Fundstücke. Georg Markus
Читать онлайн книгу.drei Goethe-Enkel lehnten das lasterhafte Leben ihrer Mutter ab, bei Walther schlugen sich die erotischen Eskapaden auch aufs Gemüt, und er hatte sein Leben lang Angst davor, mit der weiblichen Sexualität in Berührung zu kommen.
Almas letzte Reise führt nach Wien
Im Sommer 1844 treibt es Ottilie einmal mehr nach Wien, und Alma muss wieder mit dabei sein, so wollte es ihr unbarmherziges Schicksal. »Ich freue mich ungeheuer auf Weimar«, schreibt sie aus Wien voller Heimweh an ihre Großmutter, »ach, wie viele Bälle wird es im Winter dort geben«.
Sie musste, ohne es zu wollen, mit ihrer Mutter nach Wien reisen: Alma von Goethe in ihrem letzten Lebensjahr
Niemand ahnt, dass dies ihr letzter Auftritt sein würde
Doch es gibt keinen Winter mehr. Von der Mutter alleingelassen, baut sich Alma in Wien ihren eigenen Freundeskreis auf. Als der berühmte Botaniker und Goethe-Verehrer Stephan Endlicher, Direktor des Botanischen Gartens der Universität Wien, von Almas Anwesenheit erfährt, gibt er ihr zu Ehren am 27. September 1844 ein Gartenfest mit Tanz, das als Huldigung für die prominente Enkelin gedacht ist. Schüchtern und fast hilflos nimmt Alma, in einem rosafarbenen Moirékleid glänzend, den Applaus und die Verbeugungen der Gäste entgegen und zeigt sich glücklich über den freundlichen Empfang. Keiner der Anwesenden ahnt, dass dies ihr letzter Auftritt sein sollte.
Strahlend vergnügt kommt Alma heim zu ihrer Mutter, beginnt aber bald darauf über Kopfschmerzen zu klagen. Nach einer unruhigen Nacht stellen sich Symptome einer ernsten Erkrankung ein. Das Mädchen liegt den ganzen Tag über auf dem Sofa, Ottilie weicht nicht von ihrer Seite und liest aus einem Buch vor. Am Abend richtet sich Alma plötzlich auf, schlingt die Arme um den Hals ihrer Mutter und ruft: »Mein Mütterchen, Mamachen!« Als sie am nächsten Morgen erwacht, geht hohes Fieber mit einer Bewusstseinstrübung einher. Die befreundeten Ärzte Romeo Seligmann und Ernst von Feuchtersleben – letzterer auch Lyriker und ein Bewunderer Goethes – werden gerufen und stellen eine Typhuserkrankung fest. Verschmutztes Trinkwasser hat in Wien zu einer Epidemie, die viele Todesopfer fordert, geführt.
Der Tod ereilt Alma auf der Mölker Bastei Nr. 87
Alma stirbt noch am selben Tag, dem 29. September 1844, einen Monat vor ihrem siebzehnten Geburtstag, in der von ihrer Mutter gemieteten Wohnung an der Mölker Bastei Nr. 87.
Die Enkelin des Dichters wurde zwei Tage nach ihrem Tod auf dem Ortsfriedhof Währing – dem heutigen Schubertpark – beigesetzt. Mehr als vierzig Jahre später, inzwischen ist auch ihre Mutter schon verstorben, wurden Almas Gebeine auf Initiative der Familie Henckel von Donnersmarck nach Weimar überführt, wo sie zu Füßen des geliebten und verehrten Großvaters ruhen.
Ein Wiener Brunnen erinnert an Goethes Enkelin
Alma hatte bei ihrem letzten Wien-Besuch aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Lebensfreude und ihres einnehmenden Wesens in kurzer Zeit Aufsehen erregt. Der Münchner Bildhauer Ludwig Schwanthaler arbeitete in diesen Tagen am Standbild der Austria, die Österreich personifizieren und den von ihm entworfenen Austriabrunnen krönen sollte. Kurz vor ihrem Tod war Alma ihm für diese Figur Modell gestanden. Der Brunnen befindet sich heute auf der Wiener Freyung.
Grillparzers Nachruf auf Alma von Goethe
Franz Grillparzer, der Goethe einst in Weimer besucht und zu Ottilies Wiener Freundeskreis gezählt hatte, schrieb, tief getroffen vom Tod der Mädchens, das Gedicht »Alma von Goethe«, in dem er den verewigten Dichterfürsten persönlich anspricht:
Das hast du nicht gedacht, Gewaltger du,
Als du noch weiltest in der Menschheit Schlacken,
Dass einst dein Enkelkind frühzeitge Ruh
Soll finden in dem »Lande der Phäaken« …
Sie fühlte wohl den Wink der fernen Hand,
Die Sehnsucht nach dem Land der reinen Lilien,
Und ging dahin, so stamm- als wahlverwandt,
Verwaisend und verdoppelnd die Ottilien.
Du aber schaust mit ernstem Blick herab,
Wo sie der Grund, Beethoven nah, verschlungen,
Und sprichst kopfschüttelnd ob dem frühen Grab:
»Das war dir an der Wiege nicht gesungen!«
Alma als »letzter Sonnenstrahl« im Hause Goethe
Ottilie von Goethe dankte Grillparzer noch 1860, als ihre Tochter 33 Jahre alt geworden wäre, für diese Zeilen: »Sie haben mir durch Ihre Freundlichkeit gegen Alma, als sie noch mein Dasein schmückte, eine große Freude bereitet, doch was war es in dem Vergleich mit dem Gefühle der Dankbarkeit, das mein ganzes Herz ergriff, als Sie ihrem Gedenken unvergängliche Zeilen widmeten.« Der Schmerz um den Tod des Kindes hat die Familie nie verlassen, auch Almas Bruder Wolfgang schreibt viele Jahre später an Goethes letzten Sekretär Johann Christian Schuchardt: »Alma war der letzte Sonnenstrahl gewesen, der in das von Staub und Spinnweben umschleierte Dasein der Brüder hineinleuchtete.«
Mit der Figur der »Austria« am Austriabrunnen auf der Wiener Freyung setzte der Bildhauer Ludwig Schwanthaler Alma von Goethe ein Denkmal.
Die verzweifelte Ottilie blieb noch ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer Tochter in Wien, um dann nach Weimar zurückzukehren. Was Goethe ihr hinterlassen hatte, war längst aufgebraucht, sodass sie ihren Lebensabend in wirtschaftlicher Not verbringen musste. Das schlechte Gewissen, ihrer Tochter zu wenig Zeit geschenkt zu haben, hat sie nie mehr verlassen.
Ottilie von Goethe beendet ihr unstetes Leben
Mit ihrem fünfzigsten Lebensjahr beendete Ottilie ihr unstetes Leben und ließ sich in dem ihr verbliebenen Zimmer im Dachgeschoß des Goethe-Hauses dauerhaft nieder. Dort starb sie am 26. Oktober 1872 im Alter von 76 Jahren an einem Herzleiden.
Nach Johann Wolfgang von Goethe gibt es keine direkten Nachkommen, da auch seine beiden Enkelsöhne Walther und Wolfgang kinderlos blieben. Die Familie lebt jedoch durch die Kinder und Kindeskinder seiner Schwester Cornelia fort, die heute noch unter dem Namen Nicolovius in mehreren deutschen Städten anzutreffen sind.
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