Die Frage bleibt. Freda Meissner-Blau
Читать онлайн книгу.Ahnung. Geht mein Bruder durchs Zimmer und fragt: »Was machst denn du da? Was spielst du herum?« – »Ich muss ein Sündenbekenntnis schreiben, und ich weiß nicht, was ich schreiben soll.« – »Ist doch leicht, schreib einfach hin: ›Ich habe gelogen, ich habe betrogen, ich habe die Katz am Schwanz gezogen.‹ « Ist ein altes Sprücherl. Ich frag noch: »Meinst?« – »Ja.« Na, wenn mein älterer Bruder das sagt. Ich war erleichtert und schrieb das Sprücherl auf.
Am nächsten Tag mussten wir in den Neuen Dom in Linz, wo alles so unheimlich war, recht düster. Und in den ganz düsteren Ecken waren diese kleinen Häuschen, die Beichtstühle, in denen man niederknien musste; ich kniete auch. Plötzlich geht bei dem Gitter das Türl auf – ist da mein Religionslehrer. Ich erschrecke, denn der mag mich ja nicht. Er fragt: »Was sind deine Sünden? Bekenne!« Ich sage mein blödes Sprücherl auf. Na, mehr hat er nicht gebraucht. Er war außer sich und sagte: »Du gehst jetzt zum Marienaltar und sagst fünfzig Vaterunser und zwanzig Ave-Maria, und den Rosenkranz betest du zehn Mal.« Ich habe nicht gewusst, warum, aber ich ging dorthin, kniete nieder und hab’s schnell runtergeradelt: »Vater unser, der du bist im Himmel …« Ich hab’s brav gemacht und bin rausgegangen.
Dann hieß es, am nächsten Tag müssten wir nüchtern in die Schule kommen, denn da sei der große Tag, die heilige Kommunion. Ich hatte noch zu meiner Mutter gesagt: »Mami, ich brauch ein weißes Kleid.« Worauf meine sehr vernünftige Mutter, die zwar Taufscheinkatholikin war, aber der die katholischen Rituale fremd waren, meinte: »Ich denke nicht daran, dass ich dir ein Kleid für ein Mal kaufe. Zieh ruhig dein rotes Samtkleid, dein Sonntagskleid an.« So zog ich das rote Sonntagskleid an und ging in die Schule. Dort fiel mir das Herz in die Hose. Waren doch die ärmsten Kinder aus der Altstadt in Organdykleidern, die bis zum Boden reichten, mit beneidenswerten Kerzen mit Silber- und Goldschrift und Kreuzen. Ich war geblendet. Ich stand da in meinem roten Kleidchen und war voller Neid und Sehnsucht. Alle hatten große Maschen in den Haaren, und ich hatte nichts. Als die Lehrerin und der Pfarrer – es war immer derselbe Pfarrer, der mich verfolgt hat – kamen, sagt dieser Pfarrer: »Meissner, du gehst zwischen der Frau Lehrerin und mir, du störst das ganze Bild.« Ich durfte nicht mit den Kindern, die in Weiß waren, gehen!
Das hat mich tief gekränkt. Dann bekamen wir die Oblate. Ich hatte Angst, dass ich in sie reinbeiße, denn es war uns gesagt worden: »Wenn ihr hineinbeißt, dann beißt ihr in den Leib des Herrn Jesus Christus.« In den wollte ich ja nicht beißen. Die Oblate blieb mir – ich spüre das heute noch – am Gaumen kleben. Jetzt muss ich ja darüber lachen, aber damals war ich verzweifelt. Ich versuchte, die Oblate mit der Zunge runterzudrücken. Nachher gab’s dann im Pfarrhof Kakao mit Guglhupf. Und stellen Sie sich vor, ich durfte wieder nicht bei den anderen Kindern sitzen, musste wieder die ganze Zeit zwischen diesem schrecklichen Priester und der Lehrerin sein.
Ich habe es meiner Mutter sehr übel genommen, dass sie in dieser Situation aus mir eine Außenseiterin gemacht hatte. Lange Zeit wagte ich nicht, es ihr zu sagen. Erst, als ich erwachsen war, fragte ich: »Du sag einmal, Mami, warum hast du mir damals nicht …?« Da antwortete sie: »Ja, warum hast du nicht gesagt, dass das sein muss, dann hättest du es auch bekommen.« Na ja … Aber damals bei der heiligen Kommunion hat meine Abkehr von der Kirche endgültig begonnen. Es war für mich eine Pein, dass wir Volksschulkinder – das war ein derartig strenges Regime – jeden Sonntag in der Schule antreten mussten; von dort wurden wir von einem Priester in den Neuen Dom geschafft. Jeden Sonntag mussten wir der Messe zuhören. Da war der Sonntag verpfuscht.
Da gingen Sie schon lieber in den Kürnberger Wald?
Das ist wahr, da war’s mir noch lieber, sonntags keltische Scherben zu suchen. Eigentlich war ich froh, wenn mir meine Eltern eine Entschuldigung schrieben.
Haben Sie noch weitere Erinnerungen an Ihre Linzer Schulzeit?
Ich besuchte eine Volksschule, in die vor allem die armen Kinder gingen, die in der Nähe der Altstadt und in der Altstadt selbst wohnten. Aus der »schönen« Schule, der Figuly-Schule, war ich rausgeflogen. Das kam so: Als ich noch in die Figuly-Schule ging, mussten wir Mädchen natürlich auch sticken, ich konnte aber nicht sticken. Bei mir wurde das immer sehr braun und mal zugezogen, dann habe ich wieder ganz locker gelassen und es wurde zu weit, eine Ziehharmonika. Ich wurde von der Handarbeitslehrerin immer geschimpft. Zu Hause bin ich gesessen und habe geflennt. Unser Stubenmädchen Resi hat mich gefragt, warum ich weine. »Ich kann das nicht«, habe ich gesagt. »Komm, ich mach dir das.« So machte sie mir tadellos die verschiedenen Stiche, die ich hätte lernen sollen. Na, ich komme stolz mit dem Ding in die Schule, und die Lehrerin behauptet: »Das hast du nicht gemacht.« Sag ich: »Nein, das hat die Resi gemacht.« Daraufhin haben sie meinen Vater in die Schule bestellt – meinen Vater, der sich nie um uns gekümmert hat, der nicht einmal wusste, in welche Schule wir gingen. Das war auch das einzige Mal, dass er dort war. Er kommt in die Schule, reißt die Tür des Klassenzimmers auf und fragt die Handarbeitslehrerin: »Sie wollten mich sprechen?« – »Ja, Herr Doktor, wir gehen hinaus.« Sie gehen ins Lehrerzimmer, und ich wie ein Pfitschipfeil hinterher und lausche an der Tür. Da höre ich, wie er sie anbrüllt: »Sie dumme Kuh!« Das war das Ende meiner ersten Klasse Volksschule. Ich flog raus und ging dann in die einfache Baumbachschule.
Um noch einmal auf diesen staubigen und engen Katholizismus zurückzukommen: Gerade in der Schule habe ich damals schon gemerkt, dass die Kinder, deren Eltern mit der Kirche oder mit der damaligen Clique zu tun hatten, viel besser gestellt waren als die anderen. Im Rückblick glaube ich, dass meine Abkehr von der katholischen Kirche meine erste wirkliche Rebellion war. Ich muss Ihnen gestehen, dass mir letztlich die Nazis dabei behilflich waren. Mit vierzehn, am Tag genau, als ich vierzehn Jahre alt wurde, das war am 11. März 1941, bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich habe niemanden gefragt, man durfte das damals nämlich mit vierzehn. Damit war für mich das Kapitel Kirche – vorläufig – geschlossen.
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