Nicht ohne meinen Schweinehund. Wolfram Pirchner

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Nicht ohne meinen Schweinehund - Wolfram Pirchner


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auch wenn es am Anfang noch ungewohnt ist,fremd und so gar nicht zu dir passend erscheint. Weißt du auch, warum? Weil es dein Umfeld nicht gewöhnt ist, dass du eigenständig, willentlich reagierst. Nach deinem Willen. Neinsagen hat nichts damit zu tun, dass du unfreundlich bist. Neinsagen hat mit »unpersönlich« zu tun. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Wenn du sehr entgegenkommend bist, liebenswürdig, verbindlich, wohlwollend, also persönlich – dann darfst du, wenn es in deinem Interesse ist, fallweise auch unpersönlich sein und Nein sagen, ohne Begründung.

      Wenn es dir gelingt, wenn du es schaffst, nicht mehr alles zu kommentieren, was du vorhast, was du tust, dann bist du in einer Win-Situation. Garantiert! Ich erzähle heute noch immer unaufgefordert viel zu viel und vor allem zu detailliert. Das ist absolut unnötig. Es genügt völlig zu sagen: »Ich habe keine Zeit. Ich möchte nicht. Ich habe einen Termin.« Vielleicht hast du einen Termin mit dir selbst? Das sollten die wichtigsten Termine sein. Die Vereinbarungen mit dir. Notiert und darauf harrend, umgesetzt zu werden. Verschiebe keine Termine mit dir! Wenn du deine persönlichen Termine (ich meine damit Sport, Entspannung, Massage, vielleicht auch »nur« in Ruhe ein Bad) immer wieder zugunsten der anderen verschiebst oder gar absagst, dann bleibt deine Lebensqualität garantiert auf der Strecke. Und damit deine Lebensfreude, so du sie noch verspürst.

      Ich habe in meinem Buch Nur keine Panik – Mein Weg zurück ins Leben davon geschrieben, dass »Zeit nicht Geld ist«, wie das Benjamin Franklin weiland formulierte: Zeit ist meiner Meinung nach ausschließlich Lebensqualität. Diese eigene Lebensqualität hängt zu einem großen Maß davon ab, mit wem ich meine (immer kostbarer werdende) Zeit verbringe. Natürlich sind wir psychisch und physisch auf das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen angewiesen, aber aussuchen können wir uns jene, mit denen wir unser Dasein oder auch nur einen Teil davon verbringen, schon selbst. Wenn ich das überrissen habe, wenn dir das klar ist, dann wird mein/dein Selbstwertgefühl eine spürbare Steigerung, ja ein regelrechtes Hochgefühl erleben. Dann werde ich mich nicht nur innerlich aufrichten, mein »Aufrecht-Sein« wird auch körperlich wahrnehmbar. Richte dich auf! Hab mehr Vertrauen in dich!

      Mein persönliches Selbstwertgefühl erlebte eine fühlbare Steigerung, als ich mit den geschätzten Vertreterinnen meines Verlages über ein mögliches zweites zu schreibendes Buch sprach. Ich erzählte ihnen von meinen Ideen, von meinen Wünschen, von meinen vermeintlich wunderbaren, geplanten weiteren Autoren-Tätigkeiten (und damit verknüpft hoffentlich auch weiteren Erfolgen) – darunter ein Werk mit dem vielversprechenden Titel Keine Panik vor Weihnachten, das war mein erster Vorschlag. Ein Buch gegen den ewig wiederkehrenden Perfektionismus, der viele von uns bereits Mitte September im Hinblick auf das große Fest überfällt, uns wie ein riesiges imaginäres Spinnennetz einhüllt und dem zu entkommen fast unmöglich scheint. Ein Buch gegen den überbordenden Einkaufswahnsinn, ein Buch gegen die völlig falsch verstandene Bedeutung des großen Festes, ein Buch gegen den irrsinnigen Fress- und Saufwahnsinn in diesen besinnlichen Tagen. Ich hatte unzählige Interviews mit Betroffenen geplant, mit »Weihnachtsaussteigern«, mit Menschen, die sich aufgrund ihrer langjährigen Weihnachtsqualen und -kompromisse vermutlich ganz gut auskennen, die interessante Tipps und Ratschläge parat haben. Ratschläge … Was für ein schreckliches Wort. Das ist ein Begriff, den ich so gar nicht mag.

      Sei es, wie es sei: Das etwas andere Weihnachtsbuch mit Fakten, Informationen und viel Unterhaltung. Ich dachte mir, das ist doch super, das muss den Verlagsdamen gefallen, die werden euphorisch reagieren! Gefehlt. Die Reaktionen der Verlagschefin, meiner Lektorin, der PR-Verantwortlichen fielen nicht ganz so aus, wie ich mir das erhofft, ja erwartet hatte. »Na ja« war in etwa der Grundtenor. Und ich weiß, dass sich die Damen vornehm, geradezu vorsichtig ausgedrückt haben. Na ja. Was musste ich erkennen? Falscher Zeitpunkt, falsches Thema. Das Buch müsste im Übrigen schon fertig geschrieben sein, um noch vor Weihnachten verkauft zu werden, lautete ein zarter Hinweis. Oder würdest du ein Weihnachtsbuch im Frühjahr erwerben wollen? Ja? Dann schreibe ich es. Das werde ich übrigens ganz sicher tun. Zum richtigen Zeitpunkt. Na ja. Und so diskutierten wir hin und her, die eine oder andere Idee tauchte auf, Resultate meiner überschäumenden Kreativität wurden an die Frauen gebracht und wieder spürte ich diesen leisen, aufkeimenden »Na ja«-Effekt. Ich muss dazu sagen beziehungsweise schreiben, dass es sich bei den Beteiligten um höchst wohlmeinende, empathische, feine Damen handelt. Zweifellos aber auch mit einer gewissen Strenge ausgestattet, aber die ist ja in Fällen wie dem meinen durchaus angebracht, wenn nicht sogar notwendig.

      Ich saß also da mit meinen Shorts, war absolut unpassend gekleidet (underdressed sagt man in feinen Kreisen, nicht?) … Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass es sehr heiß war, ein schwüler, drückender Sommertag. Trotzdem ging beziehungsweise geht das gar nicht. Shorts. Noch dazu, wo meine Beine auch nicht mehr die schönsten sind. Und dann tauchte sie auf, die entscheidende Frage: »Und, lieber Herr Pirchner, wie geht es Ihnen denn sonst so?« Und jetzt war ich dran mit einem »Na ja«. »Na ja«, sagte ich, »ich habe ein persönliches Projekt vor. Ich werde abnehmen. Abnehmen müssen! Aus gesundheitlichen, aber auch aus optischen Gründen. Und sagen Sie jetzt bitte nichts. Von wegen nicht notwendig und so.« Sie taten es ohnehin nicht. »Stellen Sie sich vor, ich habe erstmals in meinem Leben eine dreistellige Anzahl Kilogramm auf die Waage gebracht.« Dann erklärte ich noch kurz, wie ich mir das vorstellte. Etwa ein halbes Jahr Zeit – Ziel: minus 10–12 Kilogramm, ganz ohne Diäten und sonstigen Unsinn. Ernährungsumstellung, professionelle Begleitung durch eine chinesische Medizinerin und eine Ernährungwissenschafterin – beides Personen meines Vertrauens –und dazu eine regelmäßige schulmedizinische Abklärung meiner Werte. Diese sind leider oder selbstverschuldet (zum Teil wenigstens) nicht ganz so gut, wie ich mir das wünschen würde. »Sie schauen gesünder aus, als Sie sind«, sagte mir der (leicht übergewichtige, rotgesichtige) Arzt bei meinem letzten Check mit einem etwas besorgten Unterton. »Cholesterin, Triglyceride, Bauchumfang, Gewicht – bei einer Größe von 1,88 Meter. Ein eindeutig zu hoher Fettanteil und dann noch eine leicht beleidigte Leber.« Nicht Leberwurst: Leber. »Was heißt beleidigte Leber?«, wollte ich wissen. »Sie haben eine Fettleber. Wahrscheinlich tschechern Sie zu viel.« Na bravo.

      »Aber das sieht man doch überhaupt nicht, dass Sie zu dick wären!«, sagte die liebe Verlagschefin. Ich denke, sie hat mich damals das erste und letzte Mal im Rahmen unserer gemeinsamen Arbeit angelogen. Egal, die Eitelkeit muss ja auch gepflegt werden und vor allem das Selbstmitleid. Das Mitleid mit mir selbst – das war jahrelang ein treuer Begleiter und ist es fallweise heute noch. Aber es wird immer weniger. Die Verlagsdamen schienen angetan zu sein, das gefiel ihnen augen- und ohrenscheinlich und wir beschlossen mündlich, dass wir unser gemeinsames Projekt angehen.

      Das freute mich sehr, das war spannend, aber auch eine Herausforderung. Das, was du auf den folgenden 223 Seiten liest, ist dabei herausgekommen. Hab viel Freude mit meiner Geschichte, freunde dich mit meinem, und ich empfehle dir auch mit deinem, Schweinehund an, denn es ist eine meiner Meinung nach untrennbare Symbiose. Im »Panik«-Bestseller habe ich über den Schweinehund ein paar Zeilen geschrieben. Er ist an allem schuld. Er wird zur Verantwortung gezogen, wenn ich rauche, wenn ich zu viel trinke, wenn ich Nahrungsmittel in mich hineinstopfe, als gäbe es kein Morgen, wenn Fähigkeiten, Talente und Eigenschaften wie Beherrschung, Disziplin, Korrektheit, Bescheidenheit, Askese und viele mehr auf der Strecke bleiben. Wenn Sinnen und Trachten nach eigener Verantwortung im endlosen Meer der Lüste und Genüsse ertrinken. Das ist der Schweinehund oder jener Anteil in dir, der sich so nennt … Und der sich dann (meistens) durchsetzt. Und er gewinnt oft, nicht wahr?

      Kommt dir das bekannt vor? Was ich immer noch nicht ganz verstehe, ist die Tatsache, wie der Hund und das Schwein dazu kommen, diese scheinbar endlose Symbiose, diese Gesamtheit bilden zu müssen. Das sind doch beides ganz annehmbare und schätzenswerte Lebewesen, der Hund mehr als das Schwein aus meiner Sicht – nur diese Begriffszusammensetzung, dieses Wortkonstrukt ist komisch. Aber jeder weiß, was man darunter versteht. Unverständlich auch die Charaktereigenschaften, die ich/du als Individuum ihm gegenüber haben: Da sind wir schwach, kraftlos, entscheidungsmüde, widerstandslos – er hingegen ist stark, vereinnahmend, vor Energie strotzend, gigantisch und sehr wohlbeleibt. Ja, der Schweinehund ist in meiner Vorstellung gut genährt.

      Diese Worte, Bilder und Gefühle sind zusammengefasst meine Gedanken. Der Schweinehund ist vollschlank. So wie ich. Bin ich dadurch ein Schweinehund? Nein, sicher nicht. Nur: ich bin überzeugt


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