich im Punk­te der Lie­be. Die Toch­ter des Par­füm­händ­lers hat­te sich da­her eine Toi­let­te ge­wählt, die Po­pi­not den Kopf ver­dre­hen soll­te. Ihre Mut­ter, die ih­rer­seits nicht ohne schmerz­li­ches Be­dau­ern auf den jun­gen Crot­tat ver­zich­tet hat­te, der in ih­rem Kopf die Rol­le ei­nes Erb­prin­zen spiel­te, half ihr, nicht ohne bit­te­re Ge­dan­ken, beim An­klei­den. Mit müt­ter­li­cher Sorg­falt schob sie das keu­sche Fi­chu et­was her­un­ter, um Cäsa­ri­nes Schul­tern ein we­nig mehr se­hen zu las­sen und den An­satz des Hal­ses zu zei­gen, der be­son­ders reiz­voll war. Die grie­chi­sche Tail­le, von links nach rechts in fünf Fal­ten her­über­ge­nom­men, konn­te sich öff­nen und köst­li­che Run­dun­gen ver­ra­ten. Das ei­sen­grau­far­be­ne Kleid mit grü­nem Be­satz ließ ihre Fi­gur so schlank und voll er­schei­nen, wie noch nie. Die Ohr­rin­ge wa­ren von ge­schmie­de­tem Gold. Die hoch­ge­nom­me­ne Fri­sur à la Chi­noi­se ließ die köst­li­che Fri­sche der Haut, die sich von Adern, in de­nen das reins­te Le­ben auf dem mat­ten Weiß pul­sier­te, ab­hob, dem Bli­cke frei. Kurz, Cäsa­ri­ne sah so ent­zückend aus, daß Frau Ma­ti­fat sich nicht ent­hal­ten konn­te, es zu­zu­ge­ste­hen, ohne zu mer­ken, daß Mut­ter und Toch­ter die Not­wen­dig­keit, den klei­nen Po­pi­not zu be­zau­bern, be­grif­fen hat­ten.

      We­der Bi­rot­teau, noch sei­ne Frau, noch Frau Ma­ti­fat – nie­mand stör­te das süße Ge­plau­der, das die bei­den ver­lieb­ten Kin­der lei­se in der Fens­ter­ni­sche, in die der kal­te Wind von drau­ßen hin­ein­drang, un­ter­hiel­ten. Die Un­ter­hal­tung der Äl­te­ren wur­de leb­haf­ter, als der Rich­ter Po­pi­not ein Wort über Ro­gu­ins Flucht fal­len ließ und dar­auf hin­wies, daß dies schon der zwei­te No­tar sei, der sich ei­nes sol­chen Ver­bre­chens schul­dig ge­macht habe, wie es frü­her nie­mals vor­ge­kom­men wäre. Bei dem Wor­te Ro­guin hat­te Frau Ra­gon ih­ren Bru­der auf den Fuß ge­tre­ten, und Pil­ler­ault hat­te dem Rich­ter ein Zei­chen ge­macht, daß er schwei­gen sol­le, in­dem bei­de auf Frau Bi­rot­teau hin­deu­te­ten.

      »Ich weiß al­les«, sag­te Kon­stan­ze zu ih­ren Freun­den mit sanf­tem, aber kum­mer­vol­len Tone.

      »Wie­viel hat er Ih­nen denn un­ter­schla­gen?« frag­te Frau Ma­ti­fat Bi­rot­teau, der voll Scham den Kopf senk­te. »Wenn man dem Ge­klatsch Glau­ben schen­ken woll­te, wä­ren Sie rui­niert.«

      »Er hat­te von mir zwei­hun­dert­tau­send Fran­ken in Hän­den. Was die vier­zig an­langt, die er mir vor­geb­lich von ei­nem sei­ner Kli­en­ten hat lei­hen las­sen, den er auch um sein Geld be­tro­gen hat, so schwebt dar­über ein Pro­zeß.«

      »Er wird in die­ser Wo­che ent­schie­den wer­den«, sag­te Po­pi­not. »Ich habe an­ge­nom­men, daß es Ih­nen nicht un­an­ge­nehm wäre, wenn ich Ihre Lage dem Herrn Prä­si­den­ten schil­dern wür­de; er hat an­ge­ord­net, daß der Kam­mer Ro­gu­ins Pa­pie­re vor­ge­legt wer­den sol­len, da­mit sie fest­stel­len kann, seit wel­cher Zeit das Geld des Dar­lehns­ge­bers un­ter­schla­gen war, und die von Der­ville bei­ge­brach­ten Be­weis­stücke prü­fen kann, der sel­ber plai­diert hat, um Ih­nen Kos­ten zu er­spa­ren.«

      »Wer­den wir ge­win­nen?« sag­te Frau Bi­rot­teau.

      »Das weiß ich nicht«, ant­wor­te­te Po­pi­not. »Ob­gleich ich Mit­glied der Kam­mer bin, bei der die Sa­che an­hän­gig ist, wer­de ich, auch wenn man mich hin­zu­zie­hen woll­te, an der Ver­hand­lung nicht teil­neh­men.«

      »Aber kann es denn bei ei­nem so ein­fa­chen Pro­zeß noch einen Zwei­fel ge­ben?« sag­te Pil­ler­ault. »Muß nicht in dem no­ta­ri­el­len Ver­tra­ge die Be­le­gung aus­drück­lich er­wähnt wer­den, und müs­sen die No­ta­re nicht be­schei­ni­gen, daß sie sich von der Über­ga­be des Be­tra­ges durch den Dar­lehns­ge­ber an den Dar­lehns­neh­mer über­zeugt ha­ben? Wäre Ro­guin in den Hän­den der Jus­tiz, so wür­de er ja auf die Ga­lee­ren ge­schickt wer­den.«

      »Nach mei­ner An­sicht«, er­wi­der­te der Rich­ter, »kann sich der Dar­lehns­ge­ber nur an den Kauf­preis für Ro­gu­ins No­ta­ri­at und an sei­ne Kau­ti­on hal­ten; aber selbst bei noch kla­re­ren Sa­chen ste­hen manch­mal die Stim­men der Rich­ter des höchs­ten Ge­richts­hofs sechs ge­gen sechs.«

      »Wie denn, Fräu­lein Cäsa­ri­ne, Ro­guin ist ge­flo­hen?« sag­te Po­pi­not, der end­lich hör­te, wor­über ge­spro­chen wur­de. »Und Herr Cäsar hat mir nichts da­von er­zählt, mir, von dem er doch weiß, daß ich mein Blut für ihn hin­ge­ben wür­de …«

      Cäsa­ri­ne ver­stand, daß in dem Wor­te »für ihn« die gan­ze Fa­mi­lie mit ein­be­grif­fen war, denn wenn das un­schul­di­ge Mäd­chen auch über den Ton noch im Zwei­fel sein konn­te,


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