Ich bin, was ich bin. Claudio Honsal

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Ich bin, was ich bin - Claudio Honsal


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wir die einzelnen Songs, die wir bei der Galavorstellung präsentierten.

      Einer davon war „Aquarius“, das wohl bekannteste Lied aus dem Musical Hair. Man wählte mich aus, den Song zu interpretieren – meine Stimme, mein Auftreten, das Gesamtpaket passte –, obwohl ich doch astrologischer Schütze bin. Es gab nur ein ganz kleines Problem: Ich hatte weder von diesem Lied noch vom dazugehörigen Musical je zuvor gehört. Eine VHS-Kassette musste her. Ich studierte den Song Hunderte Male, sog ihn förmlich auf, und obwohl „Aquarius“ in der Originalversion für eine weibliche Stimme vorgesehen war, sollte ausgerechnet ich damit bravourös reüssieren.

      Nach drei Monaten intensivem Gesangstraining, Ballett-, Tanzunterricht und den Proben in der Schule feierte die bunte Musical-Revue schließlich ihre Premiere im Saalbau von Bockum-Hövel, einem Ortsteil von Hamm. Über 400 Gäste saßen im Publikum, vornehmlich jene passionierten Theatergeher, die stets nach Essen, Münster oder noch weiter weg fahren mussten, um ihren Kulturhunger stillen zu können. Interessierte Kulturpendler, die man durchaus als kritisches Publikum einzuschätzen hatte, das war uns allen bewusst. Und genau vor diesem Auditorium feierte unsere Laieninszenierung Dreams on Broadway einen grandiosen Erfolg.

      Ich war überglücklich und stolz. Annettes Prognose sollte sich als richtig erweisen. Meine Interpretation von „Aquarius“ wurde am lautesten beklatscht. Es war mein erster Hit!

      Nur noch ein weiteres Mal führten wie im Rahmen einer Gala diese Musical-Revue auf, doch der Traum von der großen Bühne sollte mich von nun an nicht mehr loslassen.

      Frühe Statements

       Ich weigerte mich, mit der Waffe dem Vaterland zu dienen

      Schon Jahre, bevor ich mit dem Thema Bundeswehr, also dem von Männern zu leistenden Dienst für Volk und Vaterland, konfrontiert wurde, war mir klar, dass ein Dienst mit der Waffe für mich niemals in Frage kommen würde. Gewalt hasste ich immer schon, war es im Sandkasten, im Kindergarten oder in der Schule. Die zeitgeistige Friedensbewegung, die den meisten von uns aus der Seele sprach und wichtige Denkanstöße gab, hatte das Übrige dazu beigetragen, dass ich den Militärdienst verweigerte. Es war die Zeit des Kalten Krieges, in den Klassenzimmern hingen Poster mit der provokanten Frage: „Bundeswehr, wozu? Es genügt ein Knopfdruck auf die Atombombe!“ Waffen, Krieg, Bundeswehr waren mir zuwider, passten schon damals nicht in meine Welt. Im Deutschland der 1980er-Jahre mussten Verweigerer allerdings noch sehr überzeugende Argumente vorbringen, um die strenge Kommission zu beeindrucken. Wer nicht überzeugen konnte, wanderte ins Gefängnis.

      So wäre es wohl auch mir ergangen. Beim Gedanken daran läuft mir heute noch ein Schaudern über den Rücken. Für mich war es alles andere als eine alltägliche Situation, als ich in Hamm der Richterin, die in wenigen Momenten über Zivildienst oder Haftstrafe entscheiden würde, gegenübersaß und sie von meiner Anti-Kriegs- und Anti-Gewalt-Gesinnung überzeugen musste. Wochen zuvor hatte ich die schriftliche Version meiner Einwände schon abschicken müssen. Damit hatte ich kaum Probleme gehabt, da hatte ich meine Argumente schwarz auf weiß und wohlüberlegt zusammengefasst. Aber face to face mit der Richterin übermannte mich die Nervosität. Vor einem Gericht zu sitzen, das hatte etwas mit Verbrechen, mit Straftaten zu tun, obwohl ich doch nur meine humanistische Überzeugung zum Ausdruck bringen wollte.

      Den Terminus „Notwehr“ im Zusammenhang mit einem militärischen Einsatz konnte und wollte ich nicht gelten lassen – also die typische Fangfrage, die selbstredend auch mir gestellt wurde. Na klar würde ich mich verteidigen, wenn mich jemand angriffe. Ich würde mich wehren, aber das um meiner selbst willen oder wenn ein Freund oder die Familie in Gefahr wäre. Aber der Gedanke daran, den Umgang mit einer Waffe zu erlernen, um auf lebende Ziele, einen Feind, einen Verräter, zu schießen, kam mir absurd vor. Es war für mich undenkbar, für Volk und Vaterland in eine solche Situation gebracht zu werden, unvorstellbar, trainiert zu werden, mich mit einer todbringenden Waffe zu verteidigen.

      Nicht einmal als Kind hatte ich mit Waffen gespielt. Ich hatte keine Panzer, Kampfflugzeuge oder anderes Kriegsspielzeug. Im Kindergarten oder später in der Kindertagesstätte spielten wir vielleicht mal Cowboy und Indianer mit selbstgebastelten Gewehren oder Colts aus Ästen, aber das macht wohl jedes Kind. Selbst das in der Nachbarschaft von Kindern lauthals geschriene „Ratatatata“ eines Maschinengewehrs mochte ich nicht. Vage erinnere ich mich an ein Indianerfort, so wie man es aus den Lederstrumpf-Büchern und Filmen kennt, die mich prägten. Noch nach so vielen Jahren höre ich da sofort die Stimme von Karin Dor. Nach der Schule legten wir wieder und wieder die Lederstrumpf-Hörkassette ein und lauschten aufmerksam den Abenteuern aus dem Wilden Westen, während wir in der Küche Ravioli aus der Dose heiß machten. Und auch unten beim Essen im Partykeller hörten mein Bruder und ich die spannenden Geschichten fast jeden Tag, während unsere Eltern in der Arbeit waren.

      Das klingt heute hart, war aber etwas ganz Normales. Wir waren Schlüsselkinder, und als Schlüsselkind hatte man zumindest den einen Vorteil, täglich einer Hörkassette lauschen zu dürfen, bevor es an die Hausarbeiten ging – so war es ausgemacht mit unseren Eltern.

      Nach meinem Termin bei Gericht vergingen einige Tage des Bangens und Hoffens. Doch schließlich kam der erlösende Brief der Zivildienstkommission. Es war wie das Bestehen des Abiturs! Eine unglaubliche Last fiel von meinen Schultern. Erleichterung pur, denn andere Anwärter aus Hamm hatten jahrelang mit der Kommission zu tun, bis ihnen endlich der Zivildienst zugesprochen wurde. Vielleicht hat es ja geholfen, dass ich im Ort nie das Image eines gewaltbereiten Raufboldes hatte, stets als lieb und brav, ja geradezu als schüchtern galt. Vielleicht hatten gerade diese Eigenschaften, für die ich mich beinahe schämte, den Ausschlag für die Befreiung vom Militär gegeben. Oft haderte ich mit mir selbst, empfand mich als langweilig, aber genau in diesem Moment war mir all das völlig egal. Ich hatte im Kampf gegen den überflüssigen Bundeswehrdienst einen ganz persönlichen Sieg errungen – ohne Gewalt, ohne Waffen – nur mit Argumenten und Überzeugungskraft.

       Mein Zivildienst in der Jugendpsychiatrie

      Meiner neuen Arbeit als „Zivi“ stand nun nichts mehr im Weg. Ich hatte auch schon Erkundigungen bei einem guten Freund der Familie eingeholt, der sich auf diesem Gebiet auskannte. Ich wollte in Hamm bleiben und nicht irgendwohin geschickt werden, wo gerade Not am Mann war. Gleich in der Nähe gab es das Institut für Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik, und genau da wollte ich arbeiten. Spannend, interessant, aber auch anstrengend sollte es dort sein, hatte ich mir von Kundigen berichten lassen. Ich wurde genommen, hatte eine sinnvolle Aufgabe und freute mich auf den Zivildienst, obwohl der Ersatzdienst in Deutschland damals noch als Strafe angesehen wurde, als Strafmaßnahme für das Verweigern. Das schlug sich in der Dienstzeit nieder. Dauerte der „rechtschaffene“ Dienst mit der Waffe lediglich zwölf Monate, so waren für uns Zivis, die wir in Sozialeinrichtungen tätig waren und sinnvollen Ersatzdienst leisteten, satte 21 Monate verpflichtend. So sah man uns Verweigerer damals.

      Dennoch war ich glücklich, und es begann eine aufregende, arbeitsintensive und vor allem prägende Zeit. Hier wollte ich alles lernen, alles erfahren über die seelischen Krankheiten, die Verirrungen des menschlichen Geistes, die Betroffenen und die Therapien. Der schulische Zwang war abgefallen, hier musste ich nicht, hier durfte und wollte ich lernen.

      Schnell begriff ich, wie wichtig es war, das Netz, dieses Gefüge von Therapeuten und Mitarbeitern, so eng zu flechten, dass keiner der Patienten auch nur ansatzweise durchschlüpfen konnte. Ich befand mich auf der Jugendpsychiatrie und hatte auch als Azubi Verantwortung zu tragen. Meine Kollegen für die kommenden beiden Jahre waren Ärzte, Psychotherapeuten und Psychiater. Meine Patienten waren verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 20 Jahren.

      Es handelte sich um eine teils offene, teils geschlossene Psychiatrie, in der man in Teams mit bis zu sechs Jugendlichen arbeitete. Für mich war es eine völlig neue Situation, die mir aber eine gewisse Geborgenheit gab, denn bislang war ich ja, wie erwähnt, als Einzelgänger und Schlüsselkind durchs Leben gegangen. Obwohl ich nur ein Lehrling war,


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