Der einsame Mensch. Rotraud A. Perner

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Der einsame Mensch - Rotraud A. Perner


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Suche nach Gemeinschaft ist die Suche

      nach Lebendigem.

      Der flexible Mensch soll verschiebbar sein wie ein Bauer auf dem Schachbrett. Familie stört dabei: Kinder, Partnerpersonen oder pflegebedürftige Angehörige stellen Anforderungen an Zeit und Zuwendung. Es gehe nicht um Quantität, sondern um Qualität der miteinander verbrachten Zeit, lautet die übliche Schönrederei. Tatsächlich wirkt aber die Botschaft: Alles andere ist wichtiger als du!

      Eine weitere Botschaft lautet: Jeder ist ersetzbar! Der Psychoanalytiker Gustav Bovensiepen (* 1944) schreibt hinsichtlich der globalen Allverbundenheit über elektronische Medien: »Dagegen steht eine immense Flüchtigkeit des Objekts, sei es als tägliche ›Totalverluste‹ an der Börse, wenn Gelder in Milliardenhöhe innerhalb von Sekunden ›verbrannt‹ werden, wie die Börsianer sagen, als tägliches Aussterben von Tier- und Pflanzenarten, als sofortiger Ersatz oder als Austauschbarkeit von Objekten des Alltags im Sinne der ›Wegwerfgesellschaft‹. Zum Verschwinden gehört auch ein Trend in der Unternehmensführung: das ›Hot-desking‹. Dabei haben die Mitarbeiter grundsätzlich keinen festen Schreibtisch, es sollen auch keine persönlichen Gegenstände eine Bindung an den Arbeitsplatz signalisieren; man nimmt sich den Tisch, der gerade frei ist, und verschwindet wieder mit seinem Laptop, wenn der Job getan ist. ›Jobnomaden‹, die rasch von einer Stelle zur nächsten einsetzbar sind, werden bevorzugt.«57 Damit würden auch Abschied oder Trauer vermieden – und, ergänze ich, überhaupt Gefühle. Die brauchen nämlich Zeit – und die soll ja eingespart werden.

      Soziale Bindung entsteht aus einem Gefühl gegenseitiger Abhängigkeit, betont der amerikanische Soziologe Richard Sennett (* 1943).58 Aber wird dies positiv empfunden? Langsam erspürte Abhängigkeit kann sehr wohl ein angenehmes Gefühl von Einigkeit hervorrufen – dann, wenn man das, wovon man abhängt, liebt und genießt. Die schnell empfundene Abhängigkeit hingegen hat einen Beigeschmack von Unfähigkeit zur Selbstgestaltung – auch steckt das Wort »abgehängt« drinnen, und genau dieses Schicksal droht bei Abhängigkeiten, egal ob es sich um existenzielle oder psychische handelt. Es ist wichtig, sich der Qualität der Verflechtungen mit anderen und auch deren Brüchigkeit bewusst zu sein – und ebenso der Machtspiele mit »Lob und Strafe«, mit denen Menschen in »bindungsloser« Abhängigkeit gehalten werden.

      Bindung spürt man – sie ist etwas Lebendiges. Bindungslos bedeutet, dass kein psychischer Energieaustausch stattfindet. Was getauscht wird, ist Leistung gegen Geld. Auch Status beinhaltet letztlich nur Geld und ebenso Besitz. Lebendiges wird gegen Totes getauscht. Wenn man das erkennt, weiß man, dass die Suche nach Gemeinschaft die Suche nach Lebendigem ist.

      Die sogenannte »Weissagung der Cree« fällt mir ein: »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.« Vielleicht sollte man ergänzen: »Und wenn der letzte Mensch keine Gefühle mehr wahrnimmt, wird man merken, dass man ohne Liebe nicht menschlich leben kann.« Nur an und im Gefühl erkennen wir, wenn wir uns in einer Krise befinden und Veränderung, Erneuerung fällig ist – und dass wir andere dazu brauchen, damit wir uns nicht allein mühen müssen, vor allem aber nicht allein übrigbleiben.

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