Ich bin, was ich bin. Claudio Honsal

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Ich bin, was ich bin - Claudio Honsal


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Nässe und allein der Geruch von Wald machten mich fast wütend. Oft begann ich aus einer Trotzreaktion heraus während des Musizierens meine Wolle und Stricknadeln auszupacken und am Lagerfeuer Schals und Pullover zu stricken, nur um Vater zu provozieren.

      Heute stelle ich immer öfter fest, dass ich Papa ungewollt in manchen Dingen sehr ähnlich geworden bin. Vielleicht hat er mich doch geprägt. Gerade in der Zeit, als wir Der Besuch der alten Dame in Thun spielten, habe ich die Natur, den See, die Berge und auch den Wald bewusst wahrgenommen, auf eine neue Weise entdeckt und lieben gelernt. Ich war überrascht. Vielleicht bin ich ja doch nicht der eingefleischte Stadtmensch, für den ich mich immer gehalten habe.

      „Uwe ist von allen Geschwistern unserem Vater immer am ähnlichsten gewesen, nur wollte er das nie hören. Er hat auch alles unternommen, um anders zu sein.“ So urteilt mein jüngerer Bruder. Und Annette meint: „Die Farbe Grün konnten wir Kinder schon gar nicht mehr sehen, denn unser Vater rannte in der Freizeit fast ausschließlich in Weidmannstracht herum.“

      Unsere Mutter, die stets auf der Seite der Kinder und besonders auf meiner stand, sorgte als flinke Schneiderin für bunten, wenn auch sehr geschwisteruniformen Ausgleich. Ich bin überzeugt, dass meine schöngeistige Neigung zur Musik und zur Kunst genetisch mütterlicherseits verwurzelt ist, die furchtbaren pseudoromantischen Hüttenabende in Vaters Revier können es wohl nicht gewesen sein.

      Oft erzählte mir meine Mutter von meinem Opa: „Dein Großvater spielte mehrere Instrumente und war ein sehr weltoffener Mensch mit liberalen Einstellungen, die man damals bei uns im kleinen Hamm nicht immer teilte.“

      Mein Großvater lebte lange Zeit in Berlin, und neben der Leidenschaft für die Musik lag ihm auch die bildende Kunst am Herzen, was auch mir nachgesagt wird. Ich hatte eine natürliche Begabung zum Zeichnen. In der Grundschule porträtierte ich in den damals noch verpflichtenden Handarbeitsstunden meine Klassenkollegen, und ich interessierte mich brennend für die Schneiderarbeit meiner Mutter. Es war zwar nicht sehr knabenhaft, aber ich konnte ganz passabel nähen und stricken. Für Annettes Puppen skizzierte ich den einen oder anderen Entwurf für ein Kleid, den dann zumeist meine Mutter umsetzte.

      Alle haben wir mit Puppen gespielt, denn Spielzeug, wie es die Kinder heute in rauen Mengen haben, kannten wir nicht. Nach dem Abendessen fertigte ich Kohlezeichnungen oder experimentierte mit Pastellfarben.

      „Schaut mal, das sind Frühwerke meines kleinen Bruders. Der kann nicht nur singen, sondern auch ziemlich gut malen und zeichnen.“ So präsentiert meine Schwester ihren Besuchern zwei Bilder von mir, die sie bei sich zuhause an der Wand hängen hat. Auf dem einen sieht man halbverspeiste Maiskolben, die ich irgendwann einmal nach dem Mittagessen mit Pastellfarben festhalten musste, und auf dem anderen zwei einander umschlingende Hände, die sich immerwährende Liebe schwören – mein Hochzeitsgeschenk an Annette und ihren Mann.

      Ja, hätte ich mehr Energie in diese Kunstform investiert, vielleicht wäre ich heute bildender Künstler. Manchmal würde es mich reizen, zum Pinsel oder zum Kohlestift zu greifen, aber es ist die fehlende Zeit, die mich abhält. Ich weiß genau, dass mich gleich wieder mein Ehrgeiz packen würde. Ein richtiger Berufswunsch war es jedoch nie.

      Zahnarzt wollte ich als Kind werden, vor diesem Beruf hatte ich Respekt. Wolfgang wollte Tierarzt werden.

      „Wenn man die beiden Kleinen fragte: ‚Und was will eure Schwester einmal werden?‘“, erinnert sich Annette an einen unserer Aussprüche, „dann kam stets die Antwort: ‚Annette muss unsere beiden Praxen sauber machen!‘“

      Das dürfte zwar in der Kategorie „Märchen und Legenden“ anzusiedeln sein, aber immerhin ist Annette die Einzige von uns, die sich schließlich für einen medizinischen Beruf entschieden hat. Das macht mich stolz auf sie.

      Wolfgang war schon sehr früh überzeugt, dass ich einmal einen künstlerischen Beruf ergreifen würde und hat mich um meine Talente beneidet. Keine Ahnung, ob er weniger begabt war. Er hat mich etwas angehimmelt. Als großer Bruder hatte ich eine gewisse Vorbildwirkung. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, und so, wie Annette mich am Hals hatte, musste ich später meinen Bruder mitschleppen. Für ihn war es sicher eine spannende Zeit bei den diversen Schultheateraufführungen oder später bei den Auftritten mit Saitensprung.

      Irgendwie wussten oder ahnten in der Familie alle – bis auf Vater – dass mich die schönen Künste begeisterten. Als ich mich nach dem Zivildienst für eine künstlerische Laufbahn entschieden hatte und bei meinem Entschluss blieb, konnte sich die gesamte Familie Kröger bald kaum noch einen anderen Beruf für mich vorstellen. Nur mein Vater war konsequent dagegen und machte das der restlichen Familie auch immer wieder klar: Von der Bundeswehr und einem anständigen Beruf träumte er für seinen Sohn, nicht von einer Karriere als Hungerleider. Lange Zeit glaubte er, ich oder später auch Wolfgang würden einmal in seinen Getränkevertrieb einsteigen und diesen weiterführen. Musiker und Tänzer waren für ihn keine Berufe. Immer wieder kam es deswegen zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen meinen Eltern. Mutter versuchte stets, ihn von der Richtigkeit meiner Entscheidung zu überzeugen. Vergeblich, er blieb stur.

      „Eine Charaktereigenschaft, in der du Vater sehr ähnlich warst“, hat mir mein Bruder einmal vorgeworfen. Ich selbst habe nie eine Ähnlichkeit zu meinem Vater gesehen und wollte das auch gar nicht. Die Erinnerungen an meinen Vater sind nicht die besten, damit habe ich zu leben gelernt.

      Etwas betroffen machte mich allerdings eine Aussage meiner Schwester, als sie mich in Salzburg bei The Sound of Music besuchte: „Uwe, du wirst es nicht gerne hören, aber es hat mir förmlich einen Stich ins Herz versetzt, als du als Kapitän von Trapp in Lederhosen und mit der Gitarre in der Hand, umringt von Kindern, das Lied ‚Edelweiß‘ intoniert hast. Da saß plötzlich Papa auf der Bühne, wie er leibte und lebte!“

       Ich wollte nie so wie mein Vater sein

      Es macht mich manchmal nachdenklich, traurig und auch wütend, wenn ich über Vater nachdenke. Mag sein, dass ich ihm optisch immer ähnlicher werde. Würde ich nicht so viel Sport betreiben, hätte ich wohl mittlerweile auch den für ihn typischen Bauch, der jedem in Erinnerung ist, wenn er an Hermann Kröger denkt.

      Es ist für mich immer noch eine sehr emotionale Angelegenheit, über Vater zu sprechen. Ich wollte nie so sein wie er, empfand ihn als furchtbar. Er war jähzornig, dominant und verbreitete schlechte Laune. Er hatte eine Gabe, seine Familie einzuteilen und mit Dingen zu beschäftigen, die vor allem uns Kinder überhaupt nicht interessierten. Sobald er sah, dass wir spielten oder uns mit einem Buch, einer Zeichnung selbst beschäftigten, hat er uns nach seinen Maßstäben sinnvoll zwangsbeschäftigt. Ob mit Gartenarbeit oder dem Stapeln der Getränkekisten im Lager, egal. Es musste nach seinem Kopf gehen. Völlig sinnlos waren die ewig langen Autofahrten, wenn wir ihn bei der Auslieferung der Getränke begleiten mussten. Wolfgang und ich saßen einfach nur im Auto und warteten gelangweilt auf ihn. Hauptsache, er hatte uns um sich und konnte uns kontrollieren.

      Die Ablehnung, die Distanzierung und schließlich der von mir gewollte Bruch mit meinem Vater hatten ihre Wurzeln in meinen Kindertagen. In vielen Gesprächen beteuerte meine Schwester zwar: „Uwe, du warst immer Papas Liebling, du hast es nur nicht bemerkt“, aber es war auch nie zu bemerken. Ich war der erstgeborene Sohn, der erste männliche Nachkomme und ein Wunschkind, wie mir Mutter immer versichert hat. Und das wird es wohl gewesen sein: simpler männlicher Stolz. Die Erhaltung der Familie, des Namens Kröger, war gesichert. Mein Vater hat praktisch gedacht, richtige Vaterliebe habe ich nie erfahren. Zwischen Wunsch und realem Leben liegen eben doch Welten, wahrscheinlich auch zwischen meiner Vorstellungswelt und jener meiner Schwester und meiner Mutter, denn der Realität, die ich erleben musste, entsprechen ihre Aussagen nicht.

      Ich kann nicht einmal sagen, dass Vater sehr große Unterschiede in der Behandlung seiner Kinder gemacht hat. Jeder von uns hat einfach anders reagiert. Ich mache Annette keinen Vorwurf, aber den Jagdschein zum Beispiel hat sie ihm zuliebe gemacht. Ich habe heute noch ein riesiges Problem mit allem, was mit Weidmannsideologie zu tun hat, und Wild kann ich nicht einmal riechen, geschweige denn essen. Als Kinder wurden wir regelrecht dazu


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